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Nichtsnutzige Scharmutzel

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Der Österreicher muß sein Herz jetzt fest in der Hand haben. — Nach den fruchtlosen Wochen der Moskauer Konferenz sind wir jetzt aus der Nähe Zeugen der Erscheinung, die jetzt in Wien unter dem Titel Alliierte Kommission zur Vorbereitung des österreichischen Staatsvertrages wie ein kümmerlich flackerndes, vom Verlöschen bedrohtes Lichtlein brennt.

Minister Dr. Gruber formuliert das Kernproblem, um das es geht, mit dem Satze: „Gelingt es, wenigstens den Anspruchsumfang und Anspruchssinhalt der Reparationsgläubiger so festzulegen, daß größere Zweifel bei der ferneren Anwendung nicht mehr auftauchen können, wird die Frage des Deutschen Eigentums praktisch aus der Welt geschafft sein.“ Aber die Konferenz berät noch immer über die Bestimmung ihrer Aufgaben, nicht über deren Lösung. Die Enttäuschung von Moskau verlängert sich. — Gleichzeitig hat sich zur Ernährungssorge fast noch unbarmherziger die andere um die Kohlenbeschaffung gesellt, deren Versagen die Wiederaufrichtung unserer Wirtschaft mit allen Folgen bedroht. Um Hilfe rufend, ist eine Delegation nach London gegangen. Zu gleicher Zeit bedrängt Österreich die neue russische Forderung nach Bezahlung von Verbindlichkeiten gegen deutsche Gläubiger, mit der wenig verlockenden Aussicht, Schuldner der Kredit anbietenden russischen Militärbarik werden zu können.

Das ist in grober Kontur das Gesicht der Gegenwart. Manche erkennen seine Züge so wenig, daß sie sich noch nicht darüber klar sind, wie gebieterisch es ist für unser Land, alle seine inneren Kräfte zu erfassen.

Jetzt ist am allerwenigsten Zeit für kleinliche, häusliche Auseinandersetzung und Ranküne. Ja, es ist selbstverständlich. Aber es knallt gegenwärtig um uns das Kleingewehrfeuer eines ebenso beharrlich wie überflüssig aus übler Laune geführten Gefechtes. Schuldige an dieser sträflich kostspieligen Unterhaltung sind auf beiden Seiten: in Wien und anderwärts. Würde es nicht das Ministerium für Vermögenssicherung verlautbart haben, so könnte man es für einen schlechten Scherz gehalten haben: Die Gemeinde Wien hätte sich eine große Baggermaschine gewünscht, wie sie vom Staate aus britischem Besitz erworben und nach Steiermark zu Straßenherstellungen weitergegeben worden war; aber, weil der Wunsch nicht erfüllbar war, da die Maschine von Rechts wegen steirisches Eigentum geworden war, geschah es, daß — wie die amtliche Erklärung in milder Umschreibung des Tatbestandes auseinandersetzt — ,.ein Organ der Gemeinde Wien Teile des B.i??ers nach Wien transportieren ließ, so daß die Maschine weder in Graz noch in Wien in Betrieb genommen werden kann“. Mag dies ein Stück Wildwest von Amts wegen und kein Beitrag zu der Pflege innerstaatlicher Beziehungen sein, so wird die Sache noch ernster, wenn allerlei Geschehnisse Geist und Gesetz der verfassungsmäßigen Zusammengehörigkeit berühren. Kürzlich erfuhr man aus einer protestierenden Entschließung der Katholischen Lehrerschaft Wiens, daß der neue Lehrplan für die Hauptschulen, der, wörtlich übereinstimmend mit jenem für die Untermittelschule, „die bisherige Hauptschule mit ihrer abschließenden für das praktische Leben vorbereitenden Bildungsaufgabe im Verordnungswege als selbständige Schultype zu Fall bringt und ohne gesetzliche Grundlage der Einführung der Einheitsmittelschule Vorschub leistet“, „ohne die gesetzlich vorgeschriebene Einvernahme der Landesschulbehörden zustande gekommen ist“. — Die Beschwerde darüber bereichert die Reihe der anderen, die über die Verkürzung der föderalistischen Rechte der Bundesländer durch Wien Klage führen. Sei es nun, daß sich in solchen Vorkommnissen dunkle zentralistische Komplexe aus langer Verschlafenheit melden, sei es, daß sich dabei Unbedachtsamkeit oder eine gewisse intel-lektualistische Überheblichkeit meldet, die ihren Stolz in der Macht großstädtisch zusammengeballter Massen und nicht in der Berufserfüllung der großen Stadt als Nervenzentrum und in ihrer historischen und noch immer lebendigen Leistung für die staatliche Gemeinschaft begründen will — immer werden solche einzelne Rückfälle in eine überwundene Vergangenheit in Wien selbst der verdienten Kritik begegnen müssen. Denn zutiefst ist den Lebensgesetzen dieser Stadt eingeprägt, daß sie ihr Sein durch ganz Österreich empfängt und ihre Bürgerkrone deshalb so kostbar ist, weil sich in ihrem Glanz die Geschicke und die Genien von ganz Österreich widerspiegeln. Sicherlich, eine große Verpflichtung ist damit verbunden und sie ist deshalb nicht geringer, weil sie nicht aus einem einseitigen Empfangen hervorgeht. Diejenigen jedoch, die heute in einzelnen Bundesländern eine Art Zonenföderalismus herausarbeiten möchten, geben sie sich Rechenschaft darüber, wem sie damit in die Hand arbeiten? Auf einzelnen öffentlichen Tribünen des Westens, die sehr föderalistisch drapiert sind, wird eine Fehde gegen Wien geführt, die in manchen Äußerungen Schwarz in Weiß weniger darauf berechnet erscheint, die andere Seite von einem Unrecht zu überzeugen, als zu verletzen und zu kränken. In welches Stadium innerpolitischer Debatte sind wir geraten, wenn man kürzlich aus einer westlichen Landeshauptstadt vernahm, Wien möge bedenken, daß es die Bundesländer nur belaste und man doch ohne die Hauptstadt, an die man soviel liefern müsse, viel besser leben könne. Man kann solchen Gedankengängen, die mehr aus einer verstimmten Gefühlswelt denn aus sachlichen Erwägungen stammen, nicht mit dem Argument begegnen, daß Wien mehr als die Hälfte der Gesamtsteuerleistung Österreichs aufbringt und mit seiner Steuerkraft die Lasten aller mittragen hilft, oder daß seine Stätten der Wissenschaft, die in seinen Mauern bewahrten Schätze der Kunst und der Geschichte österreichisches Gemeingut sind und hier sich die großen Weltstraßen für ganz Österreich kreuzen, und vielleicht gilt auch nicht das Argument, daß Wien seiner Bevölkerung nach eine der größten Städte aller österreichischen Bundesländer ist, weil sich .in diesem großen Sammelbecken österreichischen Schaffens und österreichischer Verwaltung, alle österreichischen Stämme treffen. Hier wird aus dieser Vereinigung, diesem Zusammenwirken und Verschmelzen der österreichische Marsch täglich neu geboren. Aber wenn schon alle diese Gründe gar nichts gelten, so sollte doch die gemeinsame Not unseres Landes allem lieblosen Gerede und Handeln gegeneinander auf beiden Seiten ein Ende machen, jenen Eifersüchteleien, die so ganz dem Geiste eines Föderalismus widersprechen.

Dieser Bundesstaat ist nicht von oben herab geschaffen worden, sondern wie vor mehr als zehn Jahren einmal Wilhelm Taucher in der Messnerschen „Monatschrift für Kultur und Politik“ schrieb, von unten herauf als Bund von Ländern, die sich früher konstituiert hatten als der Staat, die aber aus der freien Erkenntnis ihrer Schicksalsgemeinschaft ihre Zusammengehörigkeit aufs neue beschworen. So bedeutsam und groß ist diese Gemeinschaft, daß über Sein oder Nichtsein dieses Bundesstaates unter der Frau Hitt oder dem Grazer Schloßberg und ganz gewiß auch und für alle auf dem Stephansplatz entschieden würde. Diese Zusammengehörigkeit will mit Ehrfurcht und Liebe behandelt sein. Wer glaubt, dem Föderalismus und dem Nutzen des eigenen Landes mit Eifersucht und gegenseitiger Verbitterung dienen zu können, wird immer sich im Irrtum befinden und er sollte die Feder weglegen oder was immer sein Werkzeug sei, werm er in einer Zeit, wo es heißt, alle Kräfte für das Gemeinsame vereinigen, nichts anderes vermöchte, als leichtfertig zu zerstreuen, anstatt zu sammeln. f.

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