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„Niemand ist dabeigewesen”

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(Angebliche) Kinderschänder vor Gericht zu verteidigen, ist immer eine Gratwanderung, erzählt ein mit solchen Fällen befaßter Anwalt.

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(Angebliche) Kinderschänder vor Gericht zu verteidigen, ist immer eine Gratwanderung, erzählt ein mit solchen Fällen befaßter Anwalt.

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DIEFURCHE: Sie haben als Strafverteidiger immer wieder mit Menschen zu tun, die im Verdacht stehen, Kinder mißbraucht zu haben. Wie leicht läßt sich so eine Tat überhaupt rekonstru-ieren?

ELMAR KrksbacH: Kindesmißbrauch gehört zu den unerfreulichsten Verfahren, die es überhaupt gibt. Der Anfall von Verdächtigungen und Strafakten ist sehr groß, denn man beschäftigt sich bereits sehr intensiv mit diesem Thema. Das hat dazu geführt, daß der Wissensstand inzwischen ebenfalls enorm gewachsen ist.

So gibt es heute zum Beispiel schon sehr viele Untersuchungsrichterinnen und -richter, die sich in wirklich unglaublicher Weise engagieren. Auch die Polizei verfügt schon über viele Beamte, die bereits eine „gute Hand” haben für Kinder.

DIEFURCHE: Am Anfang einer solchen Affäre steht ja meist nur ein Vorwurf. KRESBACH: Die Polizei oder die Richter im Vorverfahren wissen inzwischen relativ rasch, ob ein Vorwurf plausibel ist oder nicht.

DIEFURCHE: Noch vor gut zehn Jahren hieß es doch die Kinder haben alles erfunden, oder sie lügen Ist das heute nicht mehr so? Wird Kindern geglaubt?

Kresbach: Es ist nicht mehr so, daß alles in das Reich der Phantasie abgetan wird. Allerdings haben wir es mit einem Problem zu tun, das die Wahrheitsfindung auch nicht leicht macht. Durch den geänderten Umgang mit der Sexualität ist auch die Sprache der Kinder eine andere geworden. Das erlebt man immer wieder bei Einvernahmen.

Die meisten Kinder sind über Sexuelles recht gut informiert. Die Reizüberflutung durch Filme, Bilder, Comics und ähnliches ist gewaltig. Es ist nicht einmal für Psychologen einfach festzustellen, was da Wahrheit und was Phantasie ist. Niemand ist dabeigewesen.

Das ändert allerdings nichts daran, daß die Kinder meist bedauernswerte Opfer sind.

DIEFURCHE: Sind die Beweise das größte Problem?

Kresbach: Bei Kindesmißbrauch ist man meist auf Zufälle angewiesen. Das Kind, das in der Schule auffällig wird. Das Kind, das nur mehr in sich gekehrt ist oder Verletzungsspuren aufweist... In der Folge müssen Polizei und Gericht herausarbeiten meist unter Zuhilfenahme von Sachverständigen -, was überhaupt geschehen ist oder geschehen sein kann. Kann es überhaupt so sein, wie es von den Kindern dargestellt wurde? Kann das Erzählte stimmig gemacht werden mit verschiedenen geografischen Situationen, der familiären Situation und ähnlichem?

Die Sachverständigen trennen zwischen dem, was man als erwiesen annehmen kann, und dem, was als zweifelhaft anzusehen ist. Erst dann kommt man allmählich zu einem annähernd der Wirklichkeit entsprechenden Bild.

Schlimm ist allerdings eine Vorgängsweise der Täter, die immer wieder anzutreffen ist: die Angst der Kinder vor Entdeckung wird hemmungslos ausgenützt. Es wird ihnen eingeredet, sie kommen in ein Heim, oder sie verlieren die Eltern und ähnliches. Viele Kinder haben das diffuse Gefühl, daß sie irgend etwas Schmutziges, Schlechtes, Unrechtes getan haben und dafür bestraft wer-

Ich muß sagen: es ist immer schwierig, eine ordentliche und anständige Verteidigung zu machen.

DIEFURCHE: Ein Kind kann ja nicht wie ein Einbrecher verhört werden ... kresbach: Im Gegenteil. Erstens gibt es. bereits kindergerechte Vernehmungen in speziellen Bäumen. Und als Verteidiger muß man durch die gesteigerte Sensibilität ohnehin aufpassen, daß man die kindlichen Opfer nicht zu sehr quält oder in die Enge zu treiben versucht. Denn sonst verspielt man leicht den Bonus, den auch der Tatverdächtige letzten Endes braucht.

DIEFURCHE Wie verhalten sich die Täter selbst?

Kresbach: Viele leugnen. Manche sehen ein, daß sie ein Problem haben und Hilfe brauchen, oder daß sie etwas Schlimmes getan haben. Viele erzählen aber auch durchaus plausibel, daß hier ein Kind vorgespannt wird, um sie anzuschwärzen. Meist geht es um ein Erbe, eine Scheidung, Eifersuchtsdramen.

DIEFURCHE: Was halten Sie von härterer Bestrafung für Kindesmßbrauch? kresbach: Strafdrohungen mögen manche Menschen bis zu einem gewissen Grad abschrecken. Aber generell hofft jeder, nicht erwischt zu werden. Viele Täter weisen auch eher ein Krankheitsbild auf. Die führen ihre Tat so oder so aus.

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