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Neue Phase in Brüssel

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Der „Welthandel 1964“ wird durch den Versuch gekennzeichnet, die handelspolitischen Forderungen Frankreichs, Westdeutschlands und der Vereinigten Staaten im Rahmen der wichtigen Kennedy-Runde des GATT, der Hilfe für die Entwicklungsländer und der Welthandelskonferenz der Vereinten Nationen In Übereinstimmung zu bringen, wobei Brüssel unter dem Druck des agrarpolitischen Ultimatums de Gaulles in eine neue Phase getreten Ist, weil es das Experiment einer gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unternimmt, dessen Ausgang niemand voraussagen kann. Dabei sind die zu Weihnachten gefundenen Kompromisse von Brüssel lückenhaft, weil der Getreideplan verschoben und die Priorität der GATT-Konferenz anerkannt werden mußten. Nach den Konsultationen mit Österreich, die im letzten Stadium auf ein schweigendes Anhören der Vorschläge Wiens hinausgelaufen sind, erwartet man Ende Jänner den Bericht der EWG-Kommission. Ihre Anregungen erfordern jedoch noch die einstimmige Billigung des Gemeinsamen Ministerrates. Trotz der allgemeinen diplomatischen Liebenswürdigkeit vertreten aber Frankreich und Belgien, Holland, Italien und Westdeutschland — ganz abgesehen von der völkerrechtlichen Lage — im Handel mit Österreich bei Import und Export durchaus verschiedene, in vielen Fällen sogar gegensätzliche Interessen. Der wirtschaftliche Aufstieg Österreichs hat nämlich die Konkurrenz der ausländischen Staaten auf den österreichischen Märkten verschärft.

Während sich Brüssel auf diese Weise um den Aufbau einer gemeinsamen Agrarpolitik bemüht, ebnet der amerikanische Delegierte beim GATT, Botschafter Michael Blumenthal, die sogenannte Kennedy-Runde, die unter anderen auch internationale Abkommen über eine Anzahl von Stapelprodukten vorsieht, wie über Butter und Zucker, Getreide und Ölsaaten. Im Brathühnerkrieg zwischen Brüssel und Washington war das Schiedsverfahren günstig, und sogar die Verfügungen der EWG-Kommission bewegen sich zur Zeit im Bereich der Ernährungswirtschaft. Brüssel erteilte Holland die Weisung, die Steuern auf importiertes Bier aufzuheben, und stellte an Frankreich das Ersuchen, in kürzester Frist die Frachtsubventionen zugunsten des Exportes von Obst und Gemüse zu beseitigen, die gleichfalls im Widerspruch zum Römer Vertrag stehen. Jedenfalls haben die internationalen Gespräche auf der ganzen Linie eine agrarpoli-tische Wendung genommen.

Jede neue Fühlungnahme Österreichs mit Brüssel muß daher im Augenblick mit einer Überlastung der EWG-Kommission rechnen, die etwa bis Ostern dauern dürfte. Man weiß, daß die Vorbesprechungen zunächst eine Untersuchung zahlreicher Zollpositionen bezweckten, bei denen alle Seiten zu einem Entgegenkommen bereit wären, aber die Auffassungen in Kreisen der EWG über Sinn, Form und Prinzipien des „Arrangements“ sind noch in keiner Weise geklärt. Deutlich sind zwei Thesen erkennbar. Anläßlich der Straßburger Debatte des EWG-Parlaments über den Jahresbericht wurde die österreichische Frage vom Referenten zwar als dringender Sonderfall bezeichnet, da nach erfolgreichen Verhandlungen auch Assoziierungsgespräche mit anderen Staaten beginnen könnten. Genau das Gegenteil beschloß jedoch der Wirtschafts- und Sozialausschuß, der Ende Oktober die Frage einer Erweiterung der geographischen Basis des Gemeinsamen Marktes prüfte und äußerst strenge Direktiven festlegte. Darnach dürfe der Vertrag von Rom keine Abstriche und keine Abschwächung erfahren, weil, wie es hieß, die Assoziierung im Prinzip den unterentwickelten Ländern vorbehalten bleibe, die nach einer Periode der Anpassung schließlich aufgenommen würden, was für die drei Neutralen — Österreich, Schweden und die Schweiz — in keiner Weise zutreffe. Immerhin empfahl das Komitee die Prüfung des Problems, ob Österreich vielleicht der wirtschaftliche Status eines Mitglieds eingeräumt werden könnte, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß Wien „von sich aus praktisch die gleichen wirtschaftlichen Maßnahmen anwende, zu denen es als Vollmitglied verpflichtet wäre“. Angesichts dieser tiefergehenden Differenzen, die sich keineswegs auf die Interpretation der Neutralitätsakte beschränken, erwartet man eine lange Dauer der Besprechungen, so daß die Öffentlichkeit natürlich die Frage stellt, welche Entwicklung der Güteraustausch eigentlich nimmt und weiterhin noch nehmen wird.

Der Handel mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (siehe Tabelle „Warenverkehr mit der EWG“), der in zehn Monaten, von Jänner bis Oktober, mit einem Importüberschuß von 6,58 Milliarden Schilling abgeschlossen hatte, war seit jeher durch ein bedeutendes Ubergewicht Westdeutschlands gekennzeichnet, während der Güteraustausch mit Italien und Holland als normal, mit Frankreich und Belgien als sehr stark zurückgeblieben bezeichnet werden mußte. Im Rahmen des österreichischen Außenhandels beträgt gegenwärtig der Anteil der EWG am Gesamtimport 58 Prozent und am Gesamtexport 50,3 Prozent. Unter dem Druck der „Importschwemme 1963“, die eine allgemeine Erscheinung des freien Europa gewesen ist, sind im Verkehr mit der EWG von Jänner bis Oktober die Importe um 6,1 Prozent und die Exporte um 4,3 Prozent gestiegen. Zunächst wurde die Situation durch den langen und strengen Winter beeinflußt. Trotz allen technischen Fortschritten • spielen die Transportlage und die Jahreszeiten noch immer eine große Rolle. Beim Import haben sich außerdem die Konsumgüter — Textilien (+ 9,5 Prozent), Getränke (+ 27,1 Prozent), Wolle (+35,2 Prozent), Tabak und Tabakwaren (+ 50 Prozent), vor allem Kleidung (+ 57,3 Prozent) — viel günstiger entwickelt als die Investitionsgüter, unter denen sogar Maschinen einen Rückschlag verzeichneten. Einbußen erlitten bei den Importen ferner Erze und Schrott (—5,7 Prozent), Eisen und Stahl (—14,5 Prozent), zuletzt sogar Kupfer (—17,4 Prozent).

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