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Nicht mehr Schweizer, Anschluß’

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Am 9. November wird in Vorarlberg das Bestehen eines selbständigen Bundeslandes Vorarlberg gefeiert.

Das Jahr 1968 ermöglicht eigentlich ein 50-Jahr-Jubiläum nur, wenn man von Ereignissen ausgeht, die sich 1918 zugetragen haben. Die 50-Jahr-Feier der Republik Österreich findet mit Fug und Recht in diesem Jahr statt, denn als Geburtsjahr der Republik kommt nur das Jahr 1918 in Betracht, als Geburtstag übrigens der 30. Oktober 1918, an welchem Tag in der 2. Vollversammlung der deutschen Abgeordneten Österreichs, der sogenannten „provisorischen Nationalversammlung“, der „Beschluß über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt“ (StGBl Nr. 1) gefaßt wurde. Die demokratische Republik als Staatsform wurde allerdings erst im Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungform von Deutsch-Österreich (StGBl. Nr. 5) festgelegt, nachdem der Kaiser in seinem Manifest vom 11. November 1918 auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften verzichtet hatte.

Man hat sich bei den „im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern“, soweit sie deutscher Zunge waren, vielfach auf den Standpunkt gestellt, daß mit dem erwähnten kaiserlichen Manifest diese historischen Ländern nun aus dem Verband des habsburgischen Einheitsstaates entlassen und selbständige Völkerrechtssubjekte geworden waren. Die Länder haben’denn auch weithin die Beschlüsse der zentralen und zentralistischen Staatsgewalt ignoriert, da nach ihrer staatsrechtlichen Auffassung mit dem Wegfall der Pragmatischen Sanktion das einigende Band zwischen den Ländern gelöst war. In logischer Konsequenz dieses Standpunktes bewarb sich dann auch die Zentralgewalt (provisorischer Staatsrat) bei den provisorischen Landesversammlungen um eine„JorrqeUe, Beitrittserklärung,, der Länder zum nfeuen Staat.-» Die- Beitritts’ejskläryn. gen erfolgten feierlich am 12. November 1918 (StGBl. Nr. 23), und zwei Tage später wurden auch die provisorischen Landesversammlungen von der provisorischen Nationalversammlung anerkannt (StGBl. Nr. 24), Wenn nun Vorarlberg im November 50 Jahre seiner eigenen Unabhängigkeit, genauer gesagt, seiner gliedstaatlichen Eigenständigkeit begeht, so an und für sich auf Grund eines faktischen, mit juristischen Argumenten unterbauten Zustandes, der tatsächlich 1918 geschaffen wurde, während seine Einrichtung als Gliedstaat (Bundesland) der Republik Österreich verfassungsrechtlich in Wirklichkeit erst am 1. Oktober 1920 erfolgt ist.

Kampf und Sieg

Wenn Vorarlberg diese 50-Jahr- Feier heuer begeht, so nicht zuletzt deshalb und mit vollem Recht, weil es tatsächlich 1918 von Tirol gelöst wurde. Vorarlberg hatte zwar sozusagen seit jeher einen eigenen Landtag. Trotz dieses eigenen Landtages war Vorarlberg des öfteren im Lauf seiner Geschichte von einer landesfürstlichen (habsburgischen) Behörde in Innsbruck als Mittelinstanz abhängig, nämlich von zirka 1450 bis 1752, von 1782 bis 1805, dann aber vor allem von 1814 bis 1918. Die Unterordnung unter Tirol führte im Revolutionsjahr 1848 zu einer Gegenbewegung, in deren Verlauf dem von Innsbruck (Gubernium) aus bestellten Kreishaiuptmann (Sitz Bregenz) die Wahl eines neuen Landtages abgetrotzt wurde (der an die Stelle der 1816 ohne Funktion wieder eingerichteten Landstände trat). Ein Regierungsantrag auf Vereinigung Vorarlbergs, zu dem 1805 beziehungsweise 1815 auch die restlichen kleinen Herrschaften (Sonnenberg) gekommen waren, mit Tirol wurde von diesem Landtag abgelehnt, doch teilten diese Beschlüsse das Schicksal der Revolution im übrigen Österreich. Erst mit dem Oktoberdiplom vom 20. Oktober 1860 bekam Vorarlberg seinen Landtag wieder, der am 6. April 1861 erstmals zusammentrat, aber nur sehr bescheidene Rechte hatte, vor allem keinerlei politische Gewalt. Den Vorsitz im Landtag führte ein vom Kaiser ernannter Landeshauptmann, Landesgesetze — die Kompetenzen waren ohnehin gering — bedurften der kaiserlichen Sanktion.

Bald kam es zu einem dauernden passiven Widerstand im Land gegen den Zentralismus der kaiserlichen Behörden in Wien und .Innsbruck (im Vorarlberger Jungbürgerbuch 1968 wird von einer Verfechtung des „tausendjährigen Staatsrechts Vorarlbergs“ gesprochen). Besonders galt der Kampf der politischen Parteien im Land, vorab der Liberalen und bald der immer stärker werdenden Christlichsozialen, der Errichtung einer eigenen, von Innsbruck unabhängigen Landesregierung. Diesbezügliche Vorstöße wurden von 1907 bis 1913 sozusagen ununterbrochen unternommen, aber ebenso hartnäckig abgewiesen.

So kam es den Vorarlbergern denn tatsächlich als Befreiung vor, als sie seit dem 30. Oktober 1918 selbständig werden konnten. Am 3. November 1918 erklärte die von allen drei Parteien beschickte Landesversammlung auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der Völker (im Sinn von Wilsons 14 bzw. 17 bzw. 21 Punkten) Vorarlberg als selbständiges Land mit eigener Regierung. Dabei stand auch bereits fest, daß Vorarlberg die republikanische Staatsform wünschte, und wenige Tage später, noch vor der Abdankung .des Kaisers, beantragte der ehemals „Wilde" und spätere Christlichsoziale Jodok Fink aus Andelsbuch’, der Mitbegründer der Republik Österreich, in Wien als Sprecher der Christlichsozialen die Abschaffung der Monarchie.

Man hat manchmal das Zwischenspiel der Vorarlberger Bemühungen um einen Anschluß des Landes an die ebenfalls alemannische Schweiz mit einer diesbezüglichen Volksabstimmung vom 11. Mai 1919, die 80 Prozent Mehrheit für einen solchen Anschluß ergab, als eine Art unösterreichischer Gesinnung bezeichnet. Man darf aber die Geschehnisse von 1918 nicht mit den Augen des Österreichers von 1968 sehen und muß überdies auch die Gründe und Zusammenhänge zu verstehen trachten. Vor allem aber muß man wissen, daß der Vorarlberger auch ein überzeugter und diesen heutigen Staat vorbehaltlos bejahender Österreicher ist.

Freundschaft mit Tirol

Wenn Vorarlberg seine 50 Jahre Selbständigkeit als gleichberechtig- tes Land im österreichischen Staatsverband feiert, so klingen heute auch nicht einmal mehr antitirolerische Klänge mit auf. Wenn man von einigen wenigen Verwaltungsagenden absieht, hinsichtlich deren die wünschenswerte und wünschbare Los-

lösung von einem „Gubernium“ in Innsbruck noch immer nicht vollzogen ist (Oberlandesgericht Innsbruck, Postdirektion für Tirol und Vorarlberg in Innsbruck, Personalunion des Präsidenten der Vorarlberger und der Tiroler Finanzlandesdirektion, Bundesanstalt für Eich- und Vermessungswesen mit Instanz für Tirol und für Vorarlberg in Innsbruck), und es — um mit Klecatsky zu sprechen — „Ober-Länder“ gibt, so kann man geradezu von einer vorbildlich herzlichen und freundschaftlichen Zusammenarbeit nicht nur der beiden Bundesländer und ihrer Behörden sprechen, sondern auch von einer Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses der stammlich voneinander verschiedenen Bevölkerungen selbst. Die Tiroler sind in Vorarlberg übrigens nicht nur zahlreich, sondern auch sehr beliebt, und die ebenfalls recht zahlreichen Vorarlberger, deren Universität zudem die angestammte Franz-Leopolds-Uni- versität ist und als solche empfunden wird, in Tirol erfreuen sich dort nicht minder größten Ansehens, nicht zuletzt durch ihre sachliche Arbeit. Viele. Innsbrucker Universitätslehrer sind Vorarlberger.

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