6570478-1950_17_13.jpg
Digital In Arbeit

Mühsamer Staatsbau in Israel

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn der Staat Israel auch nach außen hin fertig dasteht, so muß er dennoch innerlich erst aufgebaut und gefestigt werden. Das bedeutet eine weit schwierigere Arbeit, als es der Krieg gegen die Araber gewesen ist. Die Form der Regierung macht keine sonderlichen Schwierigkeiten. Sie besteht aus einer Koalition der an sich stärksten Partei in Israel, der sozialistischen „Mapai“, mit den strengorthodoxen Elementen. Daß die Harmonie nicht allzu groß ist, erscheint verständlich, wenn man bedenkt, daß die sozialistischen Zionisten fast gänzlich der Religion entbehren. So kam es auch gegen Ende des letzten Jahres soweit, daß drei Minister der Rechten mit der Demission drohten, wenn der versteckte Kampf der Regierung gegen die konfessionelle Schule weitergeführt werde.

Die Aufbauarbeit im Staate Israel kann gegenwärtig noch nicht mit aller Kraft betrieben werden, da die jüngere Generation noch in großer Zahl unter Waffen steht. Bis 1952 sollen darum noch pro Jahr 250.000 neue Ansiedler im Negeb (Wüste südlich von Beersheba) und am Toten Meer untergebracht werden. Da dies gerade kein verlockendes Angebot für die Einwanderer ist, wird die Alijah (Einwanderung) auch aller Voraussicht nach nicht die gewünschte Kopfquote erreichen. Das zu der großzügig geplanten Wüstenbesiedlung nötige Kapital von 300 Millionen Dollar hofft das Wirtschaftsministerium durch Spenden amerikanischer Juden, durch Kredite der Weltbank und auf Grund des Wirtschaftsprogramms Präsident Trumans aufzubringen. Die Aussicht ist begründet, daß in zwei Generationen dem Negeb der Wüstencharakter, der noch ein Andenken an die Türkenherrschaft ist, genommen sein wird, zumal schon unter dem englischen Protektorat dazu wertvolle Vorarbeiten geleistet worden sind. Zwei Generationen sind aber selbst im Orient eine lange Zeitspanne. Wird Israel so langlebig sein? Wird Israel innerlich wirklich einmal erstarken und einig werden, wenn es nicht mehr einen äußeren Feind zu bekämpfen hat? Aus der gegenwärtigen Sicht heraus ist diese Frage noch nicht sicher zu bejahen. Die innere Zerrissenheit scheint zu groß zu sein, zumal die neuen Bürger aus aller Herren Ländern zusammenkamen. Die Verschiedenheit in Sitte und Kultur muß notwendig zu fundamentalen Meinungsverschiedenheiten in diesem Konglomerat führen. Nicht einmal die „Hallutzim“ in den Gemeinschaftssiedlungen stehen in geschlossener Front da, obwohl sie doch die idealsten Träger des nationalen Gedankens sind, die sich sogar ihrer persönlichen Rechte begeben, nur um die Nation wieder aufzubauen.

Die Politik der Regierungspartei ist rein opportunistisch, ohne weite Voraussicht. Ihre Gewerkschaft, die „Histadruth“, übt die direkte Kontrolle über den Großteil der Bevölkerung aus. .Innerhalb der Ma-pai und der Histadruth haben sich die Pioniere von einstmals zu einer Clique, einer .alten Garde“, zusammengeschlossen, in der der Ministerpräsident, David Ben Gurion eine Art väterlichen Despotismus über die Regierungspartei, die Armee und das ganze Land ausübt. Um für eine verantwortliche Stellung qualifiziert zu sein, ja um sich nur den nackten Lebensunterhalt verdienen zu können, muß ein Bürger Israels Mitglied der Histadruth, noch besser Parteimitglied und am besten russisch-polnischer Abstammung sein.“ (A. Koestler im „Manchester Guardian“.) Wie unheimlich dieser Druck auf Unternehmungen und Privatleuten lastet, kann nur der ganz verstehen, der das Vertrauen der Betroffenen besitzt; denn Kritik ist hier eine gefährliche Sache. Und wer nicht vorsichtig genug ist, riskiert ein Kidnapping, das heißt, eines Tages ist er spurlos verschwunden. Ich machte im November 1934 an Bord der „Gerusa-lemme“ eine überfahrt nach Palästina mit Ben Gurion, der gerade eine Werbetour durch Europa beendet hatte. Eine Schar junger Juden, die seinem Rufe gefolgt waren, befand sich ebenfalls an Bord. Diese jungen Leute waren über ihren „Sozialistenführer in der ersten Klasse“ dermaßen enttäuscht, daß sie ihn nur den „Pascha“ nannten. Nach Jahren sah ich einen dieser enttäuschten Mitpassagiere wieder und erinnerte ihn an seine damalige Mißstimmung. Da meinte er resigniert: „Ach, das war nur eine Bagatelle. Es ist dann alles viel dicker gekommen. Aber man muß halt nach außen hin mitmachen, sonst ist man bald ruiniert.“ Ich führe das hier nur als typisches Beispiel an.

Es wird oft gefragt, ob das kommunistische Element in Israel stark sei. Man hat nämlich viel von den fast 200 kommunistischen Gemein-schaftssiedlungen gehört. Diese Siedlungen (Kibutzim) sind aber gar keine Kolchosen. Ihr Kommunismus ist nicht politischer, sondern rein praktischer Art. Der Staat hat weiter keine Befugnisse über diese Kibutzim, er stellt nur einer in sich gefestigten Gruppe den Boden zur Verfügung. Alle Darlehen für den weiteren Betrieb müssen verzinst und abgezahlt werden. Die Existenz eines solchen Kibutz beruht auf vollkommener persönlicher Besitzlosigkeit und auf totaler, demokratischer Verfassung. Man staunt, wenn man diese landwirtschaftlichen Intensivbetriebe besucht. Es gibt jedoch auch Kibutzim, die Handel und Gewerbe treiben. Ich denke da zum Beispiel an A i n Geb am Ostufer des Sees Genesareth, wo ich eine ausgedehnte Werkstätte vorfand, in der man eiserne Bettgestelle und sonstige Möbel en gros herstellte. Ain Geb, Magdala und Gen-nossar betreiben auch den Fischfang auf dem See Genesareth in großem Stil. Wenn man die Stellung des Kommunismus im heutigen Israel abschätzen will, dann muß man das offizielle Verhältnis zur Sowjetunion ins Auge fassen. Israel erfuhr während seines Kampfes gegen die Araber durch die Sowjets wertvolle Hilfe (Waffen usw.). Es wurde sodann auch von Moskau zuerst als selbständiger Staat anerkannt. Infolgedessen konnte der Kreml bald eine diplomatische Mission nach Tel-Aviv entsenden. Sem-luskin und Sergijew durften in Jerusalem das umfangreiche Besitztum der russischorthodoxen Kirche für die Sowjetunion beschlagnahmen. Ein Abkommen zwischen der Jewish Agency und der Sowjetunion soll es nun unter anderem allen jüdischen Sowjetbürgern erlauben, nach Palästina auszuwandern. Rußland ist sonst nicht so leicht für Auswanderung zu haben. Also wird es sich hier um solche Juden handeln, die erprobtermaßen ideologische Kommunisten sind. Doch hat sich der Staat Israel nicht den Sowjets verschrieben; die Rivalität zwischen West- und Ostblock in der gegenwärtigen Weltgeschichte gibt dem kleinen jungen Israel immer wieder die Chance zu einer eigenwilligen Politik. Moskau hat das längst eingesehen, sich offiziell von Tel-Aviv distanziert und sich auf unterirdische Arbeit beschränkt. Die jüdischen Einwanderer aus der Sowjetunion sind sowjetische Agenten. Von Moskau aus wurde 1945 in Taschkent „die Hochschule für den Nahen Osten“ gegründet, um Agenten für den Orient auszubilden. Die Palästinaklasse dieser Schule ist ständig von etwa 70 Schülern besetzt. Diese werden dann als „SSS“ (Silent Sowjet Service) nach Israel entlassen, wo sie sich einer an und für sich nichtkommunistischen Organisation anschließen, wie zum Beispiel der rechtsstehenden Irgun. So konnte es.auch kommen, daß die Jugendbewegung Haschomer Hazair innerhalb der Gewerkschaft Histadruth jetzt schon deutlich kommunistisches Gepräge trägt.

Ich kann diese Ausführungen nicht schließen, ohne auch einer Gruppe von Menschen zu gedenken, die außerhalb Palästinas nur wenig Beachtung findet, die aber unser christliches Interesse am ehesten verdient. Man kennt freilich in der weiten Welt die tiefgründigen Schriften eines Martin Buber, Professor Simon und des kürzlich verstorbenen Rektors der hebräischen Universität, Professor Magnus; aber von ihrer Bewegung „Ichud“ (Einheit) ist wenig bekannt. Diese hat einst einen binationalen Staat angestrebt. Ihre Friedensrufe sind im Waffenlärm der „Gebündelten“ (Buber) erstickt. Jetzt aber ist er wieder auferstanden, dieser Schrei nach Versöhnung und Friede, auch in Israel, und er lockt so manches kriegsmüde Gemüt aus den Parteien der Raufenden weg. Und vielleicht sind es gerade solche Friedenspropheten wie Martin Buber und Max Brod, nicht aber jene „Helden“ der letzten Jahre und nicht die ausländischen Stammesangehörigen mit ihrer destruktiven Kritik, welche die Zukunft Israels in ihren Händen wiegen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung