6665365-1960_30_13.jpg
Digital In Arbeit

Nach 15 Jahren Wiederaufbau

Werbung
Werbung
Werbung

Das Land Salzburg ist reich an armen Erzen.“ Dieses Wort eines Bergfachmannes aus dem vorigen Jahrhundert ließe sich fortsetzen: Salzburg ist reich an armen Böden, reich an armen Berghöfen, reich an armen Gewerbezweigen, an armen- Mittelständlern, Flüchtlingen, Wohnungssuchenden, kinderreichen Familien und einmalig reich an gottgesegneter, aber produktionsarmer Naturschönheit.

Dieses Alpenland mit der großen schönen Stadt vor dem Gebirge muß daher trachten, die Nachteile einer wirtschaftlich wenig freigebigen Natur durch Ausnützung der wenigen Vorteile, die auch ihm beschieden sind, auszugleichen. Sie wurden von alters her in seinen geringen Bodenschätzen, in seinen heilkräftigen heißen Quellen, in der Viehzucht und Holzgewinnung, in der Fremdenbeherbergung und in erstrangigen Kultureinrichtungen gefunden.

Wirtschaft und Kultur sind in diesem Lande eine glückliche Ehe eingegangen, wenngleich Mitgift und Morgengabe eher gering anzuschlagen waren.

Viel ist in den Jahren des zweiten Weltkrieges — auch etliche Zeit zuvor — nicht nur auf dem Gebiete der Wirtschaft, sondern auch der bodenständigen Kultur zerstört worden. So wie in den anderen Ländern unserer Republik haben aber auch in Salzburg nach dem Kriege bewährte Politiker der Ersten Republik und junge Menschen der Frontgeneration zusammengeholfen, um Ordnung in das Chaos des Zusammenbruches zu bringen. Es ist geglückt. Heute nach fünfzehn Jahren des Aufbaues sind wir über den Berg.

1923 betrug der Anteil Salzburgs an der österreichischen Bevölkerung noch 3,2 Prozent, heute ist er auf 4,7 Prozent angestiegen. Zehntausende Neubürger, hauptsächlich Flüchtlinge aus den Ländern der unteren Donau, haben in unserem Lande nicht nur Zuflucht gefunden, sondern auch Arbeit und Brot. Viele von ihnen sind durch eigenen Fleiß längst Hausbesitzer geworden und haben sich eine selbständige wirtschaftliche Existenz geschaffen.

In den Gemeinden sind aus dem Geiste der Selbstverwaltung heraus viele Einrichtungen zum Wohl der Bewohner entstanden; so wurden seit 1945 in 108 von insgesamt 119 Gemeinden neue bzw. erweiterte Pflichtschulbauten errichtet; in der Stadt Salzburg und im ganzen Land wurde das Mittelschulwesen binnen weniger Jahre erneuert und verbreitert.

Seit Jahren herrscht in Salzburg Vollbeschäftigung. Der Prozentsatz der vorgemerkten Arbeitskräfte ist nur in Vorarlberg noch niedriger. Die Spareinlagen haben die Milliardengrenze überschritten: pro Kopf der Bevölkerung betragen sie derzeit in Salzburg 4900 Schilling, während sie in ganz Österreich 3800 Schilling betragen.

Der Wohlstand des Landes ist in erfreulichem Steigen begriffen. Er kommt nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, daß die Steuerkraft, der Salzburger Bevölkerung über dem österreichischen Durchschnitt liegt. Nur Tirol, Vorarlberg und Wien verfügen wegen ihrer stärkeren Industrie über eine noch höhere Steuerkraft.

Während das persönliche Nettoeinkommen pro Kopf der Bevölkerung 1957 im Burgenland nur 8950 Schilling, in Kärnten 10.840 Schilling betrug, stand Salzburg vor Tirol, Oberösterreich, Steiermark und Niederösterreich mit 12.610 Schilling pro Kopf an dritter Stelle und wurde daher wieder nur von Vorarlberg mit 12.850 Schilling und Wien mit 16.250 Schilling übertroffen. „Goldener Westen“ seit 1945 oder schon länger West-Ost-Gefälle in Österreich?

Es muß zugegeben werden, daß die westlichen Bundesländer nach 1945 ebensoviel an wirtschaftlichen Vorteilen zu verzeichnen hatten wie die östlichen an Nachteilen. Schon während des Krieges floß durch die Produktions- und durch sonstige Vermögensverlagerungen ein beträchtlicher Kapitalstrom auch in unser Land. Während dann in den zehn Jahren der Besetzung in den östlichen Bundesländern Kriegszerstörungen und Demontagen, Wirtschaftsschädigung durch die USIA-Betriebe und Handelsabschnürung durch den Eisernen Vorhang an der Tages-ordn'ing waren, genossen die westlichen Bundesländer die ausgiebige Hilfe der amerikanischen Besatzungsmacht, die fast ausschließliche Zuteilung der ERP-Kredite und die Früchte des bald intensiv einsetzenden Fremdenverkehrs.

Dennoch ist in der zeitweisen Rolle des „goldenen Westen“ nicht die Alleinursache, geschweige denn die Dauerursache für den wirtschaftlichen Vorrang der westlichen Länder zu sehen; denn schon zwischen den beiden Weltkriegen machte sich ein deutliches West-Ost-Gefälle bemerkbar, dank dem steigenden föderalistischen Selbstbewußtsein der kleinen Gebirgsländer, die ihre Wasserkräfte, ihre Industrie und ihren Fremdenverkehr tatkräftig auszubauen verstanden hatten. Das Lebenswerk Dr. Franz Rehrls kommt mehr und mehr zu fruchtbarer Geltung.

Für Salzburg ist aber noch ein anderer Umstand ausschlaggebend, wenn es in manchen wirtschaftlichen Relationen über dem Durchschnitt der österreichischen Bundesländer steht.

Es ist Tatsache, daß in den größeren Gemeinden einerseits höhere Durchschnittseinkommen erzielt und höhere Abgaben geleistet werden als in kleinen Gemeinden, daß aber anderseits die kommunalen Aufwendungen dort ebenfalls bedeutend höher sind. Die Stadt hat aber auch eine verhältnismäßig höhere Erwerbsquote, das heißt, der Prozentsatz der im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren Stehenden ist verhältnsimäßig größer als auf dem Lande; denn von dort wandern ja ständig Arbeitskräfte in die Stadt. Der auf dem Lande stärkere Kinderreichtum aber drückt dort die Erwerbsquote herunter. Dazu kommt, daß in der Stadt die wohlhabenderen Geschäftsleute, aber auch die besser verdienenden Beamten und Angestellten leben, während auf dem Lande vorwiegend die bäuerliche und kleingewerbliche, das heißt aber schlechter verdienende Schicht lebt. In der Landeshauptstadt Salzburg domiziliert bekanntlich fast ein Drittel der Landesbevölkerung, und 46 Prozent aller Salzburger leben in Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern, in Niederösterreich dagegen nur 20 Prozent und im Burgenland gar nur 2 Prozent. Damit ist aber auch die schmerzliche Problematik der grundsätzlichen Benachteiligung der landwirtschaftlichen Bevölkerung gegenüber der nicht-landwirtschaftlichen aufgezeigt.

Der Anteil der in der Land- und Forstwirtschaft tätigen Bevölkerung ist in den einzelnen Bundesländern verschieden hoch, im allgemeinen leider rückläufig. Das niedrigere Durchschnittseinkommen in der Landwirtschaft, die längeren Arbeitszeiten bei geringerem Ertrag, die Stagnation der Agrarpreise und die Landflucht haben den Rückgang der sogenannten Agrarquote, das heißt des Anteils der in der Land- und Forstwirtschaft Beschäftigten, bewirkt. Hier ergibt sich ein Paradox: Während einerseits aus bevölkerungspolitischen und ernährungspolitischen Erwägungen mit Besorgnis das Absinken der Agrarquote betrachtet werden muß — sie beträgt in Salzburg nur noch 26 Prozent, während sie zum Beispiel in Niederösterreich noch 39 Prozent und im Burgenland sogar noch 57 Prozent ausmacht —, ist anderseits festzustellen, daß das Volkseinkommen pro Erwerbstätigen (die Landwirtschaft inbegriffen) um so höher liegt, je geringer die Agrarquote ist. Auch hier - aber leider durch die eben geschilderte Situation mitbedingt - steht Salzburg an dritter Stelle. Wien weist nämlich ein Einkommen pro Erwerbstätigen von 39.900 Schilling auf, während Vorarlberg mit 31.200 Schilling nur um zehn Schilling Salzburg voraus ist.

Maßgebend hiefür ist einerseits der Altersaufbau der Bevölkerung; je mehr Personen im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren stehen, um so günstiger liegen die Einkommensverhältnisse, die anderseits allerdings durch die Arbeitslosenrate beeinflußt werden. Hier steht Salzburg sogar an zweitbester Stelle in ganz Österreich. Während nämlich in Vorarlberg im Jahre 1957 nur 0,4 Prozent der Bevölkerung arbeitslos waren, folgte Salzburg mit 1,1 Prozent bei einem österreichischen Durchschnitt von 1,6 Prozent. Gerade diese Zahlen deuten auf eine besonders glückliche Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur in unserem Lande hin, wobei den Ausschlag nicht so sehr die Landwirtschaft oder die Industrie, vielmehr der Fremdenverkehr gibt.

Seit 1945 sind im Lande Salzburg mehr als hundert Industriebetriebe entstanden und die Zahl der Industriearbeiter ist von rund 5000 im Jahre 1937 auf mehr als 20.000 im Jahre 1957 angestiegen. Glückliche Standortwahl und nicht zu große Dimensionen bewirkten, daß das Landschaftsbild und die Gesellschaftsstruktur durch diese neuen, gesunden Mittel- und Kleinbetriebe keineswegs gestört wurden und daß diese Entwicklung dem Fremdenverkehr, als der eigentlichen Wohlstandsquelle des Landes, keine Beeinträchtigung gebracht hat. Wirtschaftlich gesehen ist der Fremdenverkehr der Exportindustrie • henMuig. kulturell ajjer,-,bedeutet.^.J&rjajz-bürg die Chance, edle Gastlichkeit mit behaglicher Bautradition, echte Volkskultur mit festlicher Hochkultur zu verbinden. Mit 19 Nächtigungen pro Kopf der Bevölkerung ist Salzburg das fremdenverkehrsintensivste Bundesland Österreichs nach Tirol mit 24 Nächtigungen pro Kopf.

Obwohl die Strompreise kaum die fünffache Höhe gegenüber 1945 erreichen — bei rund zehnfach so hohen Industriepreisen, Löhnen und teilweise auch Gehältern —, wird die Landesgesellschaft SAFE zu einer umfassenden Investitionstätigkeit im Kraftwerksbau, sei es in der Verbesserung der Verteilungsanlagen, verhalten.

Durch das 2. Verstaatlichungsgesetz hat die Landesgesellschaft die Aufgabe übertragen erhalten, das ganze Land mit elektrischem Strom zu versorgen, wobei die Städtischen E-Werke Salzburg sowie die industriell-gewerblichen Eigenversorgungsanlagen durch Gesetz und eine Reihe von Gemeinde- und Privatkraftwerken praktisch ausgenommen bleiben, dafür aber sämtliche Streusiedlungen auf dem Lande mit dem Ziel der baldigen „Restelektrifzierung“ einbezogen wurden. Das bedeutet eine einseitige Kostenbelastung, wie sie ungünstiger nicht mehr gedacht werden kann. Die Abnehmer der Salzburger Getreidegasse und des Rathausplatzes zum Beispiel beziehen ebensoviel Strom von den Städtischen E-Werken als der gesamte ausgedehnte Lungau von der SAFE.

Eine grundlegende Verbesserung kann daher nur durch kostendeckende Strompreise und durch Ausbau der Eigenstromerzeugung der SAFE erzielt werden. Diese betrug im Jahre 1959 nur rund 25 Prozent des verkauften Stromes und .macht die ungesunde Situation dieses Landesunternehmens deutlich. Daher ist der Ausbau eigener Kraftwerksanlagen oder die Beteiligung der SAFE an Kraftwerksbauten von größter Dringlichkeit geworden.

Wenn bisher der Finanzausgleich mit seinem abgestuften Bevölkerungsschlüssel und seinem Kopfquotenausgleich sowie anderen Hilfsmaßnahmen für finanzschwache Länder und Gemeinden die einzigen Instrumente waren, um regionale Unterschiede einigermaßen gerecht auszugleichen, so muß nunmehr eine wohlüberlegte Reihe von weiteren Maßnahmen hinzutreten, bisher benachteiligten und zurückgebliebenen Landesteilen wirksame Hilfe zu leisten.

Folgende Maßnahmen, die ich bei der großen Wirtschaftsenquete am 7. März 1960 in Salzburg vorgeschlagen habe, scheinen mir hier baldige Abhilfe zu versprechen:

1. Statistische Unterlagen zur Aufhellung regionaler Unterschiede in der Produktions-, Absatz-, Einkommens- und Beschäftigungsentwicklung bzw. Entwicklung der Beschäftigungsmöglichkeiten. Der Mangel an solchen Unterlagen verhindert einwandfreie Diagnosen und richtige Therapievorschläge.

2. Ausbau der regionalen Wirtschaftsforschung auf Grund der vorhandenen Erkenntnisse und der neuen statistischen Unterlagen.

3. Eingehende Marktforschung und betriebswirtschaftliche Rentabilitätsberechnung vor. jeder Forcierung von Betriebsneugründungen, um Fehlinvestitionen und Insolvenzen zu vermeiden.

4. Inangriffnahme neuer größerer Bauvorhaben (Kraftwerksbau und Staßenbau), um in den Ge-birgsgauen die Beschäftigungslage zu erleichtern und um einheimische Arbeitskräfte vor der Abwanderung in andere Länder zu bewahren.

5. Schaffung einer zweiten Saison sowie Verlängerung der Sommer- und Wintersaison im Fremdenverkehr.

6. Besondere Abhilfenmaßnahmen für die von der Betriebsstillegung bedrohten Klein- und Kleinstunternehmer.

7. Einführung von geschulten und erfahrenen Betriebsberatern für kleine und Mittelbetriebe sowie Förderung des betrieblichen Vorschlagswesens.

8. Reformen auf dem Gebiete der Umsatz-,Gewerbe- und Einkommensteuer zur Beseitigung des auf den Klein- und Mittelbetrieben lastenden Steuerdruckes.

9. Ausbau und Konzentration aller Aktionen, die der Beschaffung von billigen Investitionsund Betriebskrediten dienen.

10. Intensivere Zusammenarbeit zwischen Bund, Land und Gemeinden bei allen Maßnahmen zur Förderung der unterentwickelten Gebiete, um den Lungau, den Oberpinzgau und den Raum von Oberndorf-Lamprechtshausen in die österreichischen Entwicklungsgebiete ehestens einzubeziehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung