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Niederländische Bevölkerungsprobleme

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Das schnelle Anwachsen der Bevölkerung in den Niederlanden stellt Land und Volk vor ungewöhnliche Probleme. Die Niederlande zählten 1825 etwa drei Millionen Einwohner, 1949 wird vermutlich die zehnte Million erreicht sein. Wenn die steigenden Geburtenziffern und die niedrigen Sterberiffern Anhalten, wird Holland 1970 zwölf Millionen Einwohner haben.

Damit ist Holland weit entfernt von einer Sorge, die heute viele absterbende Völker der ftrde erfüllt, dafür aber tauscht es andere ein. Wenn auch das indonesische Problem noch nicht völlig zu seinen Ungunsten entschieden ist, so bahnt sich doch sichtbar und unaufhaltsam jene Entwicklung an, die den Niederlanden „den Gürtel von Smaragden, der sich um den Äquator schlingt“, einmal abnehmen wird. Damit wird Holland eines Hinterlandes beraubt, das jahrhundertelang , tausenden seiner Söhne Arbeit und Brot gegeben und dem Mutterland einen hohen Wohlstand erlaubt hat.

In dieser Lage drängte sich die Frage förmlich auf: Intensivierung der Bodenbebauung oder Forcierung der Industrie? Mindestens 50.000 Jungbauern f inden auf der heimatlichen Erde keine Existenz mehr. Große Pläne zur Bodengewinnung wurden realisiert, konnten aber trotzdem nur einigen tausend Bauern den ersehnten Hof verschaffen. Di Auswanderung ist nur eine halbe Lösung, immerhin haben 1948 (dem Jahr der höchsten Auswanderungsziffer) 16.000 Holländer in Kanada, Südamerika, Südafrika und Australien eine neue Heimat gefunden. So finden alle Aufrufe zur Industrialisierung Hollands vorbereiteten Boden. Aber am grünen Tisch ist bereits ausgerechnet worden, daß auch die Industralisierung auf die Dauer nicht die endgültige Lösung sein kann, denn selbst hei Ausnützung aller Möglichkeiten wird es in absehbarer Zeit nicht möglieh sein, jedem Arbeitsfähigen den Arbeitsplatz zu sichern.

So haben sich seit kurzem auch Volkswirtschaftler, Ärzte und Politiker in die Debatte gemischt: eine Beratung von Wissenschaftlern in Amsterdam brachte kürzlich temperamentvolle Debatten, erstaunlich widersprechende Ansichten — aber nicht die ersehnte Lösung. Zaghaft stahl sich schon damals in die Debatte das dunkle Problem der Geburtenbeschränkung. Seine übereifrigen Propagandisten erhielten kurz darauf neuen Auftrieb durch die Erstaufführung des amerikanischen Films „Die brennende Frage“ in Utrecht. Der Film, der, wie aus dem Titel hervorgeht, unter dem Deckmantel von ernster Wissenschaft auf unsaubere Ziele lossteuert, geriet auch sofort in den Brennpunkt heftigster Kundgebungen. Ein Protest der katholischen Presse und besonders der katholischen Studenten der Universität Utrecht blieb vorläufig ergebnislos — ein Symptom für die innere Unruhe, mit der das Problem das Land erfüllt hat.

Die katholische Anteilnahme an der Lösung des Gesamtproblems wird begreiflich, wenn man sich die allmählich überwiegende katholische Bevölkerung des Landes vor Augen hält. 54 Prozent aller Schulkinder Hollands besuchen eine katholische Schule“ Und gerade auf dem Gebiete des Unterrichts verursacht das schnelle Anwachsen der Bevölkerung die meisten Schwierigkeiten. 40 Prozent der holländischen Bevölkerung ist nach der jüngsten Statistik jünger als 19 Jahre. Etwa vier Millionen junge Menschen gehen noch in irgendeiner Form in die Schule. Schulpflichtig werden im kommenden Jahr um 150.000 mehr als im Durchschnitt der letzten Jahre. Durch den Krieg sind immer noch viele Schulen zerstört, der Aufbau bereitet große Schwierigkeiten. Um die neuen Schülermassen im September unterhringen zu können, müssen im August noch mindestens tausend Schulzimmer fertig und tausend neue Lehrer bereitgestellt werden.. Noch schwieriger steht es um die Unterbringung von Kindern in Kindergärten, Fröbel- und Montessori-Schulen. 300.000 Kinder besuchen jetzt schon diese katholischen Erziehungsstätten, rund 100.000 können derzeit wegen Platzmangels nicht aufgenommen werden. Obwohl also die Übervölkerung gerade den katholischen Anteil des Landes ana schwersten trifft, wird von dieser Seit begreiflicherweise jedes Experiment der Geburtenbeschränkung streng abgelehnt. Wenn auch eine Lösung für die fernere Zukunft noch niemanden ganz klar ist, sieht man doch in katholischen Kreisen in einer Förderung der Industrialisierung eine vorerst notwendige Not- und Teillösung und versucht, besonders in dem kinderreichen, arbeitsfreudigen katholischen Süden des Landes, dieser Tendenz durch Neuerrichtung von katholischen mittleren technischen Schulen Rechnung zu tragen. Als Krönung aller dieser vorläufigen Bestrebungen schwebt die Errichtung einer katholischen technischen Hochschule vor — ein Traum, der wohl noch einige Zeit auf die Erfüllung warten muß.

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