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„Nicht noch 50 Jahre über Nazi verbrechen nachdenken!”

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Fritz Molden, Mitglied der Österreichischen Widerstandsbewegung gegen das Naziregime, Präsident des Auslandsösterreicherwerkes, will natürlich keinen Bruderkrieg, obwohl er sich von den harten Aussagen seines Bruders, des Gründers des Forums Alpbach, via Austria Presse Agentur deutlich distanziert hat. In einem Gespräch mit der FURCHE präzisiert Fritz Molden jetzt, was ihm bei den Republikfeiern, angesichts der Distanzierungen seitens der Haider-Rechten sowie bei den momentanen Auseinandersetzungen um Rechts- und Linksextremismus in Österreich wichtig erscheint.

Die Kategorien „anständige” und „nicht anständige” Österreicher, so Molden, gebe es für ihn nicht. Diese Unterscheidung war im Zusammenhang mit der flaiderschen Kritik an der Republikfeier auf dem Wiener Heldenplatz aufgetaucht, wonach sich dort die selbsternannten „anständigen” Österreicher eingefunden hätten. Zwischen 1938 und 1955 habe es eine sehr einfache Methode gegeben, festzustellen, wer ein anständiger Österreicher war, meint Molden: Wenn jemand anständig und nationalsozialistisch war, dann war er nicht intelligent, wenn er intelligent und nationalsozialistisch war, dann war er nicht anständig, wenn er anständig und intelligent war, dann war er kein Nazi. Heute sei es absurd, von anständigen und unanständigen Österreichern zu sprechen, betont Fritz Molden: „Für mich gibt's diese Kategorien nicht, besonders nicht 50 Jahre später. Es steht weder dem Herrn Heller, noch dem Herrn Haider, sicher auch nicht dem Herrn Turrini und auch nicht dem Fritz Molden zu, zu sagen, der ist anständig und der ist unanständig. Ich glaube, das müssen wir dem Urteil der Geschichte überlassen - auf der anderen Seite können wir ziemlich genau beobachten, wie sich ein Mensch im täglichen Leben und in der Öffentlichkeit und in wesentlichen Fragen verhält.”

Mit Lebenslügen fertig werden

Es habe ihm leid getan, so Molden, daß nicht alle wesentlichen politischen Kräfte bei der Republikfeier dabei waren. „Sollten die Freiheitlichen eingeladen worden sein und abgelehnt haben, dann hielte ich das für sehr bedauerlich. Man sollte aber die Republikfeiern nicht zu sehr auf eine bestimmte Linie abschrägen.” Molden meint eine Richtung, die alles im Lichte der Nazi-Vergangenheitsbewältigung sieht. „Ich sehe zwischen Linksextremen und Rechtsextremen null Unterschied. Die Attentäter von Ebergassing sind ebensolche Verbrecher wie die Roma-Mörder und gehören strafrechtlich verfolgt. Aber jetzt so zu tun, als ob die Republik in Gefahr wäre, halte ich für absurd. Und es ist auch absurd, daß man heute sogar schon Kriegerfriedhöfe in ein rechtsextremes Spektrum einordnet. Diese armen Hunde wurden zur Wehrmacht eingezogen, die sind ja nicht per Hetz oder wegen Freude an

der Hitlerjugend gefallen. Da ist durch Unkenntnis bei sehr vielen jungen Leuten ein falscher Denkprozeß eingetreten. Auf der anderen Seite kann man nicht die Verbrecher der SS und andere Nazifunktionäre, die furchtbare und völlig unverzeihliche Verbrechen begangen haben, sozusagen in einen Topf werfen mit dem normalen Menschen, der zur Wehrmacht eingezogen wurde.”

Lebt Österreich auf der Basis einer Lebenslüge, wie manche Historiker behaupten? Fritz Molden dazu: „Ich

glaube, daß einige ehrenwerte und sicher gutwillige, aber etwas hysterische Damen und Herren, die sich in mehr oder weniger republikanischen Klubs zusammenfinden, hier einem Irrtum anheimfallen. An einer Lebenslüge leiden alle Staaten der Welt, die ähnliche Entwicklungen wie Österreich durchgemacht haben. Frankreich, dessen Bevölkerung zu drei Viertel für Potain und damit für die Kooperation mit Nazi-Deutschland war, leidet extrem daran. In Österreich sind 1938 noch mindestens

die Hälfte bis zu zwei Drittel dem Nationalsozialismus kritisch gegenübergestanden. In Tschechien gab es überhaupt keinen Widerstand, nach dem Krieg haben sie drei Millionen Sudetendeutsche vertrieben als Rache für Lidice, wo 200 Menschen von den Nazis getötet wurden. Auch in Italien gibts diese Lebenslüge, wo man in einer Art Reinigungsakt zwei Wochen lang die Faschisten erschlagen konnte und dann Schluß war. Selbst die Schweiz kennt eine kleine Lebenslüge, weil man dort vergessen hat, daß man bis 1943 alle Juden zurückgeschickt hat.” Mit Lebenslügen muß jeder einzelne fertig werden, betont Molden. „Aber es hat keinen Zweck, daß wir jetzt die nächsten 50 Jahre auch noch damit verbringen, nachzudenken, was in den Jahren 1938 bis 1945 für grauenhafte Verbrechen geschehen sind. Wir können nur schauen, daß wir uns halbwegs anständig benehmen, daß so etwas nicht mehr passieren kann.”

Das Image Österreichs in der Welt ist - so Molden - trotz „der von uns fast tagtäglich in die Welt hinausposaunten Botschaft, wir Österreicher seien die größten Naziverbrecher gewesen”, momentan besonders gut. Das sei ihm unlängst erst von Michail Gorbatschow bestätigt worden.

Beispiele könne Österreich künftig geben, wenn es echte politische Asylwerber jederzeit bei sich aufnehme, wie schon bei den Krisen 1956 (Ungarn) und 1968 (CSSB), so Molden.

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