6574251-1950_35_09.jpg
Digital In Arbeit

Neue Wege der Hötzendorf-Forschung

Werbung
Werbung
Werbung

Neben den noch lebenden Mitkämpfern des ersten Weltkrieges, denen das Bild vom Wirken des Feldmarschalls Conrad wohlvertraut ist, wuchs eine neue Generation heran, bei der durch den zweiten Weltkrieg die Kontinuität der Geschichtsbetrachtung unterbrochen und die wenigen Erinnerungen an die letzten Jahre der Monarchie weitgehend verblaßt sind. Trotz der Ungunst der Tage wird die Geschichtsschreibung mit der Zeit trachten müssen, die zerrissenen Fäden wieder anzuknüpfen und ähnlich wie bei Ä h r e n t h a 1 und Berchtold auch bei Conrad als dem dritten Hauptmitgestalter der abschließenden Geschicke des Habsburgerreiches an die Bearbeitung einer großen Biographie zu denken. Unterdessen haben das Fortschreiten der Zeit und das Erleben neuer umwälzender Geschichtsprozesse für ältere Epochen sehr beachtenswerte Gesichtspunkte entwickelt und 25 Jahre nach dem Hinscheiden des seit Radetzky bewährtesten österreichischen Heerführers kann man feststellen, daß Conrad heute schon weitaus minder umstritten vor uns steht als vor einigen Jahrzehnten. Von den nicht wenigen strengen Kritikern, die sich oft genug bloß zeitgenössischer Maßstäbe bedienten und das Gesetz der vergleichenden Geschichtsdarstellung verletzten, mußten gar manche in Kenntnis des zweiten Weltkrieges ihr Conrad-Zerrbild durchgreifend revidieren, denn der Krieg von 1938—1945 hat auf dem Gebiete von Kriegsvorbereitung und -führung eindrucksvollste Vergleichsfälle produziert, die der Reihe nach Conrad in immer steigendem xAusmaße rechtfertigen.

Bei der Beurteilung von Feldherren fordert das 20. Jahrhundert das entschiedene Lossagen von überkommenen Methoden, denn der Feldherr steht schon lange unter ganz anderen Gesetzen als in den älteren Geschichtsabschnüten. Kriege gewinnen oder verlieren, ist im Zeitalter des wiedererstandenen totalen Krieges keineswegs das alleinige Werk des Soldaten, der mit der Umgestaltung des Geschehens zum bloßen letzten Vollstrecker einer von der Politik, der Wirtschaft, der Technik und den gesellschaftlichen Zuständen herbeigeführten Lage geworden ist. So fand sich auch Conrad als der Chef des Generalstabes der gesamten bewaffneten Macht Österreich-Ungarns von 1906 — mit der einjährigen Unterbrechung von 1912 — bis 1917 \ fr eine Situation gestellt, die andere gestalteten und die gerade von ihm selbst als sehr unangenehmem und sogar mißdeutetem Warner bereits vor 1914 als für den Gesamtstaat als katastrophal gekennzeichnet worden ist. Nur die beschworene Pflicht ließ ihn ein Amt bekleiden, das schon bei Kriegsausbruch ein verlorener Posten war.

Das komplizierte Staatsrecht des Donaureiches kannte keinen unabhängigen Heerführer, und dieser war sogar in seinem eigenen militärischen Bereiche eingeklemmt zwischen dem föderativen Österreich und dem zentralistischen Ungarn, zwischen drei Parlamenten und drei Kriegsministern, zwischen vierzehn Nationen, aus denen sich die drei Armeen: die gemeinsame kaiserliche und königliche Armee, die kaiserlich-königliche österreichische Landwehr und die königlich ungarische Honved, ergänzt durch autonome kroatische und bosnisch-herze-gowinische Verbände, bildeten. Dieser an sich schon verwickelte militärische Apparat litt noch durch eine infolge innerpolitischer Wirren hinter dem Ausland stark zurückgebliebene Rüstung, die sich weder auf ein zureichendes Wirtschaftspotential noch auf ein den schwierigen geographischen Verhältnissen angepaßtes Verkehrsnetz stützen konnte. Sogar die Armee Serbiens war 1914 vergleichsweise besser gerüstet als die benachbarte, an sieben Staaten grenzende Großmacht an der Donau, denn dieser Kleinstaat stellte 12,70% seiner Bevölkerung ins Feld, gegen nur 3,60% in Österreich-Ungarn. Und während eine Division Conrads mit 45 Geschützen in den Kampf trat, betrug diese Zahl bei den Serben 47, bei den Russen 58, bei den Deutschen über 80. , Die Hoffnung, es könnte eine den materiellen Mitteln angepaßte Außenpolitik der Mittelmächte die Rüstungsmängel ausgleichen, blieb trügerisch, denn diese Außenpolitik brachte es fertig, ihre Armeen und Flotten i bereits bei Kriegsbeginn unter Zusammenbruch des Bündnissystems einer zwei- bis dreifachen Übermacht gegenüberzustellen und bis 1918 die Übermacht soweit zu steigern, daß die eingeschlossene Festung der Mittelmächte von zwei Dritteln der Welt einfach ausgehungert werden konnte.

Tragischerweise mußte Conrad in einem Koalitionskrieg an der Seite einer Großmacht kämpfen, die wegen ihres durch einen Rüstungsvorsprung erlangten militärischen Ubergewichts naturgemäß auch den Hauptanteil in der gemeinsamen Führung beanspruchen durfte. Nur unter schweren Konflikten und . mit bewundernswerter Selbstverleugnung vermochte Conrad die Interessen seiner unter bedeutend ungünstigeren Umständen kämpfenden Truppen zu i wahren, und wenn dies zufriedenstellend gelang, war es ausschließlich der überragenden Autorität Conrads zuzuschreiben, der in seiner urösterreichischen Gesinnung keine den Ruf seines Landes schmälernden Kompromisse kannte. Dieses Verhalten trug nicht wenig dazu bei, daß die deutsche Geschichtsschreibung nach - 1918 Conrad meist ungünstig zeichnete, was um so bedenklicher war, als sich das Ausland vorwiegend auf die deutschen Publikationen bezog. Es wird eine der Hauptaufgaben der Conrad-For s c h u n g sein, mit einer ganzen Serie von Fehlurteilen aufzuräumen,- die entwsder einer durch keine Fachbildung beschwerten Kritik oder aber einer koalitionsbeding-tien Propaganda entsprossen, wofür einige Hinweise angeführt sein mögen: Manche bemühten sich zum Beispiel nachzuweisen, daß Conrad 1914 falsch aufmarschiert sei, obzwar er die ihm gestellte Aufgabe, im Süden das Staatsgebiet vom Feinde frei zu halten und im Norden den Gegner so lange zu binden, bis Deutschland die zugesagten Kräfte heranführe, zweifellos zweckmäßig gelöst hatte; andere behaupteten, der Chef des Generalstabes habe es nicht verstanden, seine hochfliegenden Pläne mit den realen Tatsachen in Einklang zu bringen, während er in Wirklichkeit den wiederholten Schlachtkrisen mit der ihm aufgezwungenen Taktik des Schwächeren, das heißt mit kühnen und riskierten Operationen, meisterhaft zu begegnen verstand; wieder andere fanden auszusetzen,

Österreich-Ungarn hätte nie ohne deutsche Hilfe siegen können, wie es unter anderem in den Karpathen durch Einsatz der „Deutschen Südarmee“ offenkundig wurde, wiewohl in dieser Armee neben 89 österreichischen bloß 34 deutsche Bataillone standen und diese in den Unbilden des Gebirges auch nicht mehr vermochten als ihre schlechter ausgestatteten Bundesgenossen; es war überhaupt nicht so, wie es immer verkündet wurde, daß alle Siege nur den Deutschen zu verdanken gewesen seien, denn auch die Österreicher verstanden es unter Conrad, wie bei Krasnik, Komarow, in Bosnien, am Lovcen und neunmal am Isonzo, Alleinsiege zu erringen, und auch den Deutschen blieben andererseits mehrere empfindliche und kriegsentscheidende Niederlagen nicht erspart. Die großen Siege der Mittelmächte konnten aber nur gemeinsam erstritten werden, wenn sich die Verbündeten an den gemeinsamen Fronten gegen die gemeinsamen Feinde . gegenseitig aushalfen, wozu Conrads Pläne nicht bloß einmal die Unterlage bildeten.

Als Conrad am 28. Februar 1917 vom Posten des ' Generalstabschefs schied, da hinterließ er eine durchaus positive strategische Bilanz an allen Fronten, und der nachherige Verlust des Krieges darf seiner Führung füglich nicht angelastet werden. Eine parlamentarische Untersuchungskommission hat sich nach 1918 beeilt, über die Generäle zu Gericht zu sitzen — denen sie dann, nebenbei bemerkt, nur das beste Zeugnis ausstellen konnte —, man hat jedoch nie davon vernommen, daß auch die für die politischen Seiten des Krieges in erster Linie verantwortlichen Staatsmänner, Diplomaten und Parlamentarier ebenfalls in Untersuchung gezogen worden seien. Die Geschichtsschreibung wird nachzuholen haben, was hier der Gerechtigkeit vorenthalten worden ist.

In der Geschichte der Chefs des Generalstabes, die 1758 mit Lacy beginnt und 1918 mit Arz endet, ist Conrad neben Radetzky, Heß, John und Beck eine der gewaltigsten Gestalten, nach Umfang und Gewicht seines Dienstes zweifellos die hervorstechendste. Lange war der Geschäftsbereich des Generalstabschefs ein äußerst eingeengter, und erst Graf Beck begründete einen über das bloß Militärische hinausgehenden Einfluß auf die Landesverteidigung, den dann sein Nachfolger Conrad ausbaute. Nur diesem Umstände war es zuzuschreiben, daß die von Beck eingeleitete und von Conrad fortgeführte Organisation der Wehrmacht hingereicht hat, durch 51 Monate einer Welt von Feinden Widerstand zu leisten und bei Verlust eines großen Krieges das Heimatgebiet unzerstört zu erhalten. Das heutige Österreich konnte damals gleich den übrigen Nachfolgestaaten der Monarchie, kaum daß die letzten Schüsse an den Fronten verhallt waren, sofort an den Neubau des Staates schreiten, und mögen die Wunden des Krieges noch so tief gewesen sein, Conrads Wehrmacht und Kriegführung haben ein ähnliches grauenvolles Schicksal wie jenes von 1945 verhindert. Alle Österreicher werden dafür Conrad für immer dankbar bleiben müssen.

Als Militärschriftsteller und Historiker kommt Conrad ein bevorzugter Platz zu. Was er in seinen taktischen Werken über allgemeine Erziehungsmethoden, über die gebotene Achtung des Menschen als solchen, über den Wert der Individualität und der moralischen Potenzen gegenüber allen rein mechanisch-formalistischen Faktoren geschrieben hat, bleibt Gemeingut der internationalen militärischen Welt. Seine Auffassungen vom überragen des Geistigen auch in der Zeit der Millionenheere, von der Wichtigkeit des Erfassens des Wesentlichen und des Einfachen in der Welt der Vielfalt auf allen Gebieten, seine Ablehnung jeder Selbstüberschätzung und seine fast demütige Einordnung in das von der Allmacht gelenkte System der Dinge, schließlich sein im Memoirenwerke „Aus meiner Dienstzeit“ dokumentierter Wahrheitsfanatismus zeigen den großen Soldaten als verantwortungsbewußten, tiefschürfenden Denker. Unter den geographischen Publikationen fallen die 69 Landschaftsskizzen europäischer Schlachtfelder auf, die Conrad als weit über dem Durchschnitt künstlerisch be-, gabten Zeichner erweisen.

Als Franz Conrad von Hötzehdorf 1925 in seiner Heimatstadt Wien zu Grabe getragen wurde, verordnete die Bundesregierung ein Staatsbegräbnis. Die altösterreichischen Offiziere stifteten am Hietzinger Friedhof eine würdige Ruhestätte und am Wohnhaus des Marschalls, am Heumarkt, eine schlichte Gedächtnistafel. Das Osterreichische Staatsarchiv errichtete aber in den letzten Jahren das von 40 hochherzigen Spendern geförderte Conrad-Archiv mit einem wertvollen Bestand an Schriften, Briefen, Bildern, Karten, Büchern und sonstigen Erinnerungsgegenständen, wo der künftige Cohrad-Biograph willkommenste Hilfe finden wird. Gemessen an der Größe Conrads im Rahmen der Weltgeschichte und in der Reihe der unvergessenen und hochberühmten Österreicher, ist das alles reichlich wenig — um so mehr wird es an der Nachwelt liegen, ein übriges zu tun.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung