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Neutralität: freiwillig und selbst gewählt

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Die österreichische Neutralität ist eine selbstgewählte, eine freiwillige und unter keinem äußeren Druck zustande gekommene. Sie wurde beschlossen einen Tag nachdem der letzte ausländische Soldat im Jahre 1955 österreichischen Boden verlassen hatte. Selbstverständlich ist es nicht möglich, das Zustandekommen der österreichischen Neutralität aus dem politischen Konnex zu lösen, der für das Jahr 1955 charakteristisch war.

Die seit dem Abschluß des österreichischen Staatsvertrages betriebene österreichische Außenpolitik wurde von allen Mächten, die am Abschluß des Staatsvertrages beteiligt waren, als gut empfunden und hat bei den Regierungen der Großmächte in Ost und West stets Anerkennung gefunden.

Das beste Unterpfand

Gerade der Umstand, daß es Österreich gelungen war, im letzten Dezennium völlig krisenfreie Beziehungen zu den Großmächten zu unterhalten, krisenfrei auch der Sowjetunion gegenüber, ist ein deutlicher Hinweis dafür, daß die kontinuierliche Beibehaltung dieser für Österreich sehr erfolgreichen außenpolitischen Linie das beste Unterpfand für die Sicherung der Freiheit und Unabhängigkeit des Landes ist. Es geht um die Kontinuität unserer Politik, um die Berechenbarkeit unserer Politik. Zu dieser Kontinuität gehört es auch, daß wir ein im okzidentalen Sinne freies, demokratisches Land bleiben. Ich möchte in diesem Zusammenhang daher ausdrücklich betonen, daß die ideologische Verbundenheit Österreichs mit dem Westen nicht nur kein Hindernis, sondern meines Erachtens sogar eine Voraussetzung für die Fortdauer ungestörter Beziehungen zu allen Großmächten, ich wiederhole allen Großmächten einschließlich der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, bleibt. Dies hat seinen Grund in Umständen, die ich nun in Verbindung mit der nächsten Maxime unserer Außenpolitik behandeln möchte.

Als vierte Maxime der österreichischen Außenpolitik nenne ich die Forderung, sie so zu gestalten, daß sie als Beitrag zur Aufrechterhaltung eines dauerhaften Friedens in Europa und in der Welt empfunden werden kann. Der verstorbene Bundeskanzler Julius Raab hatte in geradezu prophetischer Weise die Richtigkeit dieser Überlegung vorausgeahnt, wenn er bereits am 19. Oktober 1956 im bayrischen Rundfunk erklärte:

„War die österreichische Außenpolitik zehn Jahre lang darauf gerichtet, dem Lande durch den Abschluß des Staatsvertrages die Souveränität wiederzugeben, so beginnt nun unser Staat, seine Aufgabe in Europa und in der Welt zu erfüllen. Wir sehen diese Aufgabe vor allem darin, unser kleines Land zu einem Stabilisierungsfaktor in Europa zu machen und wir sind stets bereit, unsere guten Dienste und unsere alten Erfahrungen zur Verfügung zu stellen, wenn sie gebraucht werden könnten.”

Mit der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages haben alle vier Großmächte einen Beitrag dazu geleistet, in dem mitteleuropäischen Raum, in dem wir leben, ein Kräftegleichgewicht herzustellen, an dessen Aufrechterhaltung alle Signatarmächte des Staatsvertrages heute nach zehn Jahren ebenso noch interessiert sind, wie im Jahre 1955. Die westlichen Großmächte haben Österreichs außenpolitische Aktionen seit dieser Zeit und den Weg, den es gegangen ist, mit Sympathie verfolgt. Ich muß aber auch objektiverweise feststellen, daß unbeschadet der Zugehörigkeit unseres Landes zum ideologischen System des Westens, Österreich auch bei den verantwortlichen sowjetischen Staatsmännern einen geachteten Platz einnimmt und die bisher von Österreich verfolgte Außenpolitik auch in Moskau stets positiv gewürdigt wurde. Österreich ist in Europa ein Faktor der Stabilität und der Sicherheit geworden. WTir sind zwar neutral im eigenen Interesse, aber unsere Politik koinzidiert mit den Interessen dritter Mächte. Mit Recht hat Bundeskanzler Doktor Klaus in seiner jüngsten Münchner Rede darauf hingewiesen, daß Österreich seit dem Abschluß des Staatsvertrages eine konsequente außenpolitische Linie verfolgte, die unter keiner österreichischen Regierung geändert wurde und auch in Zukunft nicht geändert werden sollte.

Vertragstreue — über allem

Als fünfte Maxime für die österreichische Außenpolitik möchte ich das strikte Bekenntnis zum Grundsatz der Vertragstreue bezeichnen.

Es gibt für ein kleines, militärisch und beschränkt gerüstetes Land, das an den Schnittlinien der Giganten liegt, keinen besseren Rückhalt in der Außenpolitik als dieses Bekenntnis zum Prinzip „Pacta sunt servanda”. Wir sagten vorhin, die Politik eines neutralen Landes muß berechenbar sein. Der Kalkulationsfaktor für unsere Politik muß für den Außenstehenden darin sichtbar werden, daß für uns das Recht vor Macht geht, daß die Einhaltung übernommener Verpflichtungen uns dringender und wichtiger erscheint als die Befriedigung flüchtiger politischer Interessen, die heute von Vorteil und morgen von Nachteil sein können, und daß wir schließlich bereit sind, zur Wahrung des Vertrauenskredites eher Opfer in Kauf zu nehmen, als eingegangene Verpflichtungen zu verletzen.

(Ein zweiter Artikel folgt)

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