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Nationalitätenrecht mit Vorbehalt

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Der Begriff des Nationalitätenrechtes entstammt dem alten Österreich. Er wurde 1919 eliminiert. An die Stelle der „Nationalität“ trat d:e „völkische Minderheit“. In den Mindcrhcitcnschutzverträgcn, die von den Siegermächten im Anschluß an die Friedensverträge einem Teil der Staaten des sich neu formicrendep Europa auferlegt wurden, war der Versuch gemacht worden, Minderheitenrecht als allgemeines Völkerrecht zu setzen. Der Versuch erlitt Schiffbruch. Reibungen zwischen Staatsmacht und „Minderheiten“ haben im' Zeitabschnitt zwischen den beiden Weltkriegen das europäische Zusammenleben in zunehmendem Maße vergiftet und wurden schließlich Vorwand zum zweiten Weltkrieg. Die zahlenmäßig in die Millionen gehenden Aussiedlungen völkischer „Minderheitcri“ in und t nach dem letzten Krieg, denen an Umfang und Grausamkeit in viertausend Jahren europäischer Geschichte wenig an die Seite gestellt werden kann, haben den Untergang des Minderheitenrechts besiegelt.

Allein selbst eine die Grenzen des Titanischen streifende Skrupellosikeit der Menschen vermag Gedanken Gottes nicht auszulöschen — Hitlers gigantisch-s Experiment der Auflehnung gegen die Vorsehung wird ein ewiges Mahnmal bleiben Und Gedanken Gottes bleiben die Völker auch in ihrer Zersplitterung und Zerstreuung, göttlichen Ursprungs ist das Recht. Das tote Minderheitenrecht lebt noch, wenn auch noch zagend und halb im verborgenen. Schon am 7. Februar 1945 hat Rumänien sich ein „Nationalitätcnstatut“ mit Gesetzeskraft gegeben. Der Tatsache kommt über ihre lokale Bedingtheit hinaus Bedeutung zu Noch kommen die Früchte der neuen Lage einer einzigen „Nationalität“ zugute, der magyarischen. In den gemischtsprachigen

.Gebieten des historischen. Dreivölk?rlandes Siebenbürgen, das im Pariser Frieden neuerdings ganz zu Rumänien geschlagen wurde, amtet die Verwaltung heute schon doppelsprachig, ungarisch und rumänisch. Zu den nach dem 2. Wiener Schiedsspruch (August

. 1940) in dem vorübergehend ungarisch gewordenen Nord- und Östsiebenbürgcn in fieberhafter Ei'e erri-'^eten m agrarischen Schulen, die von den Rumänen als Staatsschulden mit ungarischer Unterrichtssprache übernommen wurden, hat der rumänische Staat in Südsiebenbüraen eine entsprechende Anzahl neuer ungarischer Staats- und Kirchcn-schulen neu aufgestellt, be?iehtins|*rjeise aufzustellen erlaubt und sie mit den gesetzlichen staatlichen Zuschüssen ausgestattet. Das höhere Schulwesen der Ungarn in Siebenbürgen V-nn sich entfalten In Klms-nhurg (Cluj. Krbzsvar) gibt es n C b t n der rumänischen eine ungarische Staatsuniversität, deren Dozenten teils bodenständige Siebcnbiirger, teils von den Budapester Unterrichtsbehörden namhaft gemachte ungarische Staatsangehörige sind. Die medizinisdie Fakultät der ungarischsprachigen „B61yai-Universität“ ist in Tar-gul Mures (Marosvasarhely) untergebracht, da die Klausenburger Kliniken der rumäni-sdicn „König-Ferdinand-Universität“ zugeteilt wurden. Drei Staatstheater mit ungarischer Bühnensprache, in Klausenburg, Marosväsdrhely und Großwardein, dienen der höheren geistigen Bildung des Magyarentums in Rumänien, das ein gut-gegliedertes Vereins- und Zeitungswesen unterhält und in einem „Volksbund der Ungarn in Rumänien“ politisch organisiert ist. Bei den Novemberwahlen des letzten Jahres hat der im Kartell mit den Regierungsparteien stehende ungarische „Volksbund“ seine Kandidaten überall durchgedacht und dem Magyarentum Rumäniens eine seiner Kopfzahl gemäße parlamentarische Vertretung gesichert.

Begeben sich Zeichen und Wunder? Ja und nein. Die Medaille hat auch eine Kehrseite: im Kernpunkt des Geschehens steht nicht die Ethik; sondern die Politik. Auch gibt das Gesetz keineswegs jedem das Seine. Neben der zweckmäßigkeitsgebotenen Behandlung des ungarischen „Volksbundes“ steht die rassische Verfolgung der deutschen Minderheit. Rechter Hand, linker Hand, alles vertauscht... Vor fünf Jahren florierte der deutsche „Volksbund“ (wörr,:-h so genannt in Nordsiebenbürgen, „Volksgemeinschaft der Deut-sdien“ in Rumänien); in Kronstadt (Turda), Alba Julia (Karlsburg) und anderswo hingegen wurden die letzten ungarischen Schulen geschlossen. Und geht man gar 10 Jahre zurück, dann findet man in der Hauptstoßrichtung des „Numerus valachi-cus“ die ungarische Minderheit, während die zahlenmäßig kaum halb so starke deutsche Volksgruppe sich damals relativer Schonung erfreute. Von Marschall Antonescus Gnaden erhielt sie dann im Jahre 1941 Rechte und Freiheiten einer weitgehenden Autonomie (die übrigens schon im Minderheitenschutzvertrag des Jahres 1919 bereits vorgesehen gewesen war) — nicht viel anders als heute die Ungarn.

Im Hintergrund stand damals Hitler-deut-chland, das seine Machtsphäre auch auf diesem Weg nach Osten auszuweiten trachtete. Heute steht im Hintergrund Sowjetrußland, das seinen Einfluß auf dem Balkan nicht durch nationalpolitische Reibungen im Gebiet seiner Interessensphäre beeinträchtigt wissen will. Mit eiserner Konseduenz werden die Vasallenstaaten dazu verhalten, dem . kapitalistischen Denken“ entspringende ..b^M-geoise“ Zänkereien um Volkstum und Sprache auszuschalten und die gesammelte Kraft der s zialen Umgestaltung der Gesellschaftsordnung zuzuwenden. In einer 1913 in Wien verfaßten Programmschrift „M arxismus und nationale Frag e“, in der er sich zur näheren Erklärung neben russischen vorwiegend auf die Nationalitätenverhältnisse und -kämpfe Altöstcrreichs bezieht und sich vorwiegend mit Theorien Otto Bauers und Karl Renners auseinandersetzt (2.'Auflage, Stern-Verlag, Wien 1945), erklärt Josef Stalin den nationalen Gedanken für einen unter den Bedingungen des aufsteigenden Kapitalismus ausgefochtenen Kampf der bürgerlichen Klassen untereinander. Durch Unterdrückung der Nationalität werde zwar auch der Proletarier getroffen und in der freien Entwicklung seintr geistigen Kräfte gehemmt. Allein die „Politik nationalistischer Repressalien“ sei für die Sache des Proletariats verderblich.

„Sie lenkt die Aufmerksamkeit breiter Schichten von den sozialen Fragen, “von den Fragen des Klassenkampfes, auf nationale Fragen, .gemeinsame' Fragen des Proletariats und der Bourgeoisie. Dies aber schafft einen günstigen Boden für die verlogene Predigt einer Jnteressenharmonie', für die Vertuschung der Klasseninteressen des Proletariats, für die geistige Knechtung der Arbeiterschaft. Dadurch wird der Sadie des Zusammenschlusses der Arbeiter aller Nationen ein ernsthaftes Hindernis bereitet“ (a. a. O., S. 20). Die Scheidung der Arbeiter nach Nationalitäten führe zum Zerfall der einheitlichen Arbeiterparteien, Teilung der Gewerkschaften nach Nationalitäten, Verschärfung der nationalen Reibereien, nationalem Streikbrechertum, völliger Demoralisation. Die Geschichte der Sozialdemokratie in Österreich sei ein beredtes Zeugnis dafür.

So schildert Stalin mit scharfem Blick für die Tatsachen das Negativum. Er lehnt nationale Autonomien ab. Die Lösung der nationalen Frage sei in der Gewährung von Gebiets autonomien gegeben.

Tatsächlich hat Rußland, wie man heute weiß, auch eine Zeitlang ernstlich den Gedanken völliger Gebietsautonomie für Siebenbürgen erwogen. Das heißt, Siebenbürgen sollte als selbständiges demokratisches Gebilde, wohl in ähnlicher Form wie die von der tschechoslowakischen Republik Dr. Beneschs dem östlichen Nachbarn abgetretene Karpatho-Ukraine, dem Bund der Sozialistischen Republiken der Sowjetunion angegliedert werden. Aber das Rußland Stalins ist großzügig genug gewesen, vom starren Festhalten an der Forderung einer Gebietsautonomie abzugehen und die — österreichische Lösung der „nationalen Autonomie“ zu akzeptieren, um einen neuralgischen Punkt in seinem neuen Machtgebiet, das von Rumänien und Ungarn als Zankapfel heiß umstrittene Siebenbürgen, zu neutralisieren.

In seiner praktischen Anwendung hat das rumänische Nationalitätenstatut indessen einen Mangel aufzuweien. Durch die Gebietsabtretungen des Pariser Friedens vom Jahre 1946/47 an Rußland und Bulgarien (Nordbukowina und Süddobrudscha) sowie durch freiwilligen Bevölkerungsaustausch hatte Rumänien seine Nationalitäten bis auf zwei: die Ungarn und die Deutschen, praktisch verloren. Den Ungarn und den Bruchstücken der restlichen Minderheiten (Juden, Slowaken, Serben) gegenüber kam das neue, russisch inspirierte Nationalitätenrecht zur Anwendung. Allein wenige Wochen, bevor es erlassen wurde, gingen unter dem Titel freiwilliger Arbeitsleistung die gesamte männliche Jugend der deutschen Minderheit bis zu 45 Jahren und alle deutschen Frauen bis zu 35 Jahren nach Rußland, von wo bisher wenige von ihnen, auch die nur krank, zurückgekehrt sind. Einige Wochen nachher aber erbrachte man ein Agrargesetz, dessen Durchführungsverordnung im Artikel 3, Abschnitt c), unter der Kategorie derjenigen, deren Besitztum samt lebendem und totem Inventar entschädigungslos zu enteignen ist, aufzählt „die rumänischen Staatsbürger deutsdier Nationalität (Abkunft), die der deutsdien Volksgruppe angehört haben“. Der deutschen Volksgruppe angehört haben aber alle Deutschen Rumäniens, weil die Gesetzgebung Marschall Antonescus sie global der Volksgruppe zugewiesen hatte.

Wenn Rumänien also, anders als andere Staaten, seine deutschen Staatsangehörigen nicht in Bausch und Bogen vertrieb und sich damit in der Flut europäischer Anarchie als ein Rechtsstaat erwies, so ist es — das muß objektiverweise zugegeben werden — von wirklich gerechter Durchführung des Nationalitätengesetzes doch weit entfernt. Noch 1944 hatte es ein „Gesetz zur Abschaffung der rassischen Verfolgung“ erbracht. Ein schweres, vom faschistischen Regime Antonescus an den Juden begangenes Unrecht wurde dadurch wieger gutgemacht. An Stelle der Juden sind nun die „Sachsen“ und „Sdiwaben“, das heißt die Deutsdien, die Prügelknaben geworden. Dabei hat eine der rumänischen Regierung im Jahre 1945 überreichte Denkschrift nachgewiesen, daß bei den Arisierungen von mehreren tausend jüdischen Geschäften, die in den Jahren 1940 bis 1942 vollzogen wurden, nur 17 von Sachsen getätigt worden sind. Auch diese gegen volle Bezahlung und zum Teil auf ausdrücklichen Wunsch der jüdischen Besitzer. Hier äußerte sich die den Sachsen eingeborene Achtung vor fremdem Eigentum. Und dennoch ist die gesamte Volksgruppe der Rumäniendeutschen völlig de-possediert worden. Mit ebensowenig Berechtigung konnte man sie für die — auf rumänischer und ungarischer Seite keineswegs ohne Gegenstück gebliebenen — politischen Verfehlungen einiger verblendeter jugendlicher Hitzköpfe verantwortlich machen. Man kann das sächsische und schwäbische Element jedoch nicht ohne schwere Schädigungen der Gesamtwirtschaft des Staates aussdialten. Ein Anfang zürn Einlenken ist zum Glück schon gemacht. Sachsen und Schwaben haben vor einigen Monaten ihre Kirchenschulen zurückbekommen. In den einschlägigen Verordnungen war auf das Nationalitätenstatut Bezug genommen; sie erwähnten ausdrücklich die „deutschsprachigen Schulen der römisch-katholischen und protestantischen Kirche“. Auch das soll nicht unterschätzt werden, daß der kirchliche Grundbesitz im Agrargesetz von der Enteignung a limine ausgenommen worden ist. Es weist das auf den versöhnlichen Weg des Einlenkens im Geist der Christlichkeit und Menschlichkeit in den Beziehungen der seit Jahrhunderten in guten und bösen Tagen miteinander verbundenen und ineinander verzahnten Völker des Donau- und Karpatenraums hin. Nationalitäten wie Völker bleiben, auch wenn sie irrten und irrend unterlagen, Gottes.Gedanken. Und göttlichen Ursprungs ist das Recht.

Eine vorliegende Meldung berichtet, daß die rumänische Repartriierungskommission auch an die Volksdeutschen aus Rumänien den Appell richtet, der zur Heimkehr einladet. Am größten ist die Zahl derjenigen, die sich in Rußland befinden, die aber über die Heimkehr nicht selbst entscheiden können.

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