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Niedergang des Farmers

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„Hat der Bauer Geld, hat's die ganze Welt.“ Dieser Satz hat jahrhundertelang als Bauernregel der Finanz gegolten und sich bewahrheitet. In der modernen Wirtschaft der Vereinigten Staaten scheint er seine Gültigkeit zu verlieren.

Es ist den amerikanischen Farmern gelungen, nach zwei Generationen auf derselben Bodenfläche den dreifachen Ertrag zu erzeugen. In derselben Zeit ist aber ihr Anteil an der Bevölkerungszahl (von 40 auf 13,5 Prozent) auf ein Drittel, am Volkseinkommen (von 20 auf 5,5 Prozent) auf ein Viertel gesunken.

Das heißt aber nicht, daß die Farmer ärmer geworden sind, sondern nur, daß sie an Zahl absolut und an Einkommen relativ hinter den anderen Volksgruppen zurückgeblieben sind, daß also weniger Farmer mehr erzeugen. Vor dem letzten Kriege war der Durchschnittswert der Farmen 7000 Dollar, heute ist er 27.000 Dollar. Das sind aber, wenn man die Dollarentwertung berücksichtigt, nur 13.500 Dollar, wenn man die Preise landwirtschaftlicher Produkte zum Maßstab nimmt, kaum 11.000 Dollar. Der Wert der Farmen ist also viel weniger gestiegen als alle anderen produktiven Objekte und als die Löhne.

Nun kommt aber das Phänomen: seit Kriegsende sind die Preise der landwirtschaftlichen Erzeugnisse um 22 Prozent gefallen (11 Prozent unter dem demokratischen, 11 Prozent unter dem republikanischen Regime), aber der Verbraucher muß mehr, mitunter mehr als das Doppelte für sie zahlen. Da auch der Farmer viele Nahrungsmittel kauft, muß er oft für sie dreimal soviel zahlen, als er für seine Produkte bekommt.

Es ist bequem, die Schuld für diese Spannung auf Händler, Transporteur und Verteiler zu schieben. Die Ursache ist die Steigerung ihrer Löhne, die sich zu den Gewinnen etwa wie 9 5 zu 5 verhalten. Lehrreicher ist es, nach den soziologischen Ursachen des Abstiegs des Farmers an Zahl, Einkommen und politischem Einfluß zu forschen.

Als er vor 20 Jahren, schon damals eingezwängt zwischen fallenden Agrarpreisen, steigenden Löhnen und widrigen Naturereignissen, in Notstand geriet, warf er seine große politische Macht in die Waagschale. Abgeordnete können aber nicht Wirtschaftsgesetze ändern, sondern nur wirtschaftliche Gesetze machen und auf die Regierung einen Druck ausüben. So schufen sie ein System von Agrarsubventionen, das den Farmer gegen das Schwanken der Preise schützen sollte.

Ein Gesetz von 1938, 1941 verschärft, garantiert ihm unter dem Schein von Mindest-belehnungen die Abnahme seiner Produkte zu bestimmten, an vergangene Hochpreise gebundenen Preisen und nannte das euphemistisch „90 Prozent der Parität“. Subvention macht aber unfrei. Bei subventionierten Preisen muß die Erzeugung begrenzt werden. Der Farmer durfte nicht mehr erzeugen, was und wieviel er am aussichtsreichsten hielt, sondern mußte wenigstens in den Hauptprodukten Weizen, Mais, Baumwolle und Tabak das Diktat seines Zwangskäufers hinnehmen. Er tat es nicht ungern, da es ihm sein Einkommen garantierte, aber unweise, wie die Entwicklung zeigt.

Wer mehr oder anderes erzeugte als ihm erlaubt wurde, verfällt einer Geld-, theoretisch auch einer Haftstrafe, auch wenn er den Ueber-schuß selbst verbraucht oder verschenkt. Er muß ihm entweder dem Landwirtschaftsministerium, dem Verwalter der Agrarprodukte und -Subventionen, schenken oder einlagern und verfaulen lassen, um der Strafe zu entgehen. Er kann auch nur auf die Preisstütze verzichten, wenn er seinen Anbau auf 15 acres (6 ha) be-ichränkt.

Wird der Marktpreis durch Mindestpreise und amtliche Kontrolle der Erzeugung ersetzt, so wird das Gesetz von Angebot und Nachfrage verfälscht. Gewiß drohen bei der Unelastizität der landwirtschaftlichen Erzeugung, also bei Aenderung der Marktlage zwischen Säen und Ernten, Erzeugung und Verkauf, dem Landwirt Gefahren. Aber Fehlurteile einzelner Farmer können sich ausgleichen, Irrtümer eines Amtes gleichen sich nicht aus, gar wenn es in ein Prokrustesbett starrer Ziffern gezwängt ist. Der jetzige Minister suchte wenigstens das Bett elastischer zu machen, zog sich aber nur den Unwillen der kurzsichtigen Betroffenen zu.

Dies Gesetz hat sich nach zwei Richtungen ungünstig ausgewirkt, deren Zusammenhang nicht jedem kenntlich ist. Die Regierung hat ungeheure Massen landwirtschaftlicher Produkte angehäuft, deren Verwertung nur mit steigenden Verlusten für die Steuerträger möglich ist. In den 15 Jahren bis 1953 betrugen sie „nur“ 1,1 Millionen Dollar, stiegen aber 1953/54 auf

420 und 1954/55 auf 800 Millionen. Die Einlagerung verursachte solch Kopfzerbrechen, kostete im letzten Jahre allein 3 50 Millionen, daß man dazu überging, die Produkte oft beim Farmer zu lassen, ihm für das Einlagern zu zahlen und ihm die Verluste gegenüber dem garantierten Preis zu vergüten. Augenblicklich hat das Ministerium Güter um acht Milliarden an der Hand, die es gerne um fünf Milliarden verkaufen würde.

Für den Farmer erwies sich Garantie plus Diktat als Danaergeschenk. Er wurde zwar nicht ärmer, blieb aber hinter dem Aufstieg des Landes zurück. Er wäre verloren gewesen, hätte er nicht den steigenden Löhnen durch Mechanisierung entgegengewirkt. Diese ist zu fabelhafter Entwicklung gelangt. Ein Farmer mit seiner Familie und einem Maschinenpark bearbeitet eine Farm, für die man in anderen Ländern Dutzende oder Hunderte von Arbeitern braucht, und hat mehr Muße und Komfort als diese. Das verdrängt aber die Arbeiter nicht immer in die Großstadt, sondern auch in die unzähligen kleinen Städte mit ihren Industrien, die über das Land verstreut sind. Sie brauchen oft nicht einmal ihr Landhaus aufzugeben.

Zu ihnen gesellt sich mancher kleinere Farmer, der nicht das Kapital hat oder den Kredit in Anspruch nehmen will, den die Mechanisierung erfordert, obwohl sie durch das ausgebildete Genossenschafts- und Bankwesen erleichtert wird. Der Berufswechsel ist weder mit sozialem noch finanziellem Abstieg verbunden. Als Arbeiter oder kleiner Geschäftsmann verdient er nicht weniger, ist nicht weniger angesehen wie als Farmer, hat weniger Sorgen, die ihm die Regierung noch nicht ganz abnehmen konnte, nur muß er als Arbeiter seine Unabhängigkeit, weniger gegenüber dem Dienstgeber

als gegenüber der Gewerkschaft, aufgeben. Dieser Prozeß wird durch den quantitativen und qualitativen Aufstieg des Landes verschleiert. Die landwirtschaftliche Bevölkerung ist immer geschrumpft, sobald man mit weniger Menschen mehr Güter erzeugen konnte. Immerhin ist sie in der Generation von 1910 bis 1940 nur von einem Drittel auf ein Viertel der Bevölkerung (von 35 auf 23 Prozent), in der halben Generation von 1940 bis 195 5 aber von einem Viertel auf ein Achtel (von 23 auf 13 Prozent) gesunken. Der Anteil am Volkseinkommen ist nicht ebenso gesunken: 1910 bis 1940 von 16 auf 8 Prozent, also auf die Hälfte, 1940 bis 1955 aber nur auf 5,5 Prozent, also auf zwei Drittel. Der progressive Schwund des Bevölkerungsanteils verhält sich umgekehrt zu dem des Einkommensanteils. Die Gruppe der Farmer ist kleiner geworden, zwar absolut reicher, an Volkseinkommen und Inflation gemessen, ärmer geworden.

Man will sich die politischen Folgen nicht gestehen, sie sind aber unvermeidlich. Maschinen wählen nicht. Wohl fällt in den meisten Staaten der Union die ländliche Stimme schwerer ins Gewicht als die städtische. Berufswechsel ist aber nicht immer mit Ortswechsel verbunden. Der Einfluß des einst allmächtigen Farmblocks muß abbröckeln. 1940 lebten noch 30,5 Millionen von einer Bevölkerung von 132 Millionen auf Farmen, heute sind es nur noch 22.2 von 165 Millionen. Das muß zwangsläufig einen Rückgang des politischen Einflusses des Farmers gegenüber dem Arbeiter und Angestellten, mit allen damit zusammenhängenden Folgen, nach sich ziehen.

Das ist mit darauf zurückzuführen, daß der Farmer sich im kritischen Augenblicke nicht auf eigene Kraft und Urteil, sondern auf Subvention und Kontrolle durch die Regierung einließ. Subsidien sind angenehm, aber gefährlich. Der Niedergang des amerikanischen Farmers ist eines der Symptome des Bankrotts der Staatsintervention, der sich in allen Ländern zeigt — und in allen geleugnet und verschleiert wird.

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