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Nationalfeiertag gesucht!

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Die Amerikaner feiern den Tag, an dem sie ihre Unabhängigkeit von England ausgerufen haben, den 4. Juli, als Nationalfeiertag. Die Franzosen haben ihren „Quatorze Juillet", den 14. Juli, an dem sie 1789 mit dem Sturm auf die Bastille den Weg zur bürgerlichen Republik freigemacht haben. Und die Engländer haben zwar ihren St.-Georgs- Tag, aber ihre eigentlichen Nationalfeiertage sind die Bank-Holidays, an denen alle Banken und Geschäfte geschlossen sind und jedermann ein Superwochenende genießt. Wenn im übrigen ein Volk keines Nationalfeiertages bedarf, dann ist es das britische, das sich als erstes in Europa zur Nation zusammenschloß. Etwas anderes ist’s mit uns Österreichern. Wir haben zwar nicht einen, sondern mehrere Staatsfeiertage, aber wenn man genauer hinschaut, haben wir eigentlich keinen — jedenfalls nicht als gesamte Nation.

Die in der Zeit der Monarchie Geborenen — auch die seither gut republikanisch Gewordenen — erinnern sich noch an den 18. August, Kaiser Franz Josephs Geburtstag. Es war, nehmt alles in allem, ein echter Volksfeiertag mit allem, was dazu gehört. Jedermann hatte arbeitsfrei, wir Kinder hatten zwar sowieso schon Ferien, aber inmitten von deren Herrlichkeit gab es eine Steigerung durch diesen Tag mit seinen Festlichkeiten mit Essen und Trinken, mit Feuerwerk und mit Lampions, die wir am Abend entzündet durch die Straßen trugen, patriotische Lieder singend, schwarzgelbe Fähnchen schwenkend; in Wien umlagerte die Bevölkerung in Massen den Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz, der nur zu diesem Tag illuminiert wurde, während heute kein Mensch mehr sein prächtiges Farbenspiel beachtet, das während des ganzen Fremdenverkehrssommers zu sehen ist.

Nach dem ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch der Monarchie hatten wir gleich zwei Sjtaąlsfeier ągg: ,dę® Tag der Ausrufung der Republik, den 12. November, und den 1. Mai. Aber beide Tage wurden in der Ersten Republik de facto nur von der Sozialdemokratie und der Arbeiterschaft gefeiert. Beim 1. Mai lag das nahe, da er seit 1889 als ihr Kampffeiertag für den Achtstundentag und das allgemeine Wahlrecht etabliert war. Mit dem 12. November erwies sich jedoch, daß ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung es schwer verwinden konnte, daß er mit der Monarchie mehr verloren als mit der Republik gewonnen hatte. Und es war kaum eine so gute Zeit, als daß sich das Volk um den Tag einer Republik zusammengeschlossen hätte, in der der allgemeine Brotlaib so klein geworden und mit der Wirtschaftskrise noch kleiner wurde, daß der Kampf um den Anteil daran immer erbitterter geführt wurde und die Nation sozial und politisch so tief zerspalten war, daß sie sich kaum als Nation fühlte. So wurden all die Tage, die von der Ersten Republik, über den Ständestaat Dollfuß’ und Schuschniggs, bis in den NS-Staat hinein, als vom ganzen Volk zu feiernde ausgerufen wurden, immer nur von jenen gefeiert, die an das jeweilige Regime politisch attachiert waren, niemals aber von allen.

Und als zuletzt nicht wenige Österreicher durch einen viel ärgeren Weltkrieg, als es der erste gewesen war, von der Illusion befreit wurden, daß sie gemeinsam mit den Deutschen dazu berufen seien, andere Völker zu beherrschen, und als alle weiterhin auch mit einer militärischen Besetzung durch die Sieger in jenem Krieg für jene Illusion bezahlen mußten, da erst begannen sie, sich als Volk zusammenzuschließen und zueinander zu finden. April — Mai — Oktober

Eine Reihe von Tagen markierten diese Entwicklung. Da war der 28. April 1945, an dem die erste provisorische Regierung des neuerstehenden Österreichs inmitten schwelender Brand- und Bombenruinen zusammentrat. Dann kam der gloriose 15. Mai 1955, an dem wir durch den Staatsvertrag wieder als unabhängiger Staat gleichberechtigt in den Verein der Völker aufgenommen wurden. Und da war schließlich der 26. Oktober 1955, an dem unser Parlament nach dem Abzug des letzten fremden Soldaten aus Österreich feierlich die immerwährende Neutralität unseres Staates beschloß.

Wir hätten also genügend Auswahl für einen Nationalfeiertag. Dennoch konnten sich unsere Regierenden bisher nicht entschließen, uns einen zu geben — was nicht gut ist. Die Zeiten sind nicht so, es ist zuviel, entsetzlich viel Unsicherheit und Bedrohung von außen auf der Welt, als daß wir nicht dringend einer alljährlichen, das ganze Land und alle seine Bürger umfassenden feierlichen Manifestation unserer nationalen Einheit bedürften, die — trotz aller und ewig nötigen parteipolitischen Gegensätze — heute mehr denn je besteht.

Geschichte eines Vorschlages Der letzte Versuch, diesem Mangel abzuhelfen, kam im vergangenen Jahr, als der damalige Bundeskanzler Ingenieur Julius Raab vorschlug, daß der 1. Mai nicht mehr von den einzelnen Parteien getrennt, sondern von allen gemeinsam als wahrer Volksfeiertag gefeiert werde. „Irgendwie“ versank dieser Vorschlag, wie so oft in Österreich, in den Schlaglöchern und Geschoßtrichtern des parteipolitischen Vorfeldes. Dazu mochte beigetragen haben, daß die Diskussion darüber auf beiden Seiten kleinlich und politisch unreif geführt wurde. Im sozialistischen Lager -(siehe die Zeitschrift „Die Zukunft“, Nummer 5 und 6 des Jahres 1960) machten sich vor allem jene hörbar, die den 1 Mai als einen Tag des Klassenkampfes und der Klassenkampfparolen bewahren wollen. Ihnen kamen auf der anderen Seite Stimmen entgegen, die glaubten, den Vorschlag Raabs zum Anlaß nehmen zu können, der Partei und dem Glauben an den Sozialismus, die den 1. Mai hervorgebracht hatten, eins auswischen zu können. Beide Haltungen sind falsch. Die eine, weil sie erstens die große Lehre aus dem Zusammenbruch der Ersten Republik ignorierte, daß es keine demokratische Entwicklung — auch zum Sozialismus nicht — durch eine Beschränkung auf das eigene politische Vorhaben und die Abstoßung aller, die -sich nicht dazu bekennen, geben könne. Daran knüpft sich der Denkfehler, daß man einerseits den 1. Mai als Staats feiertag erklärte und weiter zu erhalten wünscht ttnd anderseits all jene von ihm auszuschließen versucht, die entweder nicht an Klassenkampf glauben oder ihn auf jeden Fall nicht auf der Straße ausgetragen wünschen. Das letztere erscheint berechtigt, weil ja die Praxis schon längst zeigt, daß es in einer demokratischen Republik nicht an Möglichkeiten und Gelegenheiten außerhalb der Straße mangelt. Sicherlich leben wir politisch und auch sonst noch nicht so sehr in Herrlichkeit und Freuden, als daß der Gang auf die Straße ä tout prix auszuschließen wäre.

Keinesfalls ist aber die Situation mehr die, in der just der 1. Mai hierzu notwendig gewesen war. Und auf keinen Fall ist sie so, daß deswegen eine Gelegenheit, die für uns so wichtige feierliche Manifestation unseres endgültigen nationalen Zusammenschlusses in Anspruch zu nehmen, nicht wahrgenommen wird.

Die auf der anderen Seite aber haben unrecht, wenn sie es für möglich halten, daß die Bedeutung der Arbeiterbewegung für die Gesamtentwicklung der Nation ignoriert werden kann oder soll. Wir befinden uns heute bereits, Gott sei Dank, in einem Stadium unserer nationalen Entwicklung, in dem wir — wohin immer wir gehören — alle Faktoren anerkennen können, die zur Bildung unserer Geschichte beigetragen und uns dahin gebracht haben, wo wir uns jetzt befinden. Sind wir denn so unzufrieden damit? Es wird nicht einmal einem französischen Royalisten heute mehr einfallen, den 14. Juli als Nationalfeiertag zu ignorieren, weil mit diesem Datum die Ausgangssituation für den Sturz des Königtums entstand. Er anerkennt ihn als Faktor zum Zusammenschluß der französischen Nation an, als wesentliches Symbol ihrer Existenz — die immer noch und zu allerletzt am wichtigsten ist. Derlei Erwägungen sind heute bereits auch durchaus für den 12. November anwendbar. Was aber den 1. Mai betrifft,: so könnte er gerade infolge seiner Vorgeschichte auch als

Volksfeiertag allen Parteien Gelegenheit bieten, in edlem Wettbewerb an diesem Tag dem Volk zu proponieren, was sie am besten für seine Zukunft halten.

Die Jugend denkt anders

Es scheint jedoch, daß leider vorläufig weder jene, die den 1. Mai für sich allein haben wollen, noch die anderen, die im 12. November vor allem den Tag sehen, an dem die Macht und die Herrlichkeit der Monarchie entschwand, dazu zu haben sind, aus diesen Tagen echte Nationalfeiertage zu machen. Wie ste’nt’s aber mit der Jugend, jener Jugend, die in eine ganz andere Zeit hineingeboren wurde und heute bereits in ‘mmer bedeutenderem Maße an ihrer Formung teilnimmt? Diese Jugend steht dem Verhalten der Älteren mit Bedauern und nicht ohne leise Verachtung gegenüber. Anläßlich eines Preisausschreibens zum Tag der Fahne im Jahre 1960 haben Schüler von Bundeslehrerbildungsanstalten Aufsätze und Gedichte verfaßt (siehe „Erziehung und Unterricht“, Jahrgang 1961, Heft Nr. VII, September), aus denen die folgenden Zeilen stammen:

„Als wir auf die Welt kamen, gab es kein Österreich — auch nicht in den Herzen, denn es war Krieg, und unsere Väter starben nicht für Österreich. Sie starben für irgendeinen und nannten es: Sterben fürs Vaterland … Unsere erste Bekanntschaft mit dem neuen — alten Staat machten wir, als unsere Tauftaier ungültig wurden und unsere Mütter mit Groschen und Schillingen zu rechnen begannen …"

Und weiter:

„Ihr reißt die längst vergangene Zeit aus den Gräbern.

Laßt sie schlafen, die Helden! Vergeßt die Tränen des silbernen Menuetts!..,

Ein Land, das uns trägt, ein Strom der unendlichen Wellen. Unser Leben liegt in ihm, unser Tod, unsere Träume.

Schließe die Augen und höre die Sprache des Stroms!

Das Herz deines Landes ist in dir.

Es stirbt mit dir, wenn du der mächtigen Zeit unterliegst.

P. Willnauer, 5. Jahrgang BLBA,

20 Jahre alt Der 26. Oktober

So die Jugend. Und so wie bisher, wird auch in diesem Jahr — wenn sich unsere Regierenden zu nichts entschließen können — am 26. Oktober die seltsame Tatsache offenbar werden, daß unsere Jugend im Tag der Fahne (verzichten wir auf das Wort „Flagge“)

einen Nationalfeiertag besitzt und begeht, der von der übrigen Nation ignoriert oder übergangen wird.

Zu diesem Tag ist es zum erstenmal im Jahre 1955 gekommen. Damals hat die Bundesregierung die Vertreter der österreichischen Schuljugend ms Wiener Konzerthaus eingeladen, einen Tag vor dem 26. Oktober, an dem im Parlament das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs feierlich beschlossen wurde, nachdem der letzte fremde Soldat österreichischen Boden verlassen hatte. Dies hat Bundeskanzler Raab der Schuljugend damals angekündigt, und Bundespräsident Doktor Theodor Körner sagte zu ihr:

,,Dieser Tag ist es wert, im Gedächtnis aller Österreicher als FeSt- und Erinnerungstag weiterzuleben … Das gilt insbesondere für euch junge Menschen, die kommende Generation, die ihr aus allen Bundesländern zusammengekommen seid, um die Flagge der Republik in der Bundeshauptstadt zu grüßen. Sie ist das Zeichen der vollen Freiheit des Vaterlandes.“

So ist es also zum Tag der Fahne gekommen, der seither alljährlich treu und würdig von der Jugend in ihren Schulen gefeiert wird. Und dies nicht nur, weil das Unterrichtsministerium es veranlaßt hat, sondern weil die Jugend — wie aus den oben zitierten Zeilen ersichtlich ist — ein echtes Bedürfnis darnach empfindet. Ebenso empfindet sie aber jedes Jahr aufs neue mit Befremden, daß sich die Erwachsenen von diesem Tag ausnehmen und ihn nicht zusammen mit der Jugend feiern.

Zur „Gutmachung“ wäre heuer eine besonders günstige Gelegenheit, da durch Verfügung des Unterrichtsministers diesmal das „schöpferische Österreich" gefeiert werden soll — also vornehmlich ein Fest der „Erwachsenen“.

Charakteristischerweise’ wird das Manko auch von erwachsenen Österreichern im Ausland verspürt, wenn zum Beispiel unsere diplomatischen Vertretungen zum Tag der Fahne (der von ausländischen Regierungsstellen und fremden diplomatischen Missionen wie selbstverständlich als unser Nationalfeiertag angenommen wird) Glückwünsche, aber auch Zeichen der Verwunderung darüber erhalten, daß die Österreicher selber den Tag nicht feiern.

Muß Österreich wirklich noch so lange warten, bis die Jungen sich in Amt und Würden befinden und genug Macht besitzen, um „ihren“ Tag der Fahne zum Tag der Nation zu erheben? Oder wäre es — angesichts der vielen uns jetzt nur von außen drohenden Gefahren — nicht doch möglich, daß die ältere Generation über den Schatten einer Vergangenheit springt, in der wir unfähig waren, die Nation zu sein, die wir heute tatsächlich schon sind?

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