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Neutral - und nicht verhungert

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Die Handelspolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist offensichtlich ins Stocken geraten, weil der Beitritt Griechenlands und der Türkei, den man ursprünglich noch im laufenden lahr erwartet hat, mindestens um einige Monate vertagt wurde und infolge der Haltung Italiens mit harten Bedingungen verbunden zu sein scheint. Es zeigt sich, daß zwei Staaten, welchen die Wirtschaftsgemeinschaft übrigens bisher am meisten genützt hat — Frankreich und Italien —, im Falle eines von ihnen gewünschten Opfers sofort ihr Veto einlegen und die ganze schwierige Konstruktion in eine politische Sackgasse gerät.

Der „EWG-Handel“ Österreichs hat in den 9 Monaten von Jänner bis September zwar lange nicht die stürmische Expansion erlebt wie der Zonenhandel. Trotzdem sind die Importe um 24,1 Prozent und die Exporte um 19,6 Prozent gestiegen. Im Vergleich zur Gesamtentwicklung des Außenhandels fällt auf, daß die Bezüge hinter der allgemeinen Importerhöhung von 26 Prozent zurückgeblieben, aber die Lieferungen nach der Wirtschaftsgemein-

schaft höher gewesen sind als die durchschnittliche Zuwachsrate von 17,9 Prozent. Ferner haben bei den Importen Italien, bei den Exporten die Benelux-Staaten am besten abgeschnitten. Auf Westdeutschland entfielen bisher 62,7 Prozent des gesamten Handelsvolumens mit der Wirtschaftsgemeinschaft, so daß Frankreich, Belgien, Holland und Italien, aus der österreichischen Perspektive betrachtet, füglich ins Hintertreffen

Die Analyse der einzelnen Warengruppen bildet die einzige Handhabe, die bis zu einem gewissen Grade eine Schätzung der künftigen Aussichten und der Aufnahmefähigkeit der fremden Märkte ermöglicht. Obwohl die meisten Importe aus Westdeutschland, von den Fischen bis zu den Baumwoll- geweben, gestiegen sind, liegen über der durchschnittlichen Zunahme nur Kraftfahrzeuge, elektrische Apparate, Eisen, Stahl, Game, Metallwaren, Kupfer und Schrott. Nach wie vor spielen die Kraftfahrzeuge eine be-

herrschende Rolle: die wichtigsten

Stützen der Wirtschaftsgemeinschaft bilden nicht mehr Brennstoffe und Industriemaschinen, sondern Personenautomobile. Erstaunlicherweise liegen auch zahlreiche österreichische Exporte weit über der durchschnittlichen Wachstumsquote, besonders Eisen und Stahl, elektrischer Strom, Industriemaschinen und Magnesit, aber die Exporte von Holz, Zellulose, lebenden Tieren und Molkereiprodukten sind

Der Handel mit Italien, der für Österreich seit jeher sehr aktiv gewesen ist, ruht eigentlich auf einem höchst primitiven Güteraustausch. Eine wirklich wichtige Rolle spielen auf beiden Seiten nur drei Warengruppen, nämlich beim Import Obst und Gemüse, Erdölprodukte und Kraftfahrzeuge, beim Export Holz, Eisen, Stahl und lebende Tiere. Von Bedeutung ist, daß Italien in einem hohen Maße auf die Lieferung von lebenden Tieren und Molkereiprodukten angewiesen bleibt, die in jüngster Zeit durch Fleisch ergänzt werden konnten. Beim Import liegen fast alle Zuwachsraten weit über dem Durchschnitt; nur die Getreidelieferungen sind von Jänner bis Sep tember stark zurückgegangen. Der österreichische Export hat am besten bei lebenden Tieren, Fleisch und Magnesit abgeschnitten, dagegen starke Verluste bei Papier (—22,1 Prozent) und Aluminium (—20,7 Prozent) erlitten. Neben Holz, Eisen und Stahl bieten künftig in erster Linie die Lebensmittel große Chancen, deren Nachfrage wegen dem stark steigenden Fremdenverkehr rasch und ohne Unterlaß zunimmt.

Es muß daneben auffallen, daß Frankreich heute stark zurückgedrängt ist. Das Handelsvolumen entsprach etwa dem österreichischen Güteraustausch mit der Sowjetunion mit dem Unterschied, daß im Warenverkehr mit Frankreich der Export nur 36,8 Prozent der Importe erreichte. An der Spitze des Imports stehen Kraftfahrzeuge (206,7 Millionen) und des Exports Magnesit (62,9 Millionen Schilling). Bei allen anderen Waren blieb der Umsatz auf geringere Summen beschränkt. Die einzigen Warenkategorien, die steigende Tendenzen verraten, sind beim Import Garne und Baumwollgewebe, beim Export Glaswaren, Eisen und Stahl. Längst dahin sind die Zeiten, da viele Kreise nach Gründung der Montanunion dem Export von Eisen und Stahl düstere Prognosen gestellt hatten.

Ungewöhnlich interessant gestaltete sich der Warenverkehr mit Holland, Belgien und Luxemburg, weil Holland elektrische Apparate (174 Millionen), Öle, Fette und Wachse, Zinn, Eier und Molkereiprodukte, aber Belgien Wolle (51,3 Millionen Schilling),

Garne und Kupfer lieferte, während sich die Exporte nach Holland auf Holz (89,7 Millionen), Papier, Schallplatten und Tonbandgeräte, dagegen nach Belgien vorwiegend auf Eisen und Stahl (183,3 Millionen Schilling), Magnesit und Industriewaren stützten. Nach beiden Ländern werden neben Garnen und Geweben große Posten Spitzen, Stickereien und Spezialgewebe geliefert. Ferner ist im laufenden Jahr der Export von Motorrädern nach den Benelux-Staaten um 42,7 Prozent auf 22,6 Millionen Schilling gestiegen. Rückläufig waren allerdings Metallwaren (—3,8 Prozent) und Aluminium (—47,4 Prozent).

Auf diese Weise ergibt eine Analyse des Handels mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, daß der Export nach Italien, Belgien und Holland überaus entwicklungsfähig zu sein scheint und die Diskriminierung Österreichs durch den Vertrag von Rom wenigstens im Anfangsstadium mit Hilfe einer gewissen Umgruppierung einzelner Exportwaren ausgeglichen werden konnte. Gewiß ist es notwendig, die Skala der Exportgüter zu erweitern, um eine größere Widerstandskraft gegen Krisen und Rückschläge zu gewinnen, aber Eisen und Stahl, Holz und Papier haben heute in den meisten Staaten einen zuverlässigen Absatz. — Da in Zeiten des wirtschaftlichen Übergangs, die keine sicheren Prognosen erlauben, die große Gefahr von Fehlinvestitionen besteht, gehört eine Erforschung der internationalen Marktverhältnisse zu den wichtigsten Aufgaben, die, wie die Handelsstatistik lehrt, jedoch ohne den landesüblichen Pessimismus in Angriff genommen werden sollte, der von interessierter Seite systematisch verbreitet wird.

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