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Neue Namen, alte Fronten

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In einigen Wochen soll in Frankreich und der ganzen Französichen Union das Referendum über de Gaulles Verfassungsentwurf stattfinden. Der Vorgang ist bedeutsam: es sind zwölf Jahre her, seit das französische Volk — bei der Annahme der Verfassung der Vierten Republik - in ähnlich entscheidender Weise zur französischen Politik Stellung nehmen konnte. Bei den Kammerwahlen nämlich konnte es sich angesichts der eigens für sie konstruierten Scheinfronten ja immer nur um Scheinentscheidungen handeln.

Bei dem kommenden Referendum wird das anders sein. Fraglich ist, ob der Kampf um das Referendum gleichzeitig auch die Neugruppierung der französischen Innenpolitik auf zwei bis drei große Gruppen mit sich bringen wird, die für die Gesundung der Republik so dringend notwendig wäre. Der „Parteienfächer“ der Vierten Republik ist ja, aus der Nähe besehen, noch viel aufgesplitterter, als man den Etiketten nach annehmen könnte. Von den rund zwölf politischen Formationen, die die Kammer in den letzten Jahren gekannt hat, ist jede einzelne wiederum in zwei bis drei feindliche Sekten zerfallen. Und leider sieht es zwei Monate vor dem Referendum keinwegs so aus, als ob das im Herbst anders sein würde. Gewiß, an Versuchen der Neugruppierung und des Zusammenschlusses fehlt es weder auf der Linken noch auf der Rechten noch in der Mitte. Die Ankündigung solcher „Rassemblements“ ist in den letzten Wochen zu einer festen Rubrik in der französischen Presse geworden. Die Namen dierer Neubildungen, deren Zahl bald die der vorhandenen Fraktionen erreicht haben wird, sind recht schwer auseinanderzuhalten: in allen ist von „Erneuerung“ und „Republik“ und „Demokratie“ die Rede. Und es ist durchaus möglich, daß sich die französische Innenpolitik im Augenblick des Referendums in noch heilloserer Zersplitterung befinden wird als in der Nacht des Putsches von Algier. Selbst das neue Element der „Wohlfahrtsausschüsse“, das in diese Innenpolitik eine neue Zielstrebigkeit einzuführen schien, ist drauf und dran, sich in ineinander befehdende Kamarillas aufzulösen.

Was ist schuld an diesem verhängnisvollen Treten an Ort? Jede Neugruppierung setzt Anstöße von außen voraus. Solche Anstöße müßten entweder vom Volk ausgehen oder von dem einzigen Mann, der heute Katalysator sein könnte, dem General de Gaulle. Vom Volke her kommt dieser Anstoß nicht, weil es — zumindest diesseits des Mittelmeeres — seine gewohnte Gleichgültigkeit gegenüber der Politik beibehalten hat. Es hat in seiner übergroßen Mehrheit dem Regierungsantritt de Gaulles im Grunde darum innerlich zugestimmt, weil es von dem General erwartet, daß er den Status quo bewahrt. Die „Erneuerung“ — das ist irgend etwas Schönes und Abstraktes im Reich der allgemeinen Ideen, das die Lebensweise des einzelnen nicht zu stören hat. Im übrigen ist sie Sache des Generals — der macht das schon richtig.

Macht er das? Nun, die größte Ueber-raschung, welche das zweite Regime de Gaulle bisher geboten hat, ist die, wie wenig der General als eine zu Entscheidungen herausfordernde Gestalt auftritt. Der gleiche Mann, der einst für Churchill und Roosevelt mit seiner brüsken Art ein Schrecken war („mein Lothringerkreuz“, sagte der erstere), hat sich bei seiner Rückkehr in die Politik als ein Mann des Ausgleichs und des Kompromisses erwiesen, der darin von kaum einem „System“-Politiker übertroffen werden könnte. So blieb die Innenpolitik seit seinem Regierungsantritt in der Schwebe. Mit Ausnahme der Kommunisten gibt es im Grunde keine Gruppe, de sich nicht der Illusion hingeben könnte, daß der General gerade ihre Politik duchführe.

Recht deutlich wird das bei den erwähnten „Rassemblements“. Die „Union der demokratischen Kräfte“ beispielsweise, in'welcher die nichtkommunistische Linke von Daniel Mayer und Mendes-France zu einem großen „Labour“-Block zusammengeschlossen werden soll, ist nicht zufällig bis jetzt nur ein Gerüst geblieben. Das liegt daran, daß selbst Gegner der Berufung de Gaulies innerhalb dieses Lagers, wie etwa Pflimlins Innenminister Jules Moch, heute der Meinung sind, daß der General die Republik gerettet habe. Das Stichwort hat der sozialistische Generalsekretär Guy Mollet geliefert mit seiner Behauptung, daß man sich ohne de Gaulle „in einem spanischen Bürgerkrieg, aber ohne republikanische Armee“ befände. Es ist bloß eine Minderheit, die nicht dieser Meinung ist und behauptet, es hätte genügend republikanische Generäle und Soldaten gegeben, die nur auf den Befehl aus Paris gewartet hätten, um dem Putsch von Algier im Mai ein Ende zu machen.

Die Umgruppierungen auf der Rechten leiden unter der gleichen Windstille. Das zeigt sich beispielsweise an Bidaults Versuch, eine „christliche Demokratie“ in Analogie zur beneideten CDU der Bundesrepublik aufzubauen. Man kennt die Lieblingsidee dieses Einzelgängers unter den katholischen Volksrepublikanern, der zu den Wortführern des Kolonialismus gehört: daß es nämlich in Frankreich außerhalb der KP nur noch zwei politische Kräfte geben sollte, einen (von Bidault geführten) Rechtsblock christlicher Färbung und einen (von Guy Mollet gelenkten) laizistischen Block der gemäßigten Linken. Doch als man ihn fragte, ob er zu seinem Unternehmen von de Gaulle ermutigt worden sei, wich er aus: „Ich habe nicht um Erlaubnis gefragt — und ich habe auch kein Verbot erhalten.“ Die Mehrheit der Volksrepublikaner um Robert Schuman und Teitgen hat denn auch nicht gezögert, ein Konkurrenz-rassemblement zu Bidaults Gründung aufzuziehen, so daß also auch hier vorerst alles beim alten bleibt. Die antikolonialistische Mehrheit des MRP und dessen kolonialistische Minderheit um Bidault bestehen einfach unter verändertem Firmenschild weiter.

Es könnte aber heute für Frankreich nichts Gefährlicheres geben als dieses: daß nämlich nach der Erschütterung der Maitage zuletzt doch alles so bliebe wie bisher. Eine Kraft, die nicht daran denkt, ihren Namen zu verändern, wartet nur auf eine solche Pleite. Ihren Namen werdet ihr nie erfahren: es ist die Kommunistische Partei Frankreichs.

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