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Nach dem Kulturkampf in Mexiko

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Mexikos Regierung stellt sich gegen die katholische Kirche - und vielfach auch gegen die eigene Bevölkerung. Christlicher Glaube und indigene Tradition sind tief verankert.  

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Mexikos Regierung stellt sich gegen die katholische Kirche - und vielfach auch gegen die eigene Bevölkerung. Christlicher Glaube und indigene Tradition sind tief verankert.  

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Als Anfang Dezember 1946 der Wechsel in der Präsidentschaft stattfand und Miguel Aleman, der mit großer Stimmenmehrheit gewählte Kandidat an die Spitze des Landes trat, erklärte der unterlegene Gegner, Ezechiel Padilla, daß er eigentlich als Sieger aus der Urne hervorgegangen wäre, wenn nicht die Regierung und das Militär die Wahl beeinflußt hätten. „Nie gab es eine wahre Demokratie in Mexiko“, sagte er. „Ich repräsentierte die Enterbten, die Knechte, Arbeiter und den Mittelstand.“ Die Partei des gewählten Präsidenten hat starke kommunistische Neigungen, obwohl ihre Protektoren die mexikanischen Millionäre sind, die das Volk von jeher plünderten. Andere Stimmen behaupteten, daß Miguel Aleman, der Kandidat der nationalen Revolutionspartei, gesiegt hat, weil er den Katholiken Zugeständnisse gemacht hat, denen zufolge sie ihre bisherige Stimmenenthaltung aufgaben.

Bisher hat Präsident Aleman die Härte der Verfolgungsgesetze in der Tat nicht angewandt. Er hat das kommunistische Schulgesetz gemildert, indem er ihm eine sozialistische Auslegung gab. Aber er konnte die alten Verbote gegen die Kirche noch nicht aufheben, weil er von denen abhängig ist, die ihn auf den Schild erhoben. Als Präsident Miguel Aleman 1948 im Triumph von seinem Besuch in den Vereinigten Staaten, wo man ihm außergewöhnliche Ehren bereitet und außerordentliche Geldhilfe zugesagt hatte, zurückkehrte, läuteten von 11 bis 12 Uhr Mitternacht alle Kirchenglocken der Stadt. Der Erzbischof hatte es angeordnet. Er begründete seine Anordnung: „Nachdem der Präsident im Auslande so sehr geehrt worden war, und in ihm das Vaterland, ist es am Platze, daß ihm die Bewohner von Mexiko dazu gratulieren.“ Die Episode kennzeichnet das leidlich bessere Verhältnis zwischen der Kirche und dem jetzigen Präsidenten, aber nicht das von Kirche und Staat.

Die altehrwürdige Kathedrale stand inmitten des festlichen mitternächtigen Empfanges, bei dem Hunderttausende den Platz zwischen Regierungspalast und Kathedrale füllten. Es war, wie wenn eine große geistige Macht, die durch acht Erzbischöfe und 25 Bischöfe, 96 Prozent aller Mexikaner vertritt, schweigend fragte: „Hast du den Katholiken nach den freundschaftlichen Besprechungen mit Kardinal Spellman in New York auch die vierte der Freiheiten, die Präsident Roosevelt vor aller Welt proklamierte, gebracht: die religiöse Freiheit? Wirst du also die Gesetze zur Knebelung des religiösen Lebens abschaffen, die aus einer gehässigen Verfolgungszeit stammen?"

Aber bis jetzt bestehen sie noch: der Papst hat seit fast hundert Jahren keinen diplomatischen Vertreter in diesem überwiegend von Katholiken bewohnten Land. Die Kirche ist ausgeschlossen von der Teilnahme an nationalen Festen. Noch immer besteht das Verbot des Religionsunterrichtes in der Schule, das Verbot der öffentlichen kirchlichen Prozessionen und Leichenbegängnisse. Die Priester müssen sich in voller weltlicher Kleidung außerhalb der Kirche zeigen. Kirchliche Taufen und Trauungen dürfen unter Androhung größerer Strafen nicht vollzogen werden ohne vorhergehende Eintragung in die Zivilregister. Kein Kloster, keine Klosterschule, darf als solche bestehen. Kein fremder Priester darf einwandern oder eine kirchliche Stellung bekleiden. Auch keine Ordensfrau hat das Recht, als solche sich in Mexiko aufzuhaken. Alle Kirchen, oft klassische Meisterwerke aus der Kolonialzeit, und die Güter der Kirche, sind Staatseigentum. Aber die Behörden kümmern sich nicht um ihre Erhaltung; manche werden als Museen, Bibliotheken, Werkstätten und Garagen benutzt.

Das Volk, im Gegensatz zu seiner Regierung, ist und bleibt seinem Glauben zugetan. Es ist noch etwas von der ersten Glaubenstiefe, die spanische Glaubensboten ihm in den ersten dreihundert Jahren nach der Eroberung einpflanzten und daneben ein Quantum von gutem Fanatismus des Indios, der festhält an alter Tradition. Das sind Elemente von unzerstörbarem Werte für eine Nation. Nur so kann man es erklären, daß inmitten des Jahrhunderts des Materialismus, die Welt staunend vernehmen mußte, daß in diesem Lande vor wenigen Jahren Märtyrer ihr Leben für den Glauben hergaben. Wir erinnern an den Priester Miguel Pro, der mit seinem Bruder und einem Arbeiter wegen ihres Einstehens für den Glauben und für die christliche Arbeiterschaft unschuldig, wie jetzt klar nachgewiesen ist, auf Befehl des Christenverfolgers, Präsident Calles, erschossen wurde. Nach den blutigen Verfolgungen unter Calles steht heute die Kirche mit ihren Gläubigen geeinter, gefestigter und verinnerlichter da.

Sich den Verboten anpassend, arbeiten männliche und weibliche Ordensleute im Laiengewande. Sie haben Seminarien, Schulen, Asyle und Spitäler, treten als weltliche Lehrer, Pflegerinnen oder Beauftragte des Bischofs auf. Aber alles in beschränktem Maßstabe und unter ständiger Furcht, morgen vielleicht vertrieben zu werden. Selbst den Religionsunterricht dürfen sie nur außerhalb des Schulprogramms geben. Der Klerusmangel nötigt die Priester, sich in ihren Arbeiten oftmals zu verdoppeln. Die sonntägigen Gottesdienste sind von Männern und Burschen fast ebensogut 'wie von Frauen und Kindern besucht. Man folgt dem Gottesdienst mit einer warmen Frömmigkeit, wie man sie in Europa selten spürt. Der Sakramentenempfang ist ein häufiger.

Die Eltern führen ihre Kinder selbst zur ersten heiligen Kommunion, nachdem sie ihnen, so gut sie es vermochten, persönlichen Unterricht gegeben haben. Wenn der Tourist in der Karwoche die Hauptstadt Mexiko besucht, findet er sämtliche Kirchen gedrängt voll. Jedes Jahr am Krönungstage unserer Lieben Frau von Guadalupe sammeln sich hunderttausende Arbeiter im nationalen Heiligtuitį Unverkennbar haben die Verwüstungen durch die Kulturpolitik eines Calles und seiner Gleichgesinnten auch schon böse Erscheinungen dem Gesellschaftsbilde eingefügt.

Es greifen in Mexiko Zerrüttung des Familienlebens, jugendliches Verbrechertum und Analphabetismus um sich. Die Statistik der letzten Jahre weist zweieinhalb Millionen Konkubinate auf; die Bestimmungen über Ehescheidung sind äußerst locker. Die Jugendgerichte erklären öffentlich, daß das zerrüttete Familienleben und die Religionslosigkeit der Schule die Ursache sind; im Vorjahre wurden 5000 Minderjährige hauptsächlich wegen Diebstahls und Unzucht dem Gerichte eingeliefert. Bei solchen Zuständen und bei der Tatsache, daß noch tausende Schulen und 4500 Lehrpersonen fehlen und zweieinhalb Millionen schulpflichtiger Kinder ohne Unterricht sind — man versucht jetzt, dem Übel abzuhelfen —, ist die Monopolisierung der Schule durch den Staat für die Volkserziehung der härteste Schlag.

Ein Regime, das in einem noch nicht ganz kulturell entwickelten Staatswesen dem Volke das frei Wirken der Kirche entzieht, sich nur im Nachahmen anderskonstruierter Länder gefällt, begeht einen verantwortungsvollen Irrtum. Soweit die Kirche mit ihren gebundenen Händen kann, sucht sie dem Übel abzuhelfen.

Die Katholiken haben das schwere Unrecht, das man ihnen in den letzten Verfolgungen angetan hat, verziehen und widmen sich, soweit es ihnen die noch bestehenden Verbotsgesetze gestatten, der Gesundung und Erneuerung der Nation, vor allem in ihren Bemühungen um die Verchristlichung der Familie. Sie arbeiten für den Fortbestand der alten, im Volke wurzelhaft lebenden Traditionen, für die Integrität des Landes und seiner Einrichtungen, gegen das Vordringen des Sektenwesens, für mexikanische Kunst, Musik und Architektur. Ihr Land ist das drittgrößte Lateinamerikas und infolge seiner geographischen Lage an der Scheide zweier Ozeane und zweier Welten, der lateinamerikanischen und anglosaxonischen, von größter Bedeutung für die Zukunft.

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