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Nach Berans Abreise

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Die Abreise des Erzbischofprimas von Prag, Kardinal Dr. Josef Beran, zum Konsistorium nach Rom hat als unerwarteter Erfolg der Verhandlungstätigkeit Monsignore Casarolis und der vatikanischen Diplomatie in der Tschechoslowakei wieder die Aufmerksamkeit auf die Situation der Katholiken in diesem Land gelenkt. Obwohl auch in der Tschechoslowakei die Mehrzahl der Gläubigen dem Bekenntnis nach Katholiken sind, bestehen doch einige wesentliche Unterschiede zu den anderen beiden Ostblockländern, die vorwiegend katholisch sind, zu Polen und Ungarn. Im Vergleich etwa zu der Sowjetunion mag die tschechoslowakische Bevölkerung, besonders in der Slowakei und in Teilen Mährens, als aktiv gläubig erscheinen, gegenüber der Religiosität der Katholiken Polens und Ungarns nimmt sich jedoch die Glaubensaktivität bescheiden aus.

Wenn man allerdings von der Situation der katholischen Kirche in der Tschechoslowakei spricht, muß man zwischen den beiden sprachlich und verwaltungsmäßig getrennten Staatsteilen unterscheiden. Die historische Entwicklung in der Slowakei verlief bis zum ersten Weltkrieg anders als diejenige Böhmens und Mährens, und in der ersten und zweiten tschechoslowakischen Republik war die Antagonie der Böhmen und Slowaken eines der wichtigsten Probleme des neuen Staates. Die folgenden Betrachtungen beziehen sich daher hauptsächlich auf Böhmen und auf Mähren. Die beiden Episkopate der Slowakei waren im Gegensatz zu denjenigen Böhmens und Mährens immer mit amtierenden Bischöfen besetzt; die Religiosität der slowakischen Katholiken hält Vergleiche mit derjenigen Ungarns aus, hat schließlich dieselbe Tradition; und die katholische Kirche selbst konnte sich im Windschatten des slowakischen Nationalismus besser behaupten als in Böhmen und,Mi%.;

Von der tschechoslowakischen Bevölkerung gehören etwa 70 Prozent nominell dem katholischen Bekenntnis an, aber anders als in Polen und Ungarn sind die tschechischen Katholiken kein politischer Faktor. Dieser Umstand, der das Bild der kirchlichen Situation in der Tschechoslowakei bestimmt und viele Tatsachen der Auseinandersetzung zwischen der kommunistischen Regierung und dem Vatikan erklärt, geht nicht etwa auf die antiklerikale und atheistische Propaganda der Regierung zurück, sondern ist historisch bedingt. Die böhmische Klerikale Partei hat sich in der Monarchie immer eindeutig hinter die Wiener Politik gestellt und hat es verabsäumt, sich mit den nationalen Zielen der Tschechen zu identifizieren. Auch die Folgen der zwangsweisen Katholizisie-rung und der Austreibung der Protestanten nach der Schlacht am Weißen Berg haben dazu beigetragen, die spätere Stellung der tschechischen katholischen Organisationen zu schwächen. Man kann sagen, daß die katholische Kirche den Einfluß der hussistischen Bewegungen nie überwunden hat. Die tschechische Regierung hat deshalb in ihren Verhandlungen mit' dem Vatikan weit mehr Bewegungsfreiheit als etwa die polnische, weil sie auf die katholische Grundeinstellung der Bevölkerung keine Rücksicht nehmen muß. Die tschechischen Katholiken, auch vor dem zweiten Weltkrieg nie besonders aktiv, haben 1948 mit der Zerschlagung ihrer Organisationen und dem Verstummen ihrer Presse jeden politischen Einfluß verloren.

Der diplomatische Erfolg des Vatikans, der sich in der Entlassung Kardinal Berans aus dem Hausarrest im „Altersheim“ von Radvanov und seiner Ausreise nach Rom dokumentiert, braucht also keine Rückwirkung auf die tatsächliche Situation der Kirche in der Tschechoslowakei zu haben. Er mag vielmehr eine nach außen hin bestimmte Geste der tschechoslowakischen Regierung sein, die damit ohne große Kosten ihr ausländisches Bild retuschieren kann. Einige Anzeichen der letzten Zeit sprechen zwar dafür, daß sich auch die innerböhmische Politik gegenüber der Kirche wandelt, aber das mag mehr im Zusammenhang mit der allgemeinen Lockerung der nach-stalinistischen Ära zusammenhängen, die ja in der Tschechoslowakei viel später einsetzte als anderswo.

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