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Nach dem letzten Akt

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Alexander Duböek, bis vor kurzem tschechoslowakischer Botschafter in Ankara, in die Heimat zurückgekehrt, um angeblich seine kranke Mutter zu besuchen, wurde bei seinem Heimataufenthalt aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen. Damit ist Alexander Dubcek, der Held des „Prager Frühlings“, politisch tot.

Die Dubcek-Gegner haben dem Ersten Parteisekretär der KPTsch der 470 Tage, die vom 3. Jänner 1968 bis zum 17. April 1969 liefen, viel vorgeworfen. Vor allem, daß er zu weich gewesen sei, daß er die „Rechtsopportunisten“ habe hochkommen lassen, daß er den Primat der Partei gefährdet habe, daß er den aufkommenden Antisowjetismus nicht gebremst und außenpolitisch eine Parteigruppierung mit Jugoslawien und Rumänien nach dem Modell der seinerzeitigen Kleinen Entente gefördert habe..

Dies alles mögen Gründe gewesen sein, ihn als Parteichef zu entfernen, was im April 1969 auch geschah. Es mögen Ursachen genug gewesen sein, ihn aus dem Parteipräsidium auszubooten, was im darauffolgenden September erfolgte, und ihn schließlich zum Verlassen des Zentralkomitees seiner Partei zu zwingen, was fast haargenau zwei Jahre nach seiner Wahl zum Ersten Mann in der KPTsch und damit zum Ersten Mann der Tschechoslowakei im Jänner 1970 erfolgte.

Die Gründe für einen Ausschluß aus der kommunistischen Partei sind alles im allem lächerlich. Denn es hat keinen ergebeneren Diener der Partei, keinen begeisterten Kommunisten gegeben als Dubcek, dessen Lebenslauf gerade in dieser Hinsicht an Eintönigkeit nichts zu wünschen übrigläßt: Sein Vater war „Kommunist der ersten Stunde“, sein Bruder fiel als kommunistischer Partisan in der Slowakei; Alexander Duböek selbst diente sich bis zum Jänner 1968 langsam und ohne viel Aufsehen in der Parteihierarchie hinauf, ohne jemals öffentlich ein Interesse an irgendeiner staatlichen Position wie einem Ministeramt zu haben. Unterbrochen wurde dieses Funktionärsleben durch den Besuch der Parteihochschule in Moskau, die er als Vorzugsschüler verließ.

Wer ist es also, der heute daran Interesse hat, daß der Name Dubcek verschwindet, wer ist es, der ihn durch eine Art kommunistischer Exkommunikation vernichten will? Sein Nachfolger Dr. Gustav Husäk gewiß nicht. Zweifellos hatte Husäk nie besondere Sympathien für seinen slowakischen Landsmann Dubcek, und Husäks eiskaltes politisches Temperament war dem Dubceks direkt entgegengesetzt. Die bisherige Kaltstellung des früheren Parteisekretärs hätte für Husäks völlig ausgereicht.

Die völlige Vernichtung des politischen Image ist dagegen das Ziel der orthodoxen Kommunisten vom Schlage eines Biläk, eines Kolder oder Ritter, jener Gruppe also, die die Bevölkerung nach dem 21. August 1968 als „Kollaboranten“ der Besatzungsmächte oder auch nur der Russen brandmarkte und verachtete; sie hat ihnen diese Kollaboration nicht vergessen. So stark ihre Position im Parteipräsidium auch ist — nicht zuletzt auch gegenüber dem Einzelgänger Husäk — so wenig werden sie den Sprung in die erste Reihe der Politik machen können. Denn hier warten bereits junge Technokraten, die sich als Kronprinzen Husäks etabliert haben, wie Strougal und Kempny, die als Ministerpräsident und als Chef des tschechischen Parteiapparates gleich einflußreich sind. Aber auch sie werden ebensowenig wie Husäk in der Bevölkerung einen Enthusiasmus entfachen können.

Wer also hat ein Interesse an der Enthauptung Duibdeks? Zunächst, wie gesagt, diese Gruppe der Kollaboranten, der es nicht genügte, daß Dubcek entmachtet wurde, die ihn vernichtete, damit er endgültig von der politischen Bühne verschwinde. Und warum? Dieser Vorzugsschüler der Moskauer Akademie, dieser überzeugte Kommunist Dubcek war mehr ungewollt als gewollt der Held des Prager Frühlings. Durch rund 200 Tage war er die Hoffnung, daß sich der Kommunismus auch in liberalen Bahnen bewegen könne. Er war ein Symbol' nicht nur für Tschechen und Slowaken, sondern auch für alle Länder des Ostblocks, von der DDR über Polen, Ungarn bis Rumänien.

Aber ein solches Symbol konnten die Russen nicht dulden, und so ließen sie ihn denn durch ihre Getreuen zuerst entmachten und jetzt vernichten. Warum aber gerade jetzt? Gerade jetzt findet eine Erweiterung der EWG statt. Zu den bisherigen Mitgliedstaaten werden sich möglicherweise Großbritannien, Irland, Norwegen, Dänemark und vielleicht eines Tages auch Schweden gesellen. Die Ansicht, die bei Gründung der EFTA vielfach geäußert wurde, daß dieser Block von Großbritannien nur gegründet wurde, um eines Tages in die EWG mit einem möglichst großen Heiratsgut eintreten zu können, scheint sich zu bewahrheiten. Wenn der Beitritt aller Staaten vollzogen sein wird, dann wird die EWG sehr stark sein, und dann wird vor allen Dingen Europa sehr stark sein, und an der westlichen Flanke Rußlands wird sich wieder einmal ein Block bilden, der einer der stärksten wirtschaftlichen und politischen Machtkonzentrationen der Welt darstellen wird.

Rußland in seiner ewigen Angst vor der Außeinandersetzung mit China wird alles versuchen, die Bildung dieses Blockes zu verhindern oder zu verzögern. Durch die Kontakte mit Brandt versuchte es, Deutschland aus der Kombination herauszubrechen. Und auf jeden Versuch Österreichs, sich in einer noch so unverbindlichen Form mit der EWG zu liieren, reagiert Rußland allergisch. Es wird auch allergisch gegenüber jedem leisen Windhauch, der sich innerhalb seiner vorgelagerten Satelliten rührt und der eine Liberalisierung der dortigen Regimes nach sich ziehen könnte. Denn jede Liberalisierung bedeutet ein Sich-Entfer-nen von Rußland. Und Duböek, der Held des Prager Frühlings, ist das Symbol dieses liberalen Kommunismus. Seine Existenz allein innerhalb der Partei könnte genügen, einen neuen Frühling daraus entstehen zu lassen. Und deshalb mußte er durch seinen Ausschluß aus der Partei kaltgestellt werden.

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