6732454-1966_04_07.jpg
Digital In Arbeit

Neue Wege in Israel

Werbung
Werbung
Werbung

Punkit 9 Uhr, am Mittwoch, dem 12. Jänner 1966, als gerade die Sonne nach einer kalten und nassen Nacht in Jerusalem zu scheinen begann, fuhr die graue Limousine des Ministerpräsidenten und Sicherheitsministers Levi Eschkol von vier motorradf ahren den Polizisten begleitet vor dem Gebäude der Knesseth, Israels Parlament, vor, um hier seine neue Regierung der Volksvertretung vorzustellen.

Ministerpräsident Levi Eschkol dankte mit müder Hand einigen hundert Israelis, die sich vor dem Knesseth-Gebäude versammelt hatten und ihren Ministerpräsidenten mit enthusiastischem Händeklatschen begrüßten. Levi Eschkol sah müde und übermächtig aus. Erst vor kurzer Zeit wurde er wegen eines Herzinfarkts in das Hadassah-Kran- kenhaus ein,geliefert, und auch von dort aus führte er Koalitionsverhandlungen. Nachdem in vergangener Woche endlich ein prinzipielles Abkommen zwischen den vier Koalitionspartnern getroffen wurde, kam es trotzdem noch zu langwierigen und ermüdenden Verhandlungen, denn auch die schwächsten Koalitionspartner spielten sich auf, als oib sie bei den Knesseth-Wahlen eine überwiegende Majorität erhalten hätten.

Dienstag nachmittag begann die endgültige Abschlußsitzung der Koalitionspartner. Levi Eschkol, der am Anfang der Sitzung teilnahm, mußte auf Anraten seines Arztes sich nach kurzer Zeit nach Hause begeben, ohne daß das langwierige Koalitionsfeilschen unterbrochen wurde. Fünfzehn Stunden dauerte diese Sitzung, in der der Privatsekretär Eschkols einen dauernden Pendelverkehr zwischen dem Haus des Ministerpräsidenten und dem Sitzungssaal durchführen mußte. Erst eine Stunde vor der schicksalsschweren Knesseth-Sitzung wurden die Koalitionsverträge endgültig unterschrieben, nachdem im letzten Moment noch eine fünfte religiöse Splitterpartei, die Poalei Avodath Israel, mit zwei Siltzen im Parlament auf die Koalitionskarre sprang.

Schwerpunkt Außenpolitik

Der Knesseth-Plenum-Saal war bis zum letzten Platz besetzt. Gewöhnlichen Sterblichen wurde sogar die Besuchergalerie verboten, die zu diesem feierlichen Anlaß nur für geladene Gäiste reserviert war. Levi Eschkol begab sich auf das Rednerpult und hielt die Programmrede der neuen Regierung. Er begann mit der Außenpolitik, betonte das Verlangen nach Frieden, das die ganze Welt bewegt, würdigte den verstorbenen Ministerpräsidenten Indiens und sagte dann ülber die Wieder- bewaffnung der Bundesrepublik: „Wir als Söhne des jüdischen Volkes, das ‘dem Naziregime in Europa zum Opfer fiel, können die Befürchtungen der anderen Völker verstehen, die selbst durch dieses Regime gelitten hatten. Wir wollen zusammen mit diesen Völkern eine Erneuerung der Gefahr verhüten. Die Planer der Weltsicherheit, denen die Sicherheil Mitteleuropas am Herzen liegt, sollten alles tun, um die Angst der Völker Europas vor einem neuen Unglück zu beschwichtigen.”

In bezug auf das Verhältnis zu den arabischen Staaten betonte Levi Eschkol, daß Israel die Initiative des tunesischen Staatspräsidenten, Habib Bourguiiba zur Aufnahme von Friedensverhandlungen vollauf begrüße, obwohl es gegen jede Revision der Staatsgrenze ist, wie sie von Bour- guiba gefordert wird. Ministerpräsident Eschkol griff die Westmächte (und meinte insbesondere die USA) wegen deren letzten Waffenlieferungen an die verschiedenen arabischen Staaten an, die nur dazu beitrügen, den Rüstungswettlauf im Mittleren Osten zu verschärfen.

In der Innenpolitik rief der Ministerpräsident die Bevölkerung auf, den Lebensstandard nicht mit sechs Prozent pro Jahr wie bisher, sondern nur mit zwei bis drei Prozent pro Seele pro Jahr zu vergrößern. Er schlug vor,, produktiver zu arbeiten, ohne jedoch den Konsum an Verbrauch sgütern zu vergrößern. Diese unpopuläre Forderung wird allem Anschein nach nur wenig Gehör bei der Bevölkerung finden. Eschkol wandte sich auch an die Ailbeitnehmer, die die verschiedenen Lohnverträge nicht eingehalten hatten und im vergangenen Jahr eine große Anzahl wilder Streiks proklamiert hatten, die im allgemeinen von der Gewerkschaft nicht gutgeheißen wurden, aber trotzdem von Erfolg gekrönt waren.

Die Zusammensetzung der Regierung

Nach seiner Rede, die von großem Applaus begleitet war, begannen die verschiedenen Koalitionspartner ihren Regierungsbaiitritt zu erklären, und die Opposition schoß ähre ersten Pfeile gegen die neue Regierung ab.

Die neue israelische Koalitionsregierung hat eine Mehrheit von 75 Mandaten unter insgesamt 120 Parlamentssitzen hinter sich. Noch nie hatte eine Regierung eine solch überwiegende Mehrheit hinter sich buchen können. Die zweieinhalb Millionen Israelis haben dieses Mal in das Kabinett nicht weniger al§ achtzehn Minister geschickt, und da man auch damit nicht allen Interessengemeinschaften nachkomm en konnte, wurden außerdem noch weitere sechs Vizeminister ernannt, die zwar kein Stimmrecht bei den Sitzungen des Kabinetts haben, aber an verschiedenen Regierungssitzungen teilnehmen können.

Die Zusammenstellung der. ersten, nur von Levi Eschkol angeregten Koalitionsregierung war besonders schwer. Sie dauerte mehr als zwei Monate. Der Ministerpräsident mußte zuerst seine Position im eigenen Lager sichern. Alle Ben- Gurion-Anhänger wurden entfernt, und da die acht Ministerposten für seine eigene Partei nicht ausreich- ten, beanspruchte er für sich weitere drei Vizemtoisterposten. Trotzdem gab es noch eine große Anzahl von verärgerten Persönlichkeiten, da für sie kein Platz in der Regierung gefunden werdeft konnte, denn Eschkol galb vor den vergangenen Parlamentswahlen viel mehr Versprechungen ab, als er einhälteri konnte. Er hatte damals geglaubt, daß dies der einzige, Weg sein würde, sich gegen den früheren Ministerpräsidenten David Ben Gurion, der auch in der Zwischenzeit eine ęigene, Partei gegründet hatte, zu behaupten. Der Partner Eschkols, die Achdut Ha’awodah, die zusammen mit seiner Partei einen gemeinsamen Wahlblock vor den Wahlen geformt hatte, erhielt auis diesem Grund, statt den ihnen zustehenden zwei Ministem, sojgaf drei Minister- pösten.

Der wichtigste Wechsel

Die wesentliche Änderung in der Vertretung der Mehrheitspartei Eschkols im Kabinett ist das Ausscheiden des Außenministers Golda Mclr, die neun Jahre lang diesem Amte Vorstand.

Frau Mei’r, die Eschkol persönlich sehr nahe steht und während seines Kampfes gegen Ben Gurion ihn intensiv unterstützte, wird von nun an Eschkol die Rückendeckung geben. Sie soll entweder das Amt eines Generalsekretärs der Mapai, Eschkols Partei, erhalten oder an der Gewerkschaft — Histadruth — tätig sein, um auf diese Weise in diesen Körperschaften die Regierung Eschkol zu festigen. Als Außenminister war Frau Golda Mei’r ziemlich unselbständig, da sie während der Ragierungsperioįte Ben Gurions von ihm wenig Aktionsfreiheit erhielt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung