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Motive und Vorgänge im Hintergrund

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Der Autor, Provinzial der Redemptoristen, früher theologischer Berater der Furche, versucht, auf bewußte und unbewußte Intentionen im Umfeld des „Falles” Groer aufmerksam zu machen.

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Der Autor, Provinzial der Redemptoristen, früher theologischer Berater der Furche, versucht, auf bewußte und unbewußte Intentionen im Umfeld des „Falles” Groer aufmerksam zu machen.

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Es ist für jeden Menschen schmerzlich, wenn er in aller i Öffentlichkeit zum „Fall” wird. Bei Kardinal Groer betrifft dies nicht nur ihn selbst, sondern die ganze Kirche in Österreich. Ich möchte jetzt nicht über Kardinal Groer schreiben, sondern über die Vorgänge, die sich um ihn in den letzten 14 Tagen abgespielt haben.

Diese Vorgänge wurden zweifellos verschärft durch das Schweigen des Kardinals, durch das Mauern vieler prominenter Verantwortlicher der Kirche und durch die unüberprüfte Diskriminierung der Ankläger als Menschen mit kranker Seele oder als böswillige Feinde der Kirche. Bei der Beobachtung dieser Vorgänge, die viele Menschen zutiefst berühren, sind mir drei Worte oder Titel eingefallen: Die Hasenjagd; der Sündenbock; kann ein Mörder, der sich bekehrt hat, Bischof werden oder: die gnadenlose Gesellschaft.

Hier zeigen sich Phänomene, die weit über den Anlaßfall hinausgehen und sich im großen und kleinen ständig wiederholen.

Die Hasenjagd

Wir denken mit Entsetzen an die Hasenjagd im Mühlviertel vor 50 Jahren. Wir haben keinen Grund, mit Verachtung auf die damals Beteiligten herabzuschauen. Inzwischen haben viele Hasenjagden, die auch für Menschen tödlich waren, zumindest für ihren Ruf und ihre menschliche Existenz, stattgefunden. Beliebte Opfer für diese Hasenjagd sind Prominente. Dabei ist es für so manche gar nicht so wichtig, ob der Gejagte schuldig oder unschuldig ist. Es genügt der Verdacht.

Solche Hasenjagden interessieren die Menschen. Deswegen sind sie eine Grundversuchung aller Medien. Sie bringen Leser und Einschaltziffern. Sie interessieren mehr als die besten Krimis.

In den letzten 14 Tagen erlebten wir eine gewaltige Hasenjagd, ge-

spielt in allen Medien. Das Jagdfieber ergriff immer mehr Menschen, immer mehr Hasentreiber und.Jäger stellten sich ein. Die Hasenjagd ist nur solange interessant, solange der Hase noch lebt. Wenn der Hase tot ist, zerstreuen sich die Leute. Sie warten auf ein nächstes Opfer.

Damit will ich nicht sagen, daß alle, die sich im „Fall Groer” zu Wort gemeldet haben, Hasentreiber oder Jäger waren. Es gab sehr verantwortungsvolle Kommentare, die von der Achtung der Person und der Wertschätzung der Kirche getragen waren. Alle Verantwortlichen in der Kirche - auch der Vatikan - sollen sie lesen und daraus die nötigen und möglichen Konsequenzen ziehen.

Trotzdem: ich erlebte die letzten Wochen auch als eine fürchterliche Hasenjagd. Ich halte eine solche Jagd für äußerst bedenklich, selbst wenn der Gejagte schuldig ist.

Der Sündenbock

Es gab im jüdischen Kult einen sehr urtümlichen, für viele heute schwer verständlichen Ritus; den Ritus mit dem Sündenbock. „Aron soll seine beiden Hände auf den Kopf des lebenden Bockes legen und über ihn alle Sünden der Israeliten, alle ihre Frevel und alle ihre Fehler bekennen. Nachdem er sie so auf den Kopf des Bockes geladen hat, soll er ihn durch einen bereitstehenden Mann

in die Wüste treiben lassen, und der Bock soll all ihre Sünden mit sich in die Einöde tragen” Lev 16, 21 f. Ich will und kann hier diesen Ritus in seiner ursprünglichen Bedeutung nicht erklären. Dieser Bitus ist der Hintergrund für das bis heute verwendete Wort „Sündenbock”. Nur laden wir unsere Sünden nicht auf einen Ziegenbock, sondern auf einen Menschen.

Der Mensch ist - trotz aller beklagten Amoralität - von Grund auf mofalisch. Er braucht Gelegenheiten, wo er sich über die Schlechtigkeiten des Menschen entrüsten kann oder Möglichkeiten, die ihn von seinem schlechten Gewissen entlasten. Für beides eignen sich in hervorragender Weise Prominente, die in aller Öffentlichkeit eines Vergehens oder eines Verbrechens angeklagt werden. Weil viele sich über eigene Sünden nicht entrüsten können oder wollen, entrüsten sie sich umso mehr über die Sünden der Prominenten in Wirtschaft, Politik und Kirchen. Und wenn die da oben, die allen Vorbild sein sollen, solche Vergehen auf sich laden, was soll dann ich tun?

Sündenböcke, über die man sich entrüsten kann, und die einen zur gleichen Zeit entlasten, sind immer gesucht, besonders geeignet sind dazu angeklagte Priester, Bischöfe und Kardinäle, die von Amtswegen die Moral vertreten. Mit diesen Gedanken über den Sündenbock ist

nicht bestritten, daß mitunter die Medien auch die prophetische Aufgabe haben, gerade das Unrecht der Mächtigen und Einflußreichen aufzudecken. Aber wer dies tut, der soll auch selbst das Ethos eines Propheten haben.

Gnadenlose Gesellschaft

Unter den Jüngern und Jüngerinnen Jesu befinden sich Leute mit dunkler Vergangenheit Jesus hat sie trotzdem erwählt. Über Paulus lesen wir in der Apostelgeschichte: „Sau-lus wütete immer noch mit Drohung und 'Mord gegen die Jünger Jesu' Apg. 8,1. Die junge Kirche tut sich nicht leicht, Saulus, der diese Vergangenheit auch nie leugnet, als den Apostel Paulus anzuerkennen.

Die spätere Kirche wird mit der Übertragung des Amts noch vorsichtiger: „Wer das Amt eines Bischofs

anstrebt, der strebt nach einer großen Aufgabe. Deshalb soll der Bischof ein Mann ohne Tadel sein ... Kr muß auch bei den Außenstehenden einen guten Ruf haben, damit er nicht in üble Nachrede kommt und in die Falle des Teufels gerät” 1 Tim 3, 1.2.7.

Von Jesus her gesehen, müßte auch ein Mörder, der sich bekehrt hat, die Möglichkeit haben, Bischof zu werden. Der barmherzige Vater setzt den verlorenen Sohn in alle Rechte des Kindes wieder ein.

Von dieser Art des Denkens und Handelns sind wir in der Kirche und in der heutigen Gesellschaft weit entfernt. Schon der Verfasser des Briefes an Timotheus hat Angst vor der „üblen Nachrede”. Wir leben in einer gnadenlosen Gesellschaft. Menschen mit dunkler Vergangenheit tun sich schwer. Ja man sucht oft nach dieser dunklen Vergangenheit, um jemanden anklagen und ablehnen zu können, auch wenn sich der Betreffende von dieser Vergangenheit längst gelöst hat. Die heutige Zeit würde einen Mörder, der sich bekehrt hat, als Bischof nicht ertragen, wohl auch die Kirche nicht.

Es gibt auch in der Kirche gegenwärtig gnadenlose Kämpfe und Auseinandersetzungen. Eine Kirche, die von vielen als gnadenlos erlebt wird, darf sich auch nicht wundern, wenn mit ihren Vertretern gnadenlos umgegangen wird. So ergibt sich aus all diesen Auseinandersetzungen auch die Frage, wie kann die Kirche zu einem Raum der Freiheit und der Gnade werden; zu einem Ort, wo jeder Mensch eine Chance hat, auch Andersdenkende, auch Menschen mit dunkler Vergangenheit.

Nach diesen turbulenten Wochen bleiben noch viele Fragen offen. Für alle, die die Kirche trotz allem lieben oder sie schätzen, ergibt sich die Frage: Was können wir aus diesen Vorgängen lernen, wie kann sich die Kirche im Sinne Jesu wandeln, um in der heutigen Gesellschaft das gegenwärtig zu machen, was Er gewollt hat?

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