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„Mütter, es ist Krieg in Europa, schaltet Euch ein!”

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In diesen Tagen wurde die UNO fünfzig. Grund, Bilanz zu ziehen. Viele Kommentare waren zu lesen und zu hören. Kluge, nachdenkliche, kritische, hämische. Aber eines klang durch: Gäbe es die UNO nicht, die Völker müßten sie erfinden. Denn sie bleibt - gegründet, als im Pazifik noch der Zweite Weltkrieg tobte - der idealistische Entwurf einer Welt, aus der Krieg, Völkermord, Unterdrückung und Gewalt verbannt sein sollten. Sicher, ein UNO-„Vater” war Stalin, dessen Welteroberungspläne schon geschmiedet waren. Aber der Entwurf ist nach wie vor gut, wenn auch dringend reformbedürftig:

Trotz. Ruanda, Tschetschenien und Bosnien-Herzegowina ist die UNO (nicht zuletzt wegen ihrer Sonderorganisationen wie zum Beispiel UNESCO) reaktionsstärker und flexibler als der Völkerbund. Dieser wurde, aus ähnlichen, idealistischen Gründen nach dem Ersten Weltkrieg geschaffen, nie zu der Autorität, wie es die UNO immer noch ist.

Die Rückschau macht es evident: der Völkerbund versagte, als das DuceJtalien Äthiopien überfiel, als Franco, unterstützt von Mussolini und Hitler, die Republik Spanien niederputschte. Und als Hitler in Osterreich einfiel, verhüllte der Völkerbund sein Haupt. Bei dem vergleichbaren Überfall Saddams auf Kuwait reagierte die UNO sofort und erfolgreich.

Den Gipfel der Untätigkeit erreichte der Völkerbund jedoch 1938 bei der Konferenz von Evian: Auf ihr flehte Israel Taglicht, der Rabbiner von Wien, die Völkervertreter kniefällig an, für die todesbedrohten Juden „Großdeutschlands” die Einwanderungsquoten zu erhöhen. Die Grenzen und Herzen blieben verschlossen. Das Ende ist bekannt. Die Untätigen von damals suchten sich später mit „Nichtwissen” zu salvieren. Diese Flucht ist uns, den Menschen des multimedialen Zeitalters, verbaut. Wir werden tagtäglich mit Mord, Totschlag, Raub, Vertreibung, Folter und Vergewaltigung konfrontiert, sind Augenzeugen, die Komplizen werden, wenn sie sich nicht einmischen.

Viele mischen sich ein. So haben zum Beispiel die Zuschauer von RTL-Television, aufgerüttelt von Professor Helmut Thoma, „UNESCO - Kinder in Not” in knapp drei Jahren 3,5 Millionen Mark (25.017.860 Schilling) für Kriegskinder in Ex-Jugoslawien gespendet. Hilfe von „ganz normalen Menschen”. Hilfe, vielleicht auch aus Hilflosigkeit, weil das Lavieren der großen Politiker zornig macht.

Bosnien-Herzegowina liegt in Europa. Was aber liegt Europa, liegt der Welt an Bosnien-Herzegowina? Wie lange will man noch zuschauen, wie als Politiker verkleidete Kriminelle nachträglich die Ergebnisse verlorener Schlachten -zum Beispiel Amselfeld 1389 - brachial zu korrigieren suchen? Sollen jene recht behalten, die sagen „gäbe es dort Öl, wäre längst eingegriffen worden”?

Hemmungslose Menschen loben sich an Kindern, Frauen und Alten aus Während runde Tische eckig geredet werden, Friedensmissionen faule Feuerpausen aushandeln, tobt sich eine entmenschte Soldateska an schutzlosen Kindern, Frauen und alten Menschen aus.

Längst ist die Formel „wo verhandelt wird, wird nicht geschossen” ad absurdum geführt, nehmen die Warlords Blauhelme als Geiseln, lachen über die Verhandler.

Es ist Zeit, politischen Druck zu organisieren. Das Wort „Steif Dir vor, es ist Krieg, und es geht keiner hin”, muß eine neue Deutung erfahren: „Mütter, es ist Krieg, schaltet Euch ein!” Die Mütter in den Nationen, die das Privileg haben, in Freiheit zu leben, sollten ihre Politiker zwingen, dem Wahnsinn ein Ende zu machen. Sie sollten mit Stimmenverweigerung, mit Wahl-bovkott drohen. Denn sonst verkommen UNO, NATO, KSZE und EU zu Debattier-Clubs, wird der Glaube an die Verteidigungswürdigkeit von Demokratie unheilbar beschädigt, haben die „starken ”Männer” Konjunktur. Auch um unserer eigener Kinder willen: macht dem Wahnsinn ein Ende. Notfalls mit Gewalt. Oder soll der islamische Philosoph Masudi bestätigt werden? Er postulierte: „Die Geschichte lehrt, daß man aus der Geschichte nichts lernt.”

Zur Erinnerung: Auch Hitlers Weg wurde nicht unerheblich von Verhandlungen geebnet.

Sonderbotschafierin der UNESCO und weltweit zuständig für das Programm „UNESCO Kinder in Not”.

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