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„Neuer Weg“ in Rumänien

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Im 16. und 17. Jahrhundert hat das Abendland bei dem Einbruch der Türken nicht weniger gebangt als heute. Die Herrschaft des Halbmonds bedeutete sozialen Umsturz, weltanschauliche Vergewaltigung, Diktatur des Ostens. Sie ist Mittel- und Westeuropa erspart geblieben. Die Reichsheere des Prinzen Eugen, Österreichs ausdauernder Widerstand wendeten die Gefahr. Eine einzige Gruppe deutschsprachiger Menschen hat zweieinhalb Jahrhunderte lang in einem türkischen Vasallenstaat gelebt: die Siebenbürger Sachsen. Sie sind trotz schwerster Einbußen, die sie erlitten, Deutsche und Abendländer geblieben. 1691 kam durcji da leopoldinische Diplom Siebenbürgen als Kronland Zu Österreich. Die Sachsen waren gerettet. Im Ausgleich 1367 fiel das bis dahin österreichische Siebenbürgen an Ungarn, 1918 ln Rumänien.

Es gehört zum Thema geschichtlicher Wiederkehr des Gleichen, daß von allen Satellitenstaaten Rußlands nur Rumänien seine deutsche Minderheit behalten hat: Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben. East wäre man versucht, das Wort des Apostels aüf sie anzuwenden: „Als die Sterbenden, und siehe, sie leben ...“ Einhunderttausend wurden im Jänner 1945 zur Zwangsarbeit nach Binnenrußland deportiert. Zweihunderttausend Deutsche hatte Hitler aus der Bukowina und Beßarabien noch während des Krieges „umgesiedelt“. 50.000 Nordsiebenbürger wurden von der deutschen Wehrmacht und ungarischen Behörden nach der Kapitulation Rumäniens planmäßig evakuiert. Zweieinhalbhunderttausend sind in der Not der Zeit untergegangen, verschollen, verdorben.

Wer, außer Gott, hat sich im Chaos der letzten Jahre groß um ihr Schicksal kümmern können, wo Millionen anderer ebenfalls in Heimatlosigkeit und Tod getrieben wurden? Dreimalhunderttausend SachsenundSchwabenvoneinst 8 0 0.0 0 0 wies immerhin die Volkszählung im vorigen Jahr in Rumänien noch auf. Einst Bauern, sind sie durch die entschadį- gungslose Wegnahme von Grund und Boden und Haus und Hof zu landlosen Hilfsarbeitern, Proletariern geworden. Ihre kleine, einst hochqualifizierte bürgerliche Intelligenz wurde vernichtet. Frühere Industrielle müssen froh sein, in ihren eigenen Villen, die ihnen heute nicht mehr gehören, ein Zimmer zu bewohnen, in ihren Betrieben untergeordnete Posten einnehmen zu dürfen. Aus Handel und Wandel sind die Deutschen ausgeschaltet. Proletarisiert. Das ist die „deutsche Minderheit“ in Rumänien.

Ende März dieses Jahres machte der Sender Bukarest eine Mitteilung des rumänischen Ministerrates bekannt, die viele überrascht haben mag. Die Ausnahmegesetzgebung, unter der die Rutnä- niendeutschen standen, sei aufgehoben: alle in Rumänien geborenen Deutschen erhalten die rumänische Staatsangehörigkeit zurück und ihr Eigentum an GrUnd und Boden, soweit es nicht unter die Bestimmungen der Bodenenteignung falle. Ihre politischen Rechte werden wieder hergestellt; sie genießen das aktive und passive Wahlrecht; sie dürfen jeder in Rumänien erlaubten Partei beitreten. Nachdem sie fünf Jahre lang als Prügelknaben jeder Rechtlosigkeit und Beuteobjekt aller Habgier gedient haben, werden nun die Rumäniendeutschen — „dä sie von allen faschistischen Tendenzen gründlich gesäubert worden sind“ — als ein „W ertvolles Element der Bevölkerung unseres Landes“ anerkannt; sagt man ihnen staatsbürgerliche Gleichheit als einer „vollberechtigten Minderheit“ zu. Man nennt das in Bukarest den „neuen Weg“.

Für die dreihunderttausend Überlebenden der antifaschistischen Deutschensäuberung in Siebenbürgen und dem Banat bedeutet die zitierte Verfügung allerlei, aber sie sagt nicht alles, Was ZU sagen ist: den enteignet Besitz an Grund und Bodeh, Vieh und Inventar, Haus und Hof erhält keiner zurück, der fällt unter das Gesetz der Bodenenteignung. Dasselbe gilt von weggenommenen Industriee- und Handelsbetrieben, den Konzessionen, Gewerbescheinen, der ärztlichen Praxis, den Apotheken: ihre „Liquidation“ erfolgte gesetzmäßig. Die Verstaatlichung, das heißt Bolschewisierung und Russifizie- rung der Schulen und Religionsgemeinschaften, Überführung der Kirchen in Staatsver waltung, Eingliederung der Seelsorger in den Beamtenstatus — da wage einer sich zu widersetzen! —, das Verbot nichtstaatlicher Jugenderziehung, die Liquidierung der Kirchenvermögen, Einschränkung der privaten und kirchlichen Wohlfahrtspflege, die Durchsetzung der Erziehung und Wortverkündigung mit den Dogmen des „dialektischen Materialismus“: alles ist gesetzlich. Was bleibt? Die Möglichkeit, sich durch gesteigerte Leistung im Arbeitsprozeß und Klassenkampf, in der Gottlosenbewegung und im „Arlus“ (dem Rumänisch-Russischen Kültur- verband) „weltanschaulich“ zu „bewähten“. Man kennt das Rezept!

Die Schüler des deutschsprachigen Pädagogiums in Temesvar veranstalteten vor einiger Zeit einen „künstlerischen Abend“. Zur Vorführung gelangten Musik von Duna- jewski, die „Ballade Sibiriens“ (in russischer Sprache), ein Drama des Sowjetschriftstellers Korneitschuk, Turn- und Tanzeinlagen, dazu je eihe „Piece“ von Beethoven und Schubert. Am Schluß die kommunistische „Hymne der Jugend“. Zusammen: viermal kommunistisches gegen zweimal klassischdeutsches Geistesgut. Das ist das Verhältnis. Der „neue Weg“. Der Bericht des kommunistischen Zentralorgans Rumäniens, der „Scanteia", über die Veranstaltung sdiloß mit den Worten: Auf diesem Weg müsse fortgefahren werden. Auf ihm erzieht man die deutsche Jugend unseres Landes zur echten Demokratie.

So betrachtet, ist die neu errungene „Gleichberechtigung“ kümmerlich. Was zählt Gleichberechtigung ohne Freiheit? Freiheit aber sei ein bürgerliches Vorurteil, geht die offizielle Lehre. Am 13. Februar konstitu-

ierte sich in Bukarest als Gliederung der Kommunistischen Arbeiterpartei Rumäniens (PMR) ein „Deutsches Antifaschistisches Komitee“ (DAK). Es ist der Leitungssausschuß einer vorerst noch bescheidenen Kommunistischen Partei der Deutschen in Rumänien. Sie gibt — im Kominformverlag — ein eigenes Blatt heraus, die Wochenzeitung „N euer W e g“. Sie wird von Deutschen redigiert und geschrieben. Natürlich Hundertzehnprozentigen. Doch sie erscheint. Und die Rumäniendeutschen sind nicht mehr nur Parias, sondern gleichberechtigte Proletarier unter Proletariern. Man hofft: klassenbewußte Vorkämpfer des werktätigen Volkes. Denn das ist unabdingbare Voraussetzung in der Volksdemokratie, „Wir werden gründliche Erziehungsarbeit leisten“, versprach das DAK in seinem Huldigungstelegramm von der Gründungssitzung, „wir werden gründliche Erziehungsarbeit leisten: an der deutschen arbeitenden Bevölkerung Rumäniens und der Jugend, gegen die eigene Bourgeoisie, im Geist des leninistischen Marxismus und des internationalen Proletariats."

Als nach hundertfünfzigjähriger Türken- herrschaft die Siebenbürger Sachsen 1691 wieder zu Österreichern wurden, die sie schon nach Mohatsch (1526) hatten werden wollen, war ihre abendländische Substanz noch unverbraucht. Sie fügten sich ohne Naht und Bruch dem westlichen Staatsgebilde wieder ein, als Europäer, Christen und Deutsche. — Zu den protestantischen „Sachsen“ sind jetzt die katholischen „Schwaben“ getreten.

Freilich, der Gewissenszwang der Türken war nidit so hart, die Machtsphäre des Staate weniger umfassend urtd total als heute. Trug damals aber nur ein kleiner, selbst bedrohter Teil der Christenheit das Schicksal der gefährdeten Glaubensbrüder mit auf betendem Herzen, so tut es diesmal die gesamte freie Welt.

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