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Nationale gegen Südtirol

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„Die Nationalisten glauben, ihre Stunde sei wieder einmal gekommen ... Die Nationalisten irren sich; ihre Stunde wird kurz sein. Aber sie kann trotzdem Unheil bringen, wenn wir nicht achtgeben. Wir müssen uns sammeln und ihnen das Handwerk legen ... Der Volkstums-gedanke im Sinn einer mystischen, blutsmäßig-kulturellen Ganzheit, der hier gerade von deutscher Seite immer wieder hineingebracht wurde, hat sich als politisch unfruchtbar, ja gefährlich erwiesen ...“

AlPd von Behack im „Mont“, Heft 1B7 *

Die Bomben explodierten in der Herz-Jesu-Nacht, am 21. Junii 1961. Der Terror begann später. Er begann in jenem Augenblick, in dam Südtirol vor der Weltöffentlichkeit mehr zu werden schien als ein Streitobjekt zwischen Wien und Rom, mehr als ein Krisenherd im NATO-Staat Italien.

Er begann, als Südtirol politisch interessant geworden war. Interesse bekundeten vor allem jene, deinen ein nationaler Konflikt im Herzen Europas gelegen kam, die politischen Zündstoff brauchten, um sich und ihr Wollen zu legitimieren, die durch lautstarke Agitation in einer vorwiegend von national-emotionellen Momenten bestimmten Konfliktsituation hoffen durften, jene Publizität au erlangen, die sie später in die Lage versetzen würde, ihr nach 1945 kreieirtes Fernziel zu verwirklichen: die „nationale Neuordnung Europas“.

Rechtsradikale aus beinahe allen europäischen Ländern hoben an, sich ki und für Südtirol zu engagieren. Rechtsextremisten aus Österreich und Leutschland, in den Jahren nach dem Krieg zu politischer Untergrundarbeit verdammt, ohne Chance durch „populäre“ Forderungen breitere Massen anzusprechen, machten sich zu Fürsprechern des Südtiroler Volkes und die Sache der Südtiroler zu der ihren.

Während Italiens Behörden die sehr lose geformten Südtiroler Widerstandsgruppen zerschlugen, während hunderte Südtiroler Bauern in italienischen Gefängnissen eingekerkert wurden, entglitt die Organisation des Widerstandskampfes völlig jenen, die sie geschaffen hatten.

Das Interesse der Rechtsnationalen an Südtirol ist jung. Noch spätestens 1945 erklärten sie sich solidarisch mit jenem Vertragswerk, das einst Hitler und Mussolini ausgehandelt hatten. Erst in den Jahren nach 1950 begann

das Interesse an dem Schicksal Süd-tirols zu erwachen.

Früher nur Antifaschisten

Es ist wesentlich, festzustellen, daß sich vor 1961 nur sehr wenige Rechtsnationale für Südtirol engagiert, ja daß sich in den Reihen der „1961er“ fast ausschließlich pronon-cierte Antifaschisten befunden hatten. Die Widerstandsbewegung rekrutierte sich vor allem aus Sudtirolern, die allerdings auf tatkräftige Unterstützung aus Österreich und Deutschland zählen durften. Der Freiheitskampf wurde nicht von weitschweifigen politischen Ideen getragen, sondern hatte sich ausschließlich e'n Ziel gesetzt: Beschleunigung der Verhandlungen zwischen Rom und Wien.

Nach 1961 änderten sich die Aspekte. Rechtsnabionale gewannen Einfluß. Jene Österreicher, die den Widerstand vor 1961 noch gutgeheißen hatten, begannen sich von den neuen Führern des Freiheitskampfes zu distanzieren. Hatten vor der Feuernacht die Südtiroler selbst den Wi-

derstandskampf getragen, so stellten nun nationale Vereinigungen, Burschenschaften und rechtsnationale Bünde das Fußvolk. Nicht mehr die Südtiroler zogen gegen Roms Willkür ins Feld, sondern junge Burschen aus Graz, Innsbruck, Wien oder Hörer deutscher Universitäten. Die Führer dieser neuen Gruppen hatten sich, schon Jahre bevor sie sich in Südtirol zu engagieren begannen, politisch eindeutig klassifiziert.

Der Radikalismus beginnt

Mit dem Einfluß der Rechtsnatio-

nalen begann der Radikalismus. Die Südtiroler selbst hatten fast jeden Einfluß auf die Widerstandbewegung verloren. Man konnte bald von einem nach Südtirol importierten Terror sprechen, dessen Zielsetzung sich in letzter Konsequenz wesentlich von den ursprünglichen Bestrebungen der Südtiroler Freiheitskämpfer unterschied.

In Südtirol begann eine Bewegung Einfluß zu gewinnen, drie in so augenscheinlicher Deutlichkeit nie vor 1945 vor die Öffentlichkeit getreten war. Der Führer der Rechtsradikalen, die nun in Südtirol agierten, gehörten fast ausschließlich jener Formierung an, die bald nach dem Ende des Weltkrieges die „nationale Neuordnung“ zu propagieren begonnen hatte. Ihre Ohefs waren Mitglieder einer gesamteuropäischen nationalen Vereinigung, die zwar nie geschlossen aufgetreten war und es auch vermieden hatte, sich als deutlich abgegrenzte Gruppierung zu erkennen zu geben, die aber dennoch ihren internationalen Charakter schwer verleugnen konnte.

In jenem Augenblick, in dem sich die nationalen Neuerer Südtirol als neue Basis zur Verkündung ihrer Ideen ausersehen hatten, begann die Widerstandsbewegung, die bis dahin für eine gute Sache, nämlich die Selbstbestimmung der Südtiroler gekämpft hatte, in ein gefährliches politisches Fahrwasser abzugleiten.

Die Kontakte der Neunationalen waren und sind auch heute noch vielfältig international. In ihren Reihen finden sich Männer, die ihre Karrieren unter Hitler begonnen hatten und für die das Jahr 1945 eine kaum unbedeutende Zäsur dargestellt hatte. Sie sitzen in Madrid, Kairo oder Sao Paulo ebenso wie in der Bundesrepublik oder in Italien. Sie haben politische Kontakte nach Ost und West. Und gerade diese oft dubiosen politischen Beziehungen sind es, die zur Verwirrung in Südtirol beigetragen haben.

Zum Verständnis des makabren politischen Spiels, das mit Südtirol getrieben wurde, ist festzuhalten, daß | etwa die allzu deutlich demonstrierte ; Feindschaft zwischen Rechtsnationalen in Österreich und Deutschland zu Italiens Neofaschisten in den meisten f] Fällen nur ein sehr geschickt kalkulierter Faktor in einer raffiniert konzipierten politischen Rechnung ist.

Das Attentat von Ebensee

Ebensee mag es beweisen. Es ist kein Zufall, daß es gerade eine rechts von der MSI stehende Organisation war. die für diesen Anschlag verantwortlich zu machen ist. Ebenso ist es kein Zufall, daß eine Reihe rechtsextremer Vereinigungen in Österreich und Deutschland zu dieser Formation beste Beziehungen unterhält.

Das Interesse der italienischen Neofaschisten an Südtirol ist dem der Rechtsextremisten in Österreich und der Bundesrepublik recht ähnlich, wenn auch die Voraussetzunigen des Engagements bisweilen verschieden gewesen sein mögen.

Italiens Neofaschisten brauchen ebenso wie die Rechtsnationalen eine Krise in Südtirol. Sie haben kein Interesse an einer Befriedigung des Landes, denn wäre diese erreicht, wäre ihnen eine Plattform spektakulärer Propaganda genommen. Daran kann jedoch eine Bewegung, die ihre Legitimität fast ausschließlich von ihrem Eintreten für oder gegen Südtirol ableitet, naturgemäß kein Interesse haben. So forciert man diesseits und jenseits des Brenners den Konflikt — eine „escalation of crise“ — mit den Ziel, über Südtirol neuen Einfluß und neue politische Macht zu erlangen.

Für die „soziale und nationale Revolution“

Die Neuformierung neofaschistischer und neonazistischer Organisationen zu einer faschistischen Internationale begann schon bald nach Kriegsschlüß. Im Mai 1951 wurde in Malmö (Schweden) die erste paneuropäische faschistische Internationale gegründet, die überlokale Bedeutung erlangen sollte: Die ESB (Europäische Sozialbewegung). Die Bezeichnung ESB wurde von der italienischen MSI (Movimento Sociale Italiano) entlehnt. Ziel der ESB war die Sammlung der „materiellen und moralischen Kräfte“ Europas. Mittel, dieses Ziel zu erreichen, war eine „soziale und nationale Revolution in jedem Land“ (Gründungsmanifest der ESB, 1951). Der Generalsekretär der ESB sollte stets der Generalsekretär der MSI sein. Die Führung der ESB übernahmen Doktor Per Engdahl (Malmö), Emesto Massi (Italien), Karl Heinz Priester (Deutschland) und Maurice Bardeche (Frankreich).

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