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Nebel über Klagenfurt

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Noch ist es Sommer. Das Nahen des Herbstes zeigt uns aber nicht nur ein Blick auf den Kalender. Wir erfahren es tagtäglich auch durch den Wetterbericht, der immer öfter „in Flußoder Seeniederungen verbreitete Bodennebel, der sich erst im Laufe des Tages lösen wird”, ansagt. So ein dichter Bodennebel liegt auch gerne über dem Klagenfurter Becken. Es ist freilich ein Nebel besonderer Art, auf den wir nun zu sprechen kommen. In genau drei Wochen wird in der Kärntner Landeshauptstadt der 9. Bundesparteitag der Österreichischen Volkspartei zusammentreten. Auf die 420 stimmberechtigten Delegierten wartet hier vor allem die verantwortungsschwere Aufgabe, einen neuen Bundesparteiobmann zu wählen, der die Partei in eine gute Zukunft führen soll.

Nur noch drei Wochen! Bis zur Stunde aber liegen dichte Nebel über der Stadt und über der hiier zusammentretenden Versammlung. Keiner kann heute mit Gewißheit sagen, wer in einem Monat an der Spitze der ersten Regierungspartei stehen wird.

Dabei kam der Verzicht auf eine abermalige Kandidatur, den Bundeskanzler Dr. Gorbach vor einer Woche allgemein bekanntmachte, gar nicht so unerwartet. Als Dr. Gorbach im Februar 1960 Ing. Raab als Bundesparteiobmann der ÖVP folgte, war er sich gewiß im klaren darüber, daß keine leichte Aufgabe seiner harrte. Die volle Schwere der Bürde wurde ihm aber wohl erst während seiner Obmannschaft immer mehr bewußt; Dr. Gorbach versuchte, auf seine Weise den Platz eines Julius Raab auszufüllen. Dort wo Raab oft hinter divergierenden Meinungen ein „autoritäre ” Schlußwort gesetzt hatte, wandte Gorbach die ganze, ihm mit Recht zugeschriebene, Konzilianz und Vermittlungsbereitschaft auf, um es allen irgendwie recht zu tun. Ein solches „Wechselbad” griff die Konstitution der Partei an. Bald sah sich der neue Parteiobmann, obwohl er inzwischen auch als Kanzler, auf dem Ballhausplatz eingezogen war, in der Rolle des „armen Grafen” auf dem Kaiserstuhl, während sich die Macht bei den „Herzogen” der Bünde und Länder angesiedelt hatte. Immer mehr muß Dr. Gorbach auch besonders schmerzlich die mangelnde Unterstützung, ja bald die stille Opposition jener getroffen haben, die ihn einst ein wenig zu laut als den großen kommenden Mann gepriesen hatten, der nach Raab und Figl die „dritte Volkspartei” formieren würde. Was hier gespielt wurde, wird in keinem Ehrenbuch verzeichnet stehen. So kam

Dr. Gorbach, vor dessen Augen Nachfolgelisten hurtig herumgereicht wurden, schließlich dazu, selbst einen Schlußpunkt zu setzen. Im Juni bereits kündigte er im geselligen Kreis von Ausländskorrespondenten an, was nun auch die breite Öffentlichkeit weiß.

Dr. Gorbach nimmt in diesen Wochen seinen Abschied als Parteiobmann der Österreichischen Volkspartei. Daß diesem Abschied in absehbarer Zeit auch ein zweiter, der vom Ballhausplatz, folgen kann, entspricht beinahe einer politischen Gesetzmäßigkeit. Wenn der Blick also nach Klagenfurt geht, so sucht er nicht nur einen neuen Bundesparteiobmann für die ÖVP, er möchte auch bereits die Llmrisse der Person eines Regierungschefs für die Zukunft erkennen. Doch Klagenfurt liegt im Nebel. Und dieser will und will sich nicht heben.

So ist der politischen Spekulation in diesen letzten Sommerwochen ein weites Feld bereitet. Von den Männern, deren Namen im Gespräch sind, würde wohl nur ein einziger allgemeiner Zustimmung, ohne Mentalreservation da und dort, sicher sein. Dieser eine hätte auch den nicht gering einzuschätzenden festen Rückhalt eines Bundes, ihm wäre damit auch das Schicksal, ein zweiter „armer Graf” zu sein, von Anfang an erspart. Doch wir wissen, daß Minister Eduard Hartmann bisher allen Versuchen, ihn zum König zu machen, sein „Nein” entgegengesetzt hat. Würde er auch in der Stunde letzter Entscheidung dabei bleiben? Die Verantwortung dafür wäre gewiß nicht kleiner als jene, vor deren Übernahme er beharrlich zurückschreckt. Steht doch nichts weniger als die Einheit und Geschlossenheit der Partei, Voraussetzung zu jedem neuen Aufschwung, auf dem Spiel. Ing. Hartmanns Selbstbescheidung als Agrarexperte in Ehren. Aber es sind schon bekanntlich Männer vom Pflug weg zum höchsten Dienst für das Vaterland geholt worden, in dem sie sich bestens bewährten. „Vom Pflug weg”, heißt aber in unserem technischen Zeitalter nichts anderes als aus dem Landwirtschaftsressort heraus.

Zum Unterschied von Minister Hartmann weiß man bei Minister a. D. Dr. Klaus, daß er sich einem Ruf nicht entziehen würde. Als Katholik könnte er den Katholiken in gleicher Weise wie Ing. Hartmann willkommen sein. Also Klaus!? Der Name des ehemaligen Salzburger Landeshauptmanns hat als der eines Mannes, welcher auch persönliche Konsequenzen zu ziehen bereit ist, einen guten Klang. Daß seine Kollegen am Ministertisch seinen spontanen Abschied aus der Himmel- pfortgasse anders sehen, ändert daran nicht viel. Um der Wahl Dr. Klaus’ eine breite Basis zu geben, müßte er allerdings nicht als der Mann einer bestimmten „Richtung” vor das hohe Forum treten. Auch würde es in seinem Interesse liegen, noch deutlicher zu machen, daß er seine Person nicht zu einem „Rammbock” undurchsichtiger Interessen mißbrauchen ließe.

In die Kombination um die Obmannschaft der ersten Regierungspartei wurde auch mehrfach der Name von Minister Dr. Schleinzer erwähnt Vielleicht hat sogar Dr. Gorbach, den bekanntlich ein geistiges Vater-Sohn-Verhältnis mit Dr. Schleinzer verbindet, seinen Teil daran. Man kann aber annehmen, daß eine — zugegeben — ziemlich persönliche Erinnerung der „Tiroler Bauernzeitung”

(15. August 1963) Dr. Schleinzer, dem niemand kühlen Realismus absprechen k’ahn, Grenzen aufgezeigt hat, die ein nüchterner Denker bei richtiger Einschätzung der Lage schwerlich überschreiten wird.

Auf den Würfeln, die für Klagenfurt geschüttelt werden, stehen auch noch andere Namen. Der von Minister Dr. Drimme1 ist ebenso zu lesen, wie jener von Präsident Ma1eta. Auch Dr. G1eißner wurde — aller Wahrscheinlichkeit nach zu seiner grcjßen Überraschung — genannt. Offen ist, ob vielleicht gar noch ein „schwarzes Pferd” mit im Rennen ist?

Verlassen wir jedoch das Feld der Kombinationen um Persönlichkeiten, dem wir uns nur unfroh genähert haben. Versuchen wir vielmehr, den Blick für Hintergründe zu schärfen. Hier verdient ohne Zweifel jene innerparteiliche Diskussion Beachtung, die in den letzten Jahren für das geübte Ohr nicht zu überhören war. Zwei Richtungen zeichneten sich ab, wenn auch — typisch österreichisch — sehr unscharf abgegrenzt, mitunter sogar überlappend: „Reformer” und ,,Kern Kreis”. Beide Begriffe vieldeutig, beide nicht zuletzt von außenstehenden Kräften, zum Teil sogar politischen Gegnern, „abgestem- pelf”, ja politisch denunziert. Sind nun alle, die sich heute in der Volkspartei als „Reformer” vorstellen, „Rechtsextremisten” — so will es die sozialistische Presse wissen — oder zuminde- stens Leute, die es auf eine Sprengung der großen Koalition abgesehen haben? Sind auf der anderen Seite jene, die gewissen Tendenzen mit Zurückhaltung, ja Mißtrauen gegenüberstehen, weil sie von ihnen nicht eine Reform sondern eine Umformung der Volkspartei, eine weitere Entfernung von ihrem Grundkonzept befürchten, mit anderen gleichzusetzen, die der lieben Bequemlichkeit und des noch lieberen Postens willen jeder Erneuerung mit Ablehnung gegenüberstehen? Sind alle, die auf Grund ihrer Einsicht und ihrer politischen Überzeugung dazu gekommen sind, daß es für Österreich unter den gegebenen Umständen keine gute Zukunft ohne Fortsetzung der Zusammenarbeit ÖVP-SPÖ gibt, „Weiche”, um diesmal in der Sprache bestimmter liberaler Manipulanten der öffentlichen Meinung und ihrer willigen Nachredner zu sprechen?

Man sieht schon: Hier muß noch differenziert werden. Dies ist.nicht einfach, auch ändert sich die Szene rasch.

Was ist also ein „Reformer”, was will der „Kern-Kreis”? Fragen wir am besten bei Exponenten beider Strömungen an. Es ist nicht ganz leicht, auf die erste Frage sich Auskunft zu verschaffen. Gibt es doch nicht etwas wie ein _ verbindliches Reformermanifest. Doktor Gottfried Heindl hat in den „Österreichischen Monatsheften” März 1963) als erster eine Antwort auf die Frage: „Was ist ein Reformer?” versucht und in zehn Thesen vor allem vorgetragen, was nach seiner Meinung ein Reformer nicht ist.

In diesen Thesen Dr. Heindls findėt sich auch der Satz: „Der Reformer ist kein Wolf im Schafspelz, kein verkappter Deutschnationaler mit rotweißrotem Mascherl.” Das macht auf einen Aspekt aufmerksam, der nicht leichtfertig übergangen werden kann. Wie steht es um die Grundachse, der als „Reform” etikettierten Politik? Liegt sie nicht sehr weit rechts? Noch weiter als diese in einer als Partei der Mitte konstituierten politischen Bewegung — und nur eine solche kann sich als christliche Demokratie bezeichnen — zu verantworten ist. Kamen und kommen nicht aus dem Reformer-Lager immer wieder Stimmen, die einer engeren Kooperation mit den „Freiheitlichen” das Wort redeten, ja einer solchen innenpolitischen Verbindung den Vorzug gegenüber der bisherigen Regierungskoalition geben wollten. Gilt hier nicht — offen zugegeben oder stillschweigend akzeptiert — der Satz, den der inzwischen zürn Landessekretär der Volkspartei in der Steiermark aufgerückte Dr. Rainer 1959 über einem Artikel setzte: „Rechts ist kein Feind mehr.” („Salzburger Nachrichten”, 8. April 1959.)

Fragen, die nicht zuletzt jene Kräfte mobilisierten, die man als K. K. (Kern- Kreis) anspricht, ein Name, der aussagt, daß es sich um Männer handelt, die um den Wesenskern der Partei wissen und ihn zu schützen bereit sind. Ihr Wollen spricht deutlich allein au® dem letzten Satz einer im Herbst 1962 beschlossenen Grundsatzerklärung: „Zusammengefaßt: die Partei wird eine kompromißlose österreichische und eine wahrhafte Volkspartei sein — oder sie wird nicht sein!”

Alles fließt…Der Parteitag im September dieses Jahres, der der ersten Regierungspartei eine neue Spitze geben soll, mag für die Tagespolitik und auch die Politik der nächsten Jahre von großer Bedeutung sein. Entscheidend aber für die Zukunft der Österreichischen Volkspartei, die auf eine mächtige Zentralgestalt wohl für die nächste Zeitverzichten wird müssen, ist, ob eines in genüge n- dem Maß mit dem richtigen Ernst erkannt wird: ineiner solchen Situation kann nur eine Festigung — wagen wir das verpönt eWort — ideologischer Bindungen als Partei der christlichen Demokratie und eines bewußten Österreichertums, ein Auseinanderleben der Personen und auch vielleicht ein Aus ein an der brechen der vielfältig divergierten Interessen verhindern.

In einer Situation wie der gegenwärtigen, geziemt es den Leuten von der „Furche”, bei ihrem Gründer anzufragen. Wie sah Friedrich Funder die Zukunft, eine gute Zukunft, für die Volkspartei: Sein Blick war klar, seine Hand fest, als er schrieb:

„Die Zukunft der Volkspartei liegt in ihrer Sinnerfüllung als die weltanschaulich eindeutige Partei der Sozialreform und der korrekten Verwaltung, als die Partei, die dem Klassengegensatz bewußte Volksgemeinschaft und allfälligen Verkennungen des österreichischen. Staatsgedankens und Unabhängigkeitswillens ein freudiges österreichisches Bekenntnis entgegenstellt.”

Wenn diese Worte wieder zum Gemeingut der Partei werden und ihre Taten jenen Geist atmen, dann kann es tins gleich sein, ob der neue Parteiobmann, wenn sich die Nebel über Klagenfurt gehoben haben, Hartmann oder Klaus’heißt, ob er sich Drimmel oder Maleta schreibt.

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