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„Niemand soll das erleben müssen”

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11.000 bis 12.000 „Ostarbeiter” mußten während des Zweiten Weltkriegs unter oft grausamen Bedingungen in Vorarlberg arbeiten. Ein neu erschienenes Buch hat die Diskussion um dieses vergessene Kapitel der Landesgeschichte wieder aufleben lassen.

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11.000 bis 12.000 „Ostarbeiter” mußten während des Zweiten Weltkriegs unter oft grausamen Bedingungen in Vorarlberg arbeiten. Ein neu erschienenes Buch hat die Diskussion um dieses vergessene Kapitel der Landesgeschichte wieder aufleben lassen.

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Laß niemanden erleben, was ich überlebt habe. Ich habe alles gesehen: die Leute wurden wie Hunde gequält, in Fässern versunken, gehängt, getötet. Man aß einander, obwohl die Leute nur aus den Knochen bestanden und die Katzen wurden mit Knüppeln totgeschlagen.”

Diese erschütternden Zeilen schrieb die heute 75jährige Sinaida Sidorowna Wassiljewa im Herbst 1994 nach Vorarlberg. Wassiljewa war im Juni 1942 gewaltsam nach Vorarlberg verschleppt worden, hatte hier Glück und kam als Kindermädchen zu einer anständigen Familie. 1944 wurde sie aber wegen Ver-teilens von Flugblättern verhaftet und ins KZ gesteckt.

Der Grund für Sinaida Sidorowna Wassiljewas Brief ist einfach: Sie hatte gehört, daß Deutschland 600 Mark als Entschädigung an die früheren Zwangsarbeiter auszahle. Deshalb wandte sie sich an ihre frühere Vorarl -berger Familie.

Der Brief der ehemaligen Zwangsarbeiterin aus der Ukraine steht am Anfang eines Buches der Vorarlberger Historikerin Margarethe Buff („Um ihre Jugend betrogen”, Vorarlberger Autoren Gesellschaft, Bregenz 1996). Buff hat ehemalige Zwangsarbeiter in der Ukraine aufgesucht und interviewt.

Viele der Arbeiter waren beim Bau des Silvretta-Stausees eingeteilt. Sie mußten in einem Barackenlager gleich unterhalb des Staudamms leben, auf fast 2.000 Meter Seehöhe, weitab von der Zivilisation. Sie wu-den geschlagen, wenn sie nicht den Vorstellungen der Arbeitgeber entsprechend arbeiteten. Die Arbeit war zudem gefährlich: Die Zwangsarbeiter mußten Sprengungen vornehmen, es kam auch immer wieder zu But-schungen. Die Vorarlberger Iiiwerke, für die der Staudamm errichtet wurde, waren einer der größten Dienstgeber für die Zwangsarbeiter in Vorarlberg. Schon im Oktober 1940 arbeiteten auf ihren Baustellen 1.728 Fremdarbeiter, die meist aus der Ukraine, Bußland oder Polen stammten. Zweiter großer Dienstgeber war die Agrarbezirksbehörde.

Die Vorarlberger Grünen wollen deshalb das Land - es ist seit 1996 Alleineigentümer der Vorarlberger 111-werke AG, die Agrarbezirksbehörde ist nach wie vor eine Dientstelle des Landes - in die Pflicht nehmen. Sie fordern von der Landesregierung die Einrichtung eines „Fonds für die Zwangs- und Ostarbeiterinnen”.

„Die Sache ist sehr eilig. Die heute noch lebenden Betroffenen sind schon in Pension”, appelliert Landtagsabgeordnete Brigitte Flinspach.

Über den Antrag der Grünen wurde bisher noch nicht entschieden. Bei der Diskussion im zuständigen Landtagsausschuß argumentierte die ÖVP, für die Ostarbeiter sei ohnehin der Fonds des Nationalrats für die Opfer des Nationalsozialismus zuständig. Flinspach hielt das allerdings für ausgeschlossen. Also wurde beschlossen, weitere Becherchen anzustellen.

Die Stellungnahme der Iiiwerke ist hingegen eindeutig: „Diese Sachen sind im Rahmen des österreichischen Staatsvertrages abgegolten worden”, meint Vorstandsvorsitzender Ludwig Summer, Rußland habe von Österreich hohe Entschädigungszahlungen erhalten. Zudem seien die Iiiwerke von den Alliierten beschlagnahmt und später verstaatlicht worden. Wenn überhaupt, kann sich Summer nur eine österreichweite Regelung vorstellen.

Auch eine andere Forderung der Grünen blockt der Illwerke-Direktor ab: die Öffnung der Firmenarchive. Summer argumentiert mit den „ kom -plizierten rechtlichen Verbindungen des Unternehmens. Da könnte dann auch jeder unserer Vertragspartner kommen und in unser Archiv gehen.” Außerdem seien die Archivbestände ohnehin marginal: „Der Großteil der Leute war bei den Baufirmen beschäftigt, nur ein kleiner Teil direkt bei uns.”

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