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Neue Forschungen um den Kefermarkter Altar

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Der Zauber des Unbekannten, der Reiz des Rätselhaften, hat seine Wirkung auch heute noch nicht verloren. Selbst die nüchterne Generation des 20. Jahrhunderts ist in diesem Punkte anrührbar geblieben. Auch sie kommt vor den einsam ragenden Meisterwerken, gleichsam erratischen Blöcken, einer vergangenen Kulturepoche nur zu leicht ins Träumen und Phantasieren.

Und das soll nun auf einmal bei einem Werke wie dem Kefermarkter Altar anders werden, einem Werke, das so voll Rätsel ist, daß bisher jeder Lösungsversuch der vielen schwebenden Fragen, die sich darüber ergeben, in gänzlich verschiedener Richtung verlief? Der Name des Martin Kriechbaum, des Meisters von Passau, dessen Dasein durch zahlreiche Urkunden belegt ist, die ihn gewissermaßen lebendig erstehen lassen, soll uns mit einem Male alle Illusionen rauben? Nein. Ganz so weit ist es noch nicht. Noch bleibt dem schweifenden Geiste sein Spielraum; ja, bei diesem Werke wird der Phantasie ihr Recht immer gewahrt bleiben. Das haben auch wieder die Ausführungen bewiesen, mit denen der bekannte Kunsthistoriker Dr. Fritz Dwor-s c h a k, Krems, kürzlich vor dem interessierten Linzer Publikum es unternahm, in das Dunkel der Geheimnisse des Kunstwerkes von Kefermarkt hineinzuleuchten. Fast ein Leben lang hat er sich schon damit befaßt, um nun durch wichtige Quellenfunde zu neuen Ergebnissen zu gelangen.

Wir sind hier nicht gehalten, deduktorisdi vorzugehen. Das wird die Sache des Buches sein, das wir über diesen so überaus bedeutenden Gegenstand von dem genannten Wissenschaftler hoffentlich bald erwarten können. An dieser Stelle dürfen wir uns auf einen kurzen Überblick über Dwor-schaks Ergebnisse beschränken.

Kefermarkt, von Christoph von Zelking besonders gefördert, 1472 zur Pfarre erhoben und 1476 mit dem Marktrecht ausgestattet, wurde von diesem interessanten Manne aus dem Adelsgeschlecht, das seinen Namen von der Stammburg nahe Melk trägt, auch als bedeutender Wallfahrtsort für den am Ende des 15. Jahrhunderts in besonderer Blüte stehenden Kult des heiligen Wolfgang angelegt. Von allem Anfang schwingt bei dieser Gründung der Gedanke an die damals so beliebte Fahrt zu demselben Heiligen an den Abersee mit und auch die Erstellung eines Gegenstückes zu dem berühmten Pacher-Altar ist bald bewußt als solche ins Auge gefaßt worden. Wir dürfen uns nicht wundern,'wenn dabei zweifellos wirtschaftliche und religiöse Motive eng miteinander verflochten erscheinen.

Als Christoph von Zelking 1490 sein Testament machte, war anscheinend schon mit den Arbeiten für den Altar begonnen worden. In diesem Testament werden unter anderem die jährlichen Zahlungen festgelegt, die für die zu bemalende und zu vergoldende „Tafel“, so lautet nach damaligem Sprachgebrauch die Bezeichnung für das Altarwerk, zu leisten sein würden. Ein Künstlername ist allerdings nicht genannt. Nach den jüngsten Funden des Prälaten F. O b e r c h r i s 11, der sich auch schon ein Menschenalter mit diesen Fragen befaßt, ist im Jahre 1497 die letzte dieser Teilsummen ausgezahlt worden, so daß dadurch das Datum der Vollendung des Altars gegeben ist. 450 Jahre sind seither verflossen. Anläßlich der Wiedererrichtung der in der Reformationszeit eingegangenen Pfarre Kefermarkt erfuhr das Kunstwerk eine gewisse Veränderung, wodurch die Predella, der

Sarg, verlorenging, aber auch damals blieb der Hauptteil erhalten und mehr oder minder vergessen, bis ihn die geistige Strömung der Romantik wieder zu Ehren brachte. Unter Adalbert Stifters Leitung, der ihm im „Nachsommer“ das bekannte literarische Denkmal gesetzt hat, wurde das stark wurmstichige Kunstwerk durch den Linzer Holzschnitzer Rint gesidicrt und erneuert, was freilich nicht verhindern konnte, daß schon in unserer Zeit neuerlich Schutzmaßnahmen getroffen werden mußten, wobei der ganze Kirchenraum unter Blausäure gesetzt wurde.

Die überragende Qualität der Kefermarkter Schöpfung ist seit Stifter außer Zweifel geblieben. Namhafte Kunsthistoriker haben sich mit den Fragen beschäftigt, die er der Wissenschaft zu lösen aufgibt, des Rätseins um seinen Meister aber haben sie kein Ende gefunden. Nicht nur deshalb, weil der Stil der einzelnen Statuen und Reliefs nach vielen Seiten zu schillern scheint, ist er immer wieder zum Mittelpunkt der Erörterungen geworden. Der Altar steckt auch sonst voller Fragen. Da ist zum Beispiel die nach der Fassung des Werkes, die im Zel-kinger Testament ausdrücklich vereinbart, aber anscheinend niemals ausgeführt worden ist. Weiter ist da der Streitpunkt der Porträthaftigkeit der versdiiedenen Plastiken, ein weiterer betrifft das Gesprenge, das angeblich erst später dazu kam, ein dritter geht um die Frage, ob nicht ein Teil der begleitenden Heiligenfiguren ursprünglich auf anderen, vielleicht den ehemaligen Nebenaltären verwendet war. Ungelöst ist weiter das Rätsel eines geheimnisvollen Inschriftensaumes, dessen Lesungs-versuche immer irgendwie gewaltsam bleiben werden, und schließlich ist da das Problem, ob der zweifellos stilgleiche Kruzifixus, der das hier schon einmal genannte Datum 1497 trägt, ursprünglich zum Aufbau des Altars gehört hat oder nicht. Bei allen diesen Punkten werden die Lösungen bis zu einem gewissen Grade der Wahrscheinlichkeit geführt werden können, aber den letzten Rest des Hypothetischen niemals ganz überwinden können. Das Rätsel von Kefermarkt wird also letzten Endes immer ungelöst bleiben.

Gilt das nun auch für das historische Hauptproblem des Altarwerkes, für die Frage nach seinem Meister? Dworschak glaubt das verneinen zu können. Nach seinen Forschungen ist der Altar in der Werkstatt des Passauer Meisters Martin Kriedibaum entstanden, innerhalb der er im einzelnen zu Zuschreibungen der schon früher erkannten, verschiedenen Hände an den Meister und seinen Sohn Paul gelangt. Vieles an dieser Ansicht ist bestechend. Die allgemeine Passauer Atmosphäre weist er durch sehr eindrucksvolle Parallelen aus der Steinplastik nach, vor allem durch das Epitaph des Weihbischofs Albert Schöndorfer von 1493, bei dem seiner Ansicht nach Kriechbaum ah Visierer anzunehmen ist. Da die

Passauer Holzschnitzerei derzeit so gut wie ganz verloren ist, mag unserer Meinung auch die Goldsdimiedekunst, zum Beispiel des Meisters Bartholomäus Walten-berger, diese Zusammenhänge bestätigen. Der Hinweis auf den natürlichen Kreuzungspunkt Passau gewinnt um so mehr Gewicht, als hier ohne weiteres die fränkischen, bayrischen und tirolischen Stilelemente erklärbar sein dürften, die in der Kunstwissenschaft durch die Zuschreibung des Altars an Tilman Riemenschneider, Veit Stoß und Michael Pachcr zum Ausdruck gekommen sind. Dworschak fügt noch die

Einflußsphäre Erasmus Grassers in München hinzu. Wir erfahren außerdem, daß einer der Söhne Martin Kriedibaums, Sebastian, etwa zur selben Zeit bei Gregor Erhard in Augsburg in der Lehre war, dessen Beteiligung am Gesprenge des Kefermarkter Altarwerkes gleichfalls sdion behauptet worden ist. Sind das alles nur Zufälle?

Wo würden wir sonst noch eine derartige Vielfalt verschiedener Stileinflüsse erwarten können? In der nicht allzu weit entfernten, wichtigen Kunststadt Krems nicht, da dort in diesem Zeitraum von einer Schnitzerwerkstatt nichts bekannt ist. Auch für Wien fehlt aller brauchbarer Anhalt, desgleichen in dem immer eng mit Wien verbundenen Steyr, wo man freilich eine damals bedeutende Werkstatt sucht. In Oberösterreich ist die vielleicht am nädisrcn liegende Freistädter Werkstatt, ebenso wie die Gmundcner, erst später zur Blüte gelangt und hat niemals Werke von so überragendem Range hervorgebracht. Das gilt audi für die übrige einheimische Kunst dieser Zeit, wobei freilich nie vergessen werden darf, daß Passau, als Sitz des Diözesan-biscliofs, die geistliche Hauptstadt von Ober-und Niederösterreidi war und immer einen Anziehungspunkt für die besten Kräfte dieser beiden Länder gebildet hat. In diesem Sinne gehört die Pass.iuer Kunstentwicklung auch ihnen an.

Für Kriechbaum sind die Hinweise in

Kefermarkt nicht gerade zahlreich. Für seine auffallend tüchtige Geschäftsführung sprechen gewisse Einzelheiten, die im Testament Christoph von Zelkings aufscheinen und eine Parallele in dessen schwunghaften Handelspraktikcn finden, die ihn sogar 1508 vorübergehend das Passauer Bürgerrecht gekostet haben. Man mag audi die Buchstabenfolge MKP (Martin und Paul Kriechbaum) an besonderer Stelle einer im übrigen ziemlich rätselhaften G.*wandinschrif t für ihn ins Treffen führen, die freilich auch schon andere Auflösungsversudie gefunden hat. Aber das Hauptgewicht wird bei der stilkritischen Zuweisung verbleiben müssen. Wie sah nun Kriechbaums Kunst aus?

Aus zahlreichen, zum größten Teil unveröffentlichten Urkunden wissen wir jetzt, daß Kriechbaum als Maler und Visierer tätig war und auch über die bedeutendste Schnitzerwerkstatt in Passau verfügte. Trotz der Nennung von Altarwerken in Waldhausen, Göttweig und Maria-Laach am Jauerling, hat man bisher keine rechte Vorstellung seines Stiles gewinnen können. Ein 1493 vollendeter Altar für St. Paul in Passau, nach der ausbezahlten Summe gleichfalls ein sehr bedeutendes Werk, ist schon 1512 verbrannt. Hier findet nun Dwor-schaks mühsame Quellenarbeit einen sehr wesentlichen Ansatzpunkt. Er führt uns den Göttweiger Hochaltar vor, der über 40 Jahre zwischen diesem Stift und der Kriechbaum-Werkstatt verhandelt wurde und zwischen 1509 und 1515 erstand: es ist der berühmte Altar von Mauer in Niederösterreich. Daß von hier Verbindungen zu Kefermarkt führen, hat schon die frühere Kunstforschung behauptet. Er bringt aber auch Urkunden bei, die zeigen, daß der zweite berühmte Großikar Niederösterreichs, der Altar von Zwettl, der seit mehr als 100 Jahren auf mährischem Boden steht, gleichfalls der Kriechbaum-Werkstatt entstammt. Und bei diesem scheinen die stilistischen Beziehungen zu Kefermarkt besonders enge zu sein, besonders wenn man die dazwischen verflossene Zeit in Betradit zieht.

Damit ist die Frage nach dem Meister des Kefermarkter Altars wirklich spruchreif geworden. Das, was ein kurzer Vortrag nicht geben konnte, die Ausführung der hier angedeuteten stilistischen Zusammenhänge, die übrigens in der Forschung zum Teil schon vorweggenommen sind, erwarten wir von Dworschaks Buch. Das Hauptproblem wird zweifellos bei der Frage nach der Möglichkeit der Scheidung verschiedener Hände innerhalb derselben Werkstatt und ihrer Bestimmung liegen, ein Problem, das für jede bedeutendere Werkstatt jener Zeit wird aufgeworfen werden müssen. Die Fragen sind also vorläufig noch nidit weniger geworden. Aber wir sind einen Schritt weitergekommen. Und es kann das eine angedeutet werden: die zeitraubende Arbe“t an den historischen Quellen, die schon die Voraussetzung für die skizzierten Ergebnisse schuf, wird nodi eine Anzahl interessanter Überraschungen bringen. Und dann wird man ein Kapitel der Kunstgeschichte Österreichs neu schreiben müssen.

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