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„Nein“ nach links und rechts

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Das Theaterkino „Metropolitan“ in Neapel, ein monstruöser moderner Riesenhangar für 2500 Besucher, hat die Teilnehmer am 33. Kongreß der Sozialistischen Partei Italiens in einer spiegelnden Atmosphäre von Chromstahl, Kristall und Plastik aufgenommen. Aber nicht diese Aeußerlichkeit war es, welche die Beobachter am Kongreß beeindruckte. Vielmehr war es der Verzicht auf den traditionellen revolutionären Schmuck, auf die Gebinde roter Fahnen in allen Ecken und auf der Tribüne, auf die roten Tuchstreifen um die Wandbordüren, auf die Spruchbänder mit feurigen Bekenntnissen, auf die Riesenbilder der Erzväter des italienischen Sozialismus, Marx, Engels und Turati, die alle sehr bärtig und doch voll unverkennbarer Güte auf ihre späten Jünger herabzublicken pflegten. Selbst die Kongreßteilnehmer waren, mit wenigen Ausnahmen aus entlegenen Provinzen, ohne die gewohnte rote Nelke im Knopfloch erschienen. Nur unter der weißdrapierten Rednertribüne das Parteisymbol, Hammer und Sichel mit der auf- (oder unter-) gehenden Sonne dahinter und das Motto des Kongresses „Per una alternativa sozialista". Was es zu bedeuten hatte, sollte der Parteiführer Nenni später erklären.

Der „Kongreß der großen Wende“ zeigte somit schon äußerlich die Abwendung v6n dem romantischen Zeitalter des Sozialismus in Italien und seinen Eintritt in die Aera der Mondraketen. Der Sozialismus ist hier nur ein Jahr jünger als Pietro Nenni, 67 Jahre, und eine der ältesten Parteien Italiens überhaupt. Nur die Republikaner können sich noch auf Mazzini berufen, während es niemandem einfallen würde, in den Liberalen die Nachfolger Cavours zu sehen. 1892 in Genua gegründet, hatte die Sozialistische Partei Italiens sofort die Rechnung mit den Anarchisten zu begleichen; der gegen diese angenommene Antrag figurierte noch bis 1919 auf der Rückseite der Mitgliedskarten in seinem vollständigen Text. Neben den Anarchisten hatten die Sozialisten in den ersten Jahren keine schwereren Probleme anzugehen als die Duellfrage, der sie den Kongreß des Jahres 1896 widmeten. Er verurteilte das Duell als bürgerliches Vorurteil, aber die großen Kanonen von damals, Claudio Treves, Prampo- lini und Bissolati, waren für den Zweikampf. Treves hat sich gegen Mussolini geschlagen und ihn verwundet; Bissolati hatte 1898 eine ritterliche Begegnung mit Macola, der seinerseits im gleichen Jahr Felice Cavallotti im Duell tötete. Diese Dinge haben natürlich nichts mehr zu tun mit dem Kongreß im „Metropolitan“, aber die peinliche Modernität des Theaters läßt die Gedanken zwangsläufig in die Romantik des Sozialismus zurückschweifen.

Die Partei hat seither einen weiten, nicht immer geraden, aber stets nach oben führenden Weg zurückgelegt. Aus den weniger als 20.000 eingeschriebenen Mitgliedern im Jahre 1900 sind nun 470.000 geworden. Sie hat sich auf diesem Wege erst von den Anarchisten, dann von den Reformisten, 1921 von den Kommunisten getrennt. Damals lautete die Schlagzeile des „Avantif“: „Der unausweichliche Wille Moskaus ist erfüllt: das schmerzliche Schisma ist eingetreten!“ Die letzte Trennung war die von den Sozialdemokraten unter Saragats Führung am Anfang des Jahres 1947. Merkwürdig, daß nach soviel verflossener Zeit die gleichen Themen, mit umgekehrten Vorzeichen allerdings, wieder oder immer noch den Kongreß von Neapel beschäftigen. Nur die Anarchisten und das Duell beunruhigen niemanden mehr. Aber der Verdacht des Reformismus ist gegen Nenni in der Zeit des Vorkongresses von seinen kommunistenfreundlichen Gegnern geflissentlich ausgestreut worden; die Frage der Bindung und der Lösung bezüglich der kommunistischen Partei wurde zum Zentralproblem; die Wiedervereinigung mit den Sozialdemokraten ent rüstet zurückgewiesen, wenn sie sich anders als im Sinne einer einfachen Waffenstreckung Saragats vollziehen sollte.

Pietro Nenni isf uns so jugendlich und frisch wie noch nie erschienen, ganz anders als in jener dramatischen Nacht im Februar 1957 in Venedig, als er von den Apparatschiks seiner Partei überlistet und in der Urne überstimmt worden war. „Ich ziehe mich nach Formia zurück“, hatte er damals, totenblaß, unablässig wiederholt, „ich sehe, die Partei braucht mich nicht mehr.“ Aber dann hatte er seinen Kampfmut wiedergefunden. „Wer die Führung auch nur einen Tag verläßt, hat die Partei verloren.“ An diesem Apparat, der mit seinen Spinnenfäden die Organisation in allen ihren Verzweigungen unsichtbar und doch fest an die Kommunistische Partei bindet, hat Nenni jetzt in Neapel Rache nehmen können. Sie seien die Verräter der Partei, sagte er, den sie verfälschen den Willen der „Basis“. Jede der drei Türen, die aus dem geschlossenen Raum der Sozialistischen Partei führen, hat Nenni mit lautem Knall zugeschlagen: die Tür nach rechts, zur Regierung also, mit Fanfani oder nicht; die Tür zu den „Sozialverrätern“ und „Opportunisten“, worunter die Sozialdemokraten Saragats verstanden werden; die Oeffnung auch nach links zu den Kommunisten. Jedesmal hat der sanguinische Parteileader Thesen und Programme über Bord geworfen, an denen er Jahre hindurch festgehalten hatte. Mit seinem „Nein“ gegenüber der christlichdemokratischen Partei hat er endgültig auf den „Dialog mit den Katholiken“ verzichtet, eine Devise, unter der er bei den Wahlen 1953 gesegelt war. Mit der Verhöhnung der Sozialdemokratie verleugnete er die Begegnung zwischen ihm und Saragat in dem savoyischen Geburtsort Pralognan, wo sich die beiden Sozialistenführer in etwas melodramatischer Weise umarmt und geküßt hatten. An die nachfolgenden Enttäuschungen will Nenni lieber nicht erinnert werden. Die Absage an die Kommunisten ist das Einbekenntnis der ruinösen Folgen seiner eigenen Politik zwischen 1946 und 1956.

Nenni betrachtet die Politik Fanfanis als eine Politik heuchlerischer „Oeffnungen“ und falscher winziger Reformen, die im Grunde die Begünstigungen und Privilegien der monopolistischen Gruppen unangetastet lassen. Er glaubt an keinen „Dialog“ mehr und weist kalt und herzlos die beiden Hände zurück, die der Exponent des äußersten linken christlichdemokratischen Flügels, Granelli, ihm erst zwei Tage zuvor entgegengestreckt hatte. Daß Nennis Rede auf dem Kongreß kein Liebesgpflüster für die DC enthalten würde„ war vorauszusehen gewesen. Aber man hatte dies nur als taktische Maßnahme zum innerparteilichen Gebrauch betrachtet. Nun sagte Nenni ein wohlgeformtes, rundes Nein, an dem nicht zu deuten und nicht zu rütteln ist. Granelli und die Seinen, der italienische Petroleumkönig Mattei, der Staatspräsident Gronchi und auch Fanfani, der im Grunde seines Herzens die Hoffnung auf eine Verbreiterung seiner Regierungsbasis durch die Nenni-Sozialisten niemals auf gegeben hat, werden enttäuscht sein. Nenni zeigt sich nicht nur zu keiner Zusammenarbeit bereit, er fordert die katholischen Wählermassen unverhohlen auf, zu ihm herüberzuwechseln, die Angehörigen des linken Parteiflügels der DC, ihre Partei von innen her auszuhöhlen. Mit den Sozialdemokraten machte er kein Federlesen. Sozialistische Wiedervereinigung? Ja, aber nur innerhalb des PSI. Das heißt mit anderen Worten: die Sozialdemokratie möge sich ruhig als Partei auflösen uhd jedes ihrer Mitglieder einzeln um die sozialistische Mitgliedskarte ansuchen. Also bleibt auch die Lösung dieses Problems bis auf weiteres drei Klafter unter der Erde begraben.

Der bedeutungsvollste Teil des Nenni-Be- richtes war zweifellos der die Kommunisten be-treffende, nicht bloß, weil er die volle Autonomie seiner Partei im Hinblick auf die langjährigen Verbündeten verlangt, sondern mehr noch wegen der scharfen und treffenden Charakterisierung ihres Weges, der notwendigerweise zur Bürokratisierung erst der Partei und dann des Staates führt. Der PSI sei nicht mehr bereit, „den Sozialismus mit der Expansion des Sowjetblocks gleichzusetzen“ und die Aktion der Arbeiter zu sterilisieren „in der messiani- schen Erwartung einer Lösung der Probleme von außen, während sie sie mit ihren eigenen Mitteln lösen müssen". Nenni meinte, die Ereignisse des Jahres 1956 hätten unvermittelt erwiesen, worin sich der Sozialismus vom Kommunismus unterscheidet. Dieser Satz war es gewesen, der Giuseppe Saragat, wie mit einer Nadel gestochen, aufspringen ließ: „Die anderen sozialistischen Parteien in Europa beweisen das Gegenteil“, schreibt er in der „Giustizia“, „und auch die Spaltung im Jahre 1947 beweist, daß es Leute gab, die diese Unterschiede seit langem erkennen. Auch Nenni hätte sie längst merken müssen, denn er war in Spanien dabei, als die Kommunisten Tausende anarchistischer und sozialdemokratischer Arbeiter hinmordeten; schon damals hätte er erkennen müssen, was der Kommunismus ist.“

Wie immer, Nenni hat die ideologische Trennung vom Kommunismus vollzogen. Aber er bestätigt die Aktionseinheit mit den Kommunisten in den gemeinsamen Gewerkschaften,

in den Gemeindeverwaltungen, in den gemeinsamen Kooperativen, in den Massenorganisationen. Er vermag sich dieser Organisation nicht zu entwinden, bleibt ihr Gefangener. Diese Tatsache ist es, die Nennis kommunistenfreundliche Konkurrenten in der Partei und auch die Kommunisten selbst mit einiger Ruhe in die Zukunft blicken läßt. Dies ist ein schwacher Punkt in Nennis Bericht: mit seinem dreifachen „Nein“ und dem stolzen Bekenntnis seiner Zuversicht, mit eigenen Mitteln die Macht zu erobern, ist es noch nicht getan. Nenni hat nur das Ziel gewiesen, das er erreichen möchte: einen derartigen Wählerzustrom, daß der italienische Sozialismus neben der englischen Labour Party, neben der deutschen Sozialdemokratie als politisch autonomer Körper bestehen kann. Doch über das Wie hat er sich nicht ausgesprochen. Die „sozialistische Alternative für die christliche Demokratie“ und die Forderung „Entweder die ganze Macht oder Opposition“ sind Endstationen und sagen nichts über das Reisemittel aus. Diese Schwäche in der neuen, isolationistischen Konzeption Nennis ist von Vecchietti, dem Exponenten des Apparates, von dem des Parteizentrums, Basso, aber auch von den Kommunisten sofort wahrgenommen worden. Ihre Attacken richteten sich gerade gegen diese „Utopie“ Nennis, der glaube, ohne die Kommunisten eine Politik der Alternative verfolgen zu können. „Splendid isolation“, sagte Vecchietti hämisch.

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