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Neutralitätsschutz — warum?

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Mit der Erklärung seiner immerwährenden Neutralität hat sich Österreich im politischen Leben der Völker Europas eine Aufgabe gestellt, deren Bedeutung und deren Segen noch gar nicht abgeschätzt werden können. Um ihren inneren geistigen Gehalt muß noch gearbeitet und gerungen werden. Bei jedem einzelnen Staatsbürger ist das hierfür notwendige Verständnis zu wecken. Ich bin mir bewußt, daß in dieser Hinsicht Erziehung einerseits und geistige Überwindung vergangener oder sonst mit dem österreichischen Gedanken unvereinbarer Ideologien anderseits unbedingt erforderlich sind. Mit gesetzlichen Bestimmungen allein kann die geistige Haltung nicht geformt werden. Das Gesetz soll stets nur ein Hilfsmittel sein, um Gefahren zu begegnen, die sich aus unqualifizier-barem Verhalten einzelner Gruppen oder aber auch aus schmähenden oder verhetzenden Äußerungen ergeben.

Ich bin entschieden der Meinung, daß unsere Neutralität auch aufs Spiel gesetzt werden kann oder könnte, durch eine aus welchen Gründen immer entfesselte Kampagne, welche vor Verschmähung und Verunglimpfung ausländischer Regierungs- und Staatsoberhäupter oder Volksgruppen in einer über sachliche Kritik weit hinausgehenden Art nicht haltmacht. Ohne hier nun bestimmte Gruppen im Auge zu haben, muß ich aber sagen, „daß es eine gewisse Art von Journalismus gibt, die wohl das Selbstgefühl des Schreibers, kaum jedoch das Empfinden für die öffentliche Verantwortung der Presse zu befriedigen vermag“. Diese Anklage stammt keineswegs von mir, sondern von einem verantwortungsbewußten zeitgenössischen Journalisten selbst. Wie wäre es, wenn gerade die Journalisten unserer Zeit, anstatt stets nur von der unantastbaren Pressefreiheit zu reden, bei ihren Ausführungen daran dächten, daß nicht das Gesagte wichtig ist, sondern das, was durch das Gesagte bewirkt wird? Daß ich mit meiner Meinung nicht allein dastehe, dokumentiert unter anderem ein Leitartikel einer weitverbreiteten Tageszeitung, die vor nicht allzu langer Zeit unter dem Titel „Den inneren Frieden schützen“ eine Gesetzesbestimmung gegen Verhetzung forderte.

Wenn ich nun entsprechende gesetzliche Bestimmungen verlange, so liegt es mir völlig fern, etwa der Presse einen „Maulkorb“ anzulegen oder die Freiheit der Meinungsäußerung zu beschränken; es geht mir darum, gefährliche Auswüchse beizeiten zu bekämpfen, ehe sie zu trojanischen Pferden werden können.

Meine Bestrebungen für die Erlangung eines Staatsschutzgesetzes wurden von einem Journalisten, der mich um meine Gedanken in diesem Zusammenhang befragte, wie folgt kommentiert: „Sie haben recht! Man sollte vielleicht doch so etwas wie ein Staatsschutzgesetz machen. Wir haben aber schon soviel Staat und sowenig Freiheit, daß man vor einem derartigen Gesetz einfach warnen muß; warnen deshalb, weil die Diskrepanz zwischen dem gesetzlichen Wortlaut von heute und der Gesetzanwendung von morgen gegenüber der Tat die gefährlichste .weiche Stelle' ist.“

Dieses Argument ist sicherlich des Nachdenkens wert. Aber wenn schon von „weichen Stellen“ gesprochen wird, so muß ichäuch dar-auf hinweisen, daß es gilt, „weiche Stellen“ u beseitigen, damit nicht aut einem anderen, vidi leicht unerwarteten Weg der totale Staat den Weg ins Land findet.

Die österreichische Neutralität ist, wie ich schon sagte, eine verfassungsmäßige. Wenn sie schon den einzelnen Bürger nicht bindet, sondern nur den Staat, das heißt seine Organe, wie den Bundespräsidenten, die Bundesregierung und so weiter, so gibt ihr doch dieser verfassungsmäßige Charakter auch eine Ordnungsaufgabe. Das hat nun nichts zu tun mit Ordnung der Gesinnung des einzelnen, also mit der Gesinnungsneutralität, wohl aber mit der Haltung gegenüber dem Staat. Nehmen wir uns ein Beispiel an den Schweizern und den Schweden. Die Neutralität der Schweiz ist unserer ähnlich, denn auch sie ist in der eidgenössischen Bundesverfassung eingebaut. Die Schweden üben die Neutralität auf Grund einer wiederholt abgegebenen Erklärung aus. Die Eidgenossen wie auch die Schweden, die genau sowenig wie die Österreicher als Einzelpersonen zu einer Neutralitätspolitik verpflichtet sind, helfen aber dem Staate, die Neutralität zu wahren, sie sind stolz auf diesen Status und achten ihn, weil sie, wissen, daß er ihnen sehr viel an Leid erspart, aber auch Nutzen bringf. Beide Länder haben aber auch klarer gefaßte Bestimmungen bezüglich des Staatsschutzes. So lautet der A r-t i k e 1 2 des Bundesratsbeschlusses der Eidgenossenschaft vom 29. Oktober 1948, mit welchem eine Verstärkung des Staatsschutzes vorgenommen wurde, folgendermaßen: Wer in der Absicht, ausländische, gegen die Schweiz gerichtete politische Unternehmungen oder Bestrebungen zu unterstützen, mit einem fremden Staat oder mit ausländischen Parteien oder anderen Organisationen des Auslandes oder mit ihren Agenten in Verbindung tritt, u n-wahre oder entstellende Behauptungen aufstellt oder verbreitet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. In schweren Fällen kann auf Zuchthaus erkannt werden.

Oder Artikel 5 des genannten Bundesratsbeschlusses: Wer eine Handlung vornimmt, die darauf gerichtet ist, die verfassungsmäßige Ordnung der Eidgenossenschaft oder der Kantone rechtswidrig zu stören oder zu ändern, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft.

Oder auch Artikel 8 : Wer öffentlich in gemeiner Weise oder fortgesetzt die politischen Einrichtungen der Eidgenossenschaft oder der Kantone, insbesondere ihre demokratischen Grundlagen, verächtlich macht, namentlich wer zu diesem Zwecke unwahre oder entstellende Behauptungen tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Buße bis zu 5000 Franken bestraft.

Das schwedische Strafgesetz kennt ähnliche den Staatsschutz betreffende Delikte wie auch unser Strafgesetz. Darüber hinaus stellt es jedoch in Kapitel 8 unter 8 auch die öffentliche Beschimpfung von Hoheitszeichen einer fremden Macht und Angriffe aller Art gegen ein fremdes Staatsoberhaupt ebenso wie die Verletzung der Exterritorialität unter Strafsanktion.

Würden wir auch ein solch klar formuliertes Gesetz erlassen können, so wäre es zweifellos ein wertvolles Mittel für den Staatsschutz. Es würde der Erhaltung der Unabhängigkeit und Freiheit des Staates dienen. Es sollte Herzenssache jedes österreichischen Bürgers sein, jederzeit für Unabhängigkeit, und Freiheit des Staates einzutreten. Wenn wir an Unabhängigkeit und Freiheit denken und davon reden, sollten wir aber so wie in der Schweiz das Wort und den Begriff „Neutralität“ in die Mitte setzen: also für „Unabhängigkeit, Neutralität und Freiheit“ (Henry Guisan).

Da erschallt aber der Ruf: „Persönliche Freiheit voran, Pressefreiheit ohne Einschränkung!“ Ja, das ist alles schön und recht. Wer aber die persönliche Freiheit so auffaßt oder unter dem Deckmantel „Pressefreiheit“ so handelt, daß die Unabhängigkeit, Neutralität und Freiheit des Staates gefährdet wird, handelt gegen den Staat, gegen das Staatsgefühl des Volkes und gefährdet damit auch seine eigene Freiheit.

Man darf die Staatsschutzaufgabe nicht nur der Behörde überlassen. Der Bürger muß mitwirken. Er kann dies, wenn er die Augen offenhält, gegen Gehörtes, das den Staat und seine Einrichtungen schmäht und herabsetzt oder gegen andere Nationen und Staaten ode? obrigkeitliche Personen hetzerisch oder verleumderisch gerichtet ist, mannhaft auftritt und am richtigen Ort das richtige Wort sagt. Ein solches Verhalten, fußend auf der Liebe und Treue zum Vaterland, auf der Achtung und Beachtung der verfassungsgemäften Ordnung und Autorität, nützt mehr als staatliche Gewalt, als Anwendung von Strafgesetzen und Verurteilung.

Ich habe einiges aufgezeigt, vieles könnte man noch sagen. Der Artikel 1 der Bundesverfassung, den ich eingangs zitierte, gibt dem Bürger viele Rechte. Keine Rechte ohne Pflichten! Darf ich einen politisch-philosophischen Leitsatz zitieren:

„In unserer Demokratie ist nicht das Mitspracherecht das Wichtigste, sonder die Mitdenkepflicht'!“

Ich bilde mir nicht ein, daß alle, die meine Ausführungen lesen, mit meinen Ansichten einverstanden sind. Aber ich bin überzeugt, daß gerade die Leser der „Furche“ stets bereit sind, als Bürger dieses Staates schützend für ihn einzutreten.

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