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Musik a fond perdu?

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Bei ihrem Aufenthalt in Salzburg sagte Königin Elizabeth von dieser Stadt, daß sie für die Briten identisch mit Musik sei. Daß dem so ist — und nicht nur in Großbritannien, sondern auch in vielen anderen Ländern —, dazu haben sicherlich die Rundfunkübertragungen österreichischer Festspiele in die ganze Welt beigetragen. Diese Übertragungen, die von Salzburg, die der jetzt knapp bevorstehenden Wiener Festwochen, der Bregenzer Veranstaltungen auf der Seebühne und die des „Grazer Herbstes“, können — so erklärt die Leitung des österreichischen Rundfunks — per sofort nicht mehr durchgeführt werden. Grund: die Gewerkschaft für Kunst und freie Berufe verlangt für die an den Übertragungen teilnehmenden Orchester und Chöre eine Pauschalabgeltung von vier Millionen Schilling für das Jahr 1969. Diesen Betrag, so erklärt die Rundfunkleitung, sei sie außerstande, zu bezahlen; sie könne nicht über die dreieinhalb Millionen Schilling hinausgehen, auf die man sich für 1968 geeinigt hatte. Die Gesamteinnahmen des Rundfunks für 1969 werden 1413 Millionen betragen.

Die davon zu bestreitenden Ausgaben werden grob wie folgt kalkuliert: 500 Millionen für das eigene Personal des Rundfunks, 400 Millionen für Investitionen (meist technischer Natur), 350 Millionen für die Programmgestaltung des Femsehens, 108 Millionen für die Programmgestaltung des Hörfunks. Aus den zuletzt genannten 108 Millionen für das Hörfunkprogramm sind auch die Abgeltungen für die Leistungen der Orchester und Chöre zu den Festspielübertragungen ins Ausland zu entnehmen. (Pur Fernsehübertragungen gibt es separate Einzelarrangements.)

Wenn man der Rundfunkleitung die Berechtigung ihrer Kalkulation zugesteht, dann muß man ihr auch das Limit für die Abgeltung der Übertragungsrechte einräumen und daß sie darüber nicht hinausgehen will.

Allerdings muß man dabei noch folgendes wissen: Der österreichische Rundfunk erhält seinerseits für die Auslandsübertragungen von den empfangenden 84 Rundfunkgesellschaften keinen Groschen. Dafür bekommt er aber im Rahmen des internationalen Programmaustauschs auf Wunsch gleichfalls entgeltlos die von den Ausländern übermittelte Sendungen entweder auf Band oder original („live“). Und hier besteht nun die bemerkenswerte Situation, daß Österreich mehr Übertragungen exportiert als importiert Sogar viel mehr: in einem Verhältnis von 70 Prozent zu 30 Prozent.

Diese „aktive Handelsbilanz“ könnte vom Standpunkt der österreichischen Musiker positiv bewertet werden: stärkere Beschäftigung einheimischer Kräfte gegenüber geringerer Inanspruchnahme ausländischer Produktionen. Nur, wenden die Gewerkschafter ein, dient diese einheimische Beschäftigung in enormem Ausmaß ausländischen Bedürfnissen. Und dafür wollen sie ein volles Entgelt. So wie Autoren, Komponisten und Solisten Tantiemen, das heißt entsprechende Anteile für den Verkauf jeder einzelnen Schallplatte, auf der ihre Darbietungen festgehalten wurden, erhalten und ihnen auch Übertragungen der Aufnahmen ihrer Auftritte bei Festspielveranstaltungen abgegolten werden, genau das gleiche will die Gewerkschaft auch für die Orchestermusiker und Chöre.

Die Rundfunkleitung erkennt diesen Anspruch im Prinzip an. Sie erklärt jedoch gleichzeitig, daß die Erfüllung des Anspruchs durch zwei Faktoren begrenzt sei: a) Durch die kaufmännische Gebarung und Kalkulation des Rundfunks — denenzufolge dal absolute Limit dreieinhalb Millionen betrage, b) Durch einen von der Europäischen Rundfunk-Union (EBU) — der Vereinigung der Rundfunkgesellschaften — gefaßten Beschluß, wonach die Entgelte für Auslandsübertragungen nicht mehr als 100 Prozent der an die inländischen Festspielveranstalter vom Rundfunk des Landes bezahlten Honorierungen betragen dürfen. Die EBU geht dabei davon aus, daß die Verteuerung der Auslandsübertragungen, zum Beispiel der Salzburger Festspiele, automatisch zur Verteuerung der Übertragungen aus anderen Ländern, etwa der Edinburgher Festspiele, führen würde. Die EBU geht hier sehr weit: Selbst wenn der österreichische Rundfunk auf Grund der hierzulande entstandenen neuen Situation bei seiner Weigerung, die Abgeltung der österreichischen Musiker zu erhöhen, verbleibt und es zu keinen weiteren Übertragungen aus Österreich mehr kommt — selbst dann werden ihm die anderen Rundfunkgesellschaften weiterhin Übertragungen ihrer Produktionen zuliefern. Das ist es ihnen wert. Und das ist bereits eine ziemlich bedenkliche Taktik, das zumindest ein sehr durchgeplantes gemeinsames Vorgehen zur Begrenzung des von den Musikern verlangten größeren „Scherzeis“ vermuten läßt. Und es ist im übrigen vermutlich auch kurzsichtig. Man kann nämlich annehmen, daß diesen Absprachen der Rundfunkunternehmen, wenn sie effektiv werden, automatisch solche der ausländischen Musikergewerkschaften mit ihren österreichischen Kollegen folgen werden. Das heißt, daß sich jene Orchester wahrscheinlich weigern werden, Übertragungen ihrer Darbietungen nach Österreich zu ermöglichen.

So zeigt sich, daß man es hier mit viel mehr als einem gewöhnlichen Interessenkonflikt zwischen Rundfunk und Musikern zu tun hat. Die letzteren vertreten dabei folgenden Standpunkt: Zuerst sind wir vor den paar tausend Besuchern der Festspiele in Österreich aufgetreten, und unsere Honorare waren deren Einkünften angepaßt. Dann wurden unsere Drbietungen den zwei Millionen österreichischen Rundfunkhörern übermittelt. Die vom Rundfunk auf diese Weise erhöhte Attraktion wurde uns zuerst mit einer Pauschale von 250.000 Schilling für alle beteiligten Orchester und Chöre abgegolten. Unterdessen ist aber das Publikum auf das 600fache, nämlieh auf 1,2 Milliarden Hörer von 84 RundhinkgesellSoiharteij, angewachsen; Und es. gibt bereits Radiostationen, welche diese Übertragungen völlig verpflichtungslos auffangen, festhalten und als Umrahmung für ihren kommerziellen Reklamebetrieb aussenden und damit viel Geld verdienen. Anderseits gibt die an den österreichischen Übertragungen und am „poöl“ partizipierende BFA-Gesellschaft in den USA ihrerseits die Programme an 30 andere Gesellschaften weiter. Was hier also unter dem Deckmantel von Kulturaustausch betrieben wird, ist eine internationale Ausbeutung unserer Leistungen.

Es gibt jedoch noch einen weiteren Aspekt in der Sache, und das ist der österreichisch-nationale. Die Bundfunkleitung weist in dem Konflikt darauf hin, daß die Übertragungen in bedeutendem Maße dem österreichischen Kulturprestige im Ausland zugute kommen. Das wirkt sich natürlich auch auf andere Weise aus, so verstärkt es den Zustrom der Fremden in unser Land. Wenn dem aber so ist, warum sollen jene, welche dahin mitwirken, nicht dafür ein entsprechendes Entgelt erhalten? Man verlangt ja auch von dem Maler, dessen Werbeplakat für Österreich überall im Ausland afflehiert • wird, nicht, daß er es umsonst tut. Womit dargetan werden soll, daß weit höhere als die bisherigen Instanzen sich an der Beilegung des Konfliktes beteiligen müssen. Wenn der Rundfunk überzeugend nachweisen kann, daß er wirklich nicht imstande ist, die von den Musikern verlangte Differenz zu bezahlen, dann dürfte es doch wohl kaum den vier hauptsächlich betroffenen Bundesländern — Wien, Salzburg, Vorarlberg und Steiermark — etwas ausmachen, gemeinsam für 500.000 Schilling aufzukommen. Wenn etwa im Bewußtsein der Briten Salzburg identisch mit Musik ist. dann muß dies Salzburg denn doch das Änuivalent in Schilling und Groschen wert sein.

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