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Neue Loyalität?

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Die nackten Tatsachen sind schon bekannt, seitdem der Leiter des vatikanischen Pressebüros, Frederico Alessandrini, die großen internationalen Nachrichtenagenturen informiert hat, daß der Vatikan und Belgrad beschlossen haben, ihre diplomatischen Vertretungen zu Botschaften aufzuwerten. Mit der vollen „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Jugoslawien wird Titos Reich das zweite kommunistische Land sein — nach Kuba! —, das diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan haben wird. Der Heilige Stuhl war bisher durch einen apostolischen Delegaten in Belgrad vertreten, Jugoslawien in Rom durch einen Gesandten, der bald den Rang eines Botschafters bekommen wird. Der Vatikanvertreter in Belgrad wird zum Pronuntius befördert, jenen Rang, den ein Botschafter des Vatikans in Ländern hat, wo er nicht der Doyen des diplomatischen Korps ist.

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Die nackten Tatsachen sind schon bekannt, seitdem der Leiter des vatikanischen Pressebüros, Frederico Alessandrini, die großen internationalen Nachrichtenagenturen informiert hat, daß der Vatikan und Belgrad beschlossen haben, ihre diplomatischen Vertretungen zu Botschaften aufzuwerten. Mit der vollen „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Jugoslawien wird Titos Reich das zweite kommunistische Land sein — nach Kuba! —, das diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan haben wird. Der Heilige Stuhl war bisher durch einen apostolischen Delegaten in Belgrad vertreten, Jugoslawien in Rom durch einen Gesandten, der bald den Rang eines Botschafters bekommen wird. Der Vatikanvertreter in Belgrad wird zum Pronuntius befördert, jenen Rang, den ein Botschafter des Vatikans in Ländern hat, wo er nicht der Doyen des diplomatischen Korps ist.

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Für die weitere Entwicklung ist die Person der zwei Botschafter belanglos, infolgedessen werden sie beide auf ihrem Platz bleiben, sowohl Moneignore Cagna als auch Vjekos-lav Cvrlje. Der Zeitpunkt der Regelung wurde gut gewählt. Im Herbst wird Tito von Papst Paul empfangen. Im Vatikan kursiert die Nachricht, daß der Heilige Vater die Absicht hege, anläßlich des Weltkongresses der Internationalen Marianischen Bewegung im kommenden Jahr nach Zagreb zu reisen. Damit wäre Jugoslawien das erste kommunistische Land, das sich eines Papstbesuches rühmen dürfte. Abgesehen von solchen spektakulären, internationalen Aspekten ist wichtiger die Konsolidierung der Relationen zwischen dem Tito-Regime und der katholischen Kirche in Jugoslawien. Beide Kontrahenten sind in zwanzig Jahren ruhiger geworden. Auch im Westen hat sich die sozialpolitische Struktur verwandelt. In den osteuropäischen Ländern wiederum hat sich das rote Establishment stabilisiert, wodurch die Politik des „Aggiornamento“ des Papstes Johannes XXIII. inspiriert wurde. Deshalb empfahl das II. Vatikankonzil den Dialog zwischen Kommunisten und Katholiken. Indes hat sich auch in der Kirche vieles verändert. Aus den zwei großen Gegnern: Katholiken und Kommunisten sind Verhandlungspartner geworden, was allein schon eine wesentliche, tatsächliche Annäherung war. Der jugoslawische „Religionsspezialist“, Josip Sentija, erlaubte sich schriftlich den folgenden humorvollen Vergleich: „Was der 20. Kongreß der KPdSU an der stalinistischen Bürokratie bekämpfte, führte das 2. Vatikankonzil in bezug auf die Kircheinstruktur aus.“ (Vjesnik, 13. Jänner 1967, Zagreb.)

Der Weg der Konsolidierung war in Jugoslawien kurvenreich und lang. Am Anfang war der unversöhnliche Haß des Regimes. Obwohl 35 Prozent der jugoslawischen Bevölkerung katholisch ist, wurde eine harte politische Destruktion ihrer Kirche seitens der KP-Führung inszeniert, bis zum Ende der fünfziger Jahre. Eher praktische Überlegungen bewirkten die Betätigung der Parteibremsen. Belgrad bemühte sich um Intensivierung der westlichen Beziehungen, Steigerung des Außenhandels, und bewarb sich um große Auf baukredite. Die Kirchenverfolgung vergiftete jedoch die Atmosphäre. Belgrad brauchte eine günstigere Publizität in den westlichen Metropolen.

Im Jahre 1960 verschied auch das größte lebende Hindernis, der Kardinal und Erzbischof von Zagreb, Alojzije Stepinac, der nicht einmal durch Gefängnis, Verbannung und Entmachtung zum Kompromiß zu bewegen war. Gegenüber dem toten Erzfeind zeigte sich Marschall Tito in der sympathisch-generösen Pose des Herrschers, er erlaubte die gebührend-feierliche Bestattung des Verstorbenen in der kroatischen Hauptstadt, was nicht ohne Folgen

Msgr. Casaroli: Protokoll für den Modus vivendi

Photo: Votava blieb. Schon während der Totenmesse kündete Papst Johannes XXIII. den Beginn der Vatikan-Belgrad.-Verhandlungen an. In diesem konzilianten Geist wirkte der neue Erzbischof von Zagreb, Franjo Seper. In die langwierigen Gespräche wurde dann der Spezialist des Vatikans für Osteuropa, Msgr. Ago-stino Casaroli, ebenfalls eingeschal-

' tet. Endlich konnte ein Protokoll im Juni 1966 in Belgrad unterzeichnet werden. Dies war das Datum der großen Wendung. Das Protokoll schaffte einen modus vivendi. Es lag aber an der Klugheit des Kardinals, daß immer größere religiöse Toleranz aus Belgrad spürbar wurde. Der Vatikan hat das sozialistische Jugoslawien anerkannt, während Jugoslawien die Jurisdiktion des Heiligen Stuhls über die katholische Kirche in Jugoslawien und im Rahmen der sozialistischen Verfassung anerkannt hat. (Artikel 46 der Konstitution.) Seither wurden oft parallel laufende und fast gleichlautende Botschaften aus Rom und Belgrad betreffend den Weltfrieden, die Abrüstung und die Hilfe für die unterentwickelten Länder verkündet. Verkappte Parteimitglieder waren nicht begeistert, sie behaupteten, daß die Kirche nur ihre Taktik geändert habe. Das Protokoll hat eine klare Trennungslinie zwischen Staatsgeschäften und Kirchenangelegenheiten gezogen. Die Priester waren keine Staatsangestellten mehr, und; die Kirche wurde nicht vom Staatsbudget finanziert. Das Protokoll garantierte hingegen die Freiheit des Gottesdienstes, des Religionsunterrichtes in den Schulen, die Spendung der Sakramente, den Kirchenbau, die Teilnahme der Priester an der Hochschulausbildung und last but not least die Ausgabe religiöser Zeitschriften und Bücher. Die Würdenträger der Kirche und die einfachsten Priester haben die Chance wahrgenommen. Das populäre Massenblatt der Kirche „Glas koncila“ (Herold des Konzils) empfahl im Mai 1968 den tschechoslowakischen Priestern, aus den. jugoslawischen Erfahrungen zu lernen und den titoisti-schen Weg zu beschreiten.

Zweifellos war das Protokoll ein Sprungbrett für die katholischen Priester und Gläubigen in Jugoslawien. Derzeit ist die Verjüngung des Klerus — vor ein paar Jahren noch ein drohendes Problem — keine Lebensfrage mehr. Im selben Jahr, (1966) wurden schon 150 neue Priester geweiht, ungefähr ebensoviel wie in Österreich, bei derselben Bevölkerungsanzahl von 7 Millionen. In 46 kirchlichen Mittelschulen waren im Jahre 1966 3250 Schüler inskribiert. Von Jahr zu Jahr konnten mehr und mehr Seminaristen in das Ausland zwecks Studium entsandt werden. Heute studieren 110 junge zukünftige Priester in Westeuropa, wesentlich mehr als in den letzen Jahren vor dem Kriegsausbruch.

Wo das Wort des katholischen Priesters noch nicht hörbar ist, dort ist die religiöse Presse lesbar. Fast alle Bistümer haben ihre offiziösen Organe und Blätter, von denen manche sehr hohe Auflagen erreichen und sich mit der subventionierten Parteipresse messen können. Außerdem werden Bücher, Kaiendarien, periodische Zeitschriften, Paperbacks verlegt. Das früher erwähnte Glas koncila erscheint in jedem zweiten Monat und ist das Organ des Zagreber Bistums, mit einer Auflage von mehr als 250.000. In Slowenien erscheint ebenfalls zweimonatlich die „Druzina“, die „Gesellschaft“, sowie die Kinderzeitung ,;Mali koncil“, das „Kleine Konzil“, in 105.000 beziehungsweise 90.000 Exemplaren. Außerdem gibt es religiöse und philosophische Fachzeitschriften von höherem Niveau, die natürlich eine wesentlich bescheidenere Auflage haben.

Die Kirche war in Jugoslawien wachsam und redet zum Beispiel bei der Freizeitgestaltung der Jugend effektvoll mit. Arme Studenten werden gratis von Priestern instruiert, die auch Ausflüge organisieren, interessante, wertvolle Filme vorführen, ohne Sexorgien, Kriminalbrutalität und psychedelische Genüsse, sie organisieren Sportwettbewerbe, Fußballspiele, helfen bei der Ausbildung junger Leute als Chauffeure, Krankenpfleger und Agronome. Wie bei der balkanischen Urkirche vor mehr als 1000 Jahren! Das wesentlichste Merkmal dieser Entwicklung ist, daß die Kirche jede Möglichkeit der Kontroverse mit dem Staat meidet, wobei sie sorgsam den Raum ihrer Aktivität ausdehnt. Kombattante Atheisten und Partei-extramisten wittern Gefahren und betätigen die Alarmsirenen. Manche Kirchenfürsten, wie zum Beispiel der Erzbischof von Split, Franic, unterstützt das neue Sozialsystem, vor allem die Arbeiterselbstverwaltung, was im Weißen Schloß Titos hoch angerechnet wird. Auf dem Dedinje ist man nicht abgeneigt, eine engere Kirche-Staat-Kooperation zu fördern, da man die positive Gestaltungskraft der Kirche lukrativ einsetzen möchte. Momentan sind die Gewinne auf beiden Seiten größer als die Verluste. Kein Wunder, daß sowohl der Heilige Stuhl als auch die Belgrader Regierung die Resultate realistisch auswerten und beschlossen haben, die Zusammenarbeit auf einer noch breiteren Basis fortzusetzen.

Auch andere kommunistische Staaten könnten das jugoslawische Beispiel kopieren Ungarns Regime tat es, ohne es jemals zugegeben zu haben und erkaufte die Loyalität des amtierenden Episkopats noch viel billiger, ohne große Opfer und Konzessionen, als das jugoslawische. Polens Episkopat war bisher unbeugsam und das Gomulka-Regime probierte, es mit der Peitsche ohne Zuckerbrot fügig zu machen. In der CSSR regiert eine fremde Stiefeldiplomatie. Mäßige, menschliche und kluge Parteitheoretiker, sogar überzeugte atheistische Marxisten, wie etwa Roger Garaudy in Frankreich, plädieren für die Fortsetzung des Dialogs zwischen Christen und Marxisten, wofür manche von ihnen mit dem ideologischen Parteibann und Ausschluß belohnt worden sind. Der einzig gangbare Weg der Normalisierung der Kirchenstaat-Beziehungen in Osteuropa ist zur Zeit der jugoslawische: der Staat vergütet mit Konzessionen die Loyalität des Klerus dem sozialistischen Regime gegenüber, wenn die Kirche., die neue Gesellschaftsordnung toleriert.

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