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Nippons Siegeszug am Weltmarkt

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Mit steigender Besorgnis verfolgen seit Jahren die westlichen Industriellen die gewaltige Expansion der japanischen Industrie. Japan ist innerhalb weniger Jahrzehnte zur drittgrößten Industriemacht der Welt (hinter den USA und der UdSSR) geworden. Mit jugendlicher Vehemenz dringt das fernöstliche Inselreich durch sein stattliches Aufgebot preiswerter Qualitätsindustrieprodukte in alle Märkte ein, und Europa sowie die USA bekommen die japanische Konkurrenz zunehmend stärker zu spüren. Sie kommen unter der sengenden Sonne der fernöstlichen Industriemacht immer mehr ins Schwitzen.

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Mit steigender Besorgnis verfolgen seit Jahren die westlichen Industriellen die gewaltige Expansion der japanischen Industrie. Japan ist innerhalb weniger Jahrzehnte zur drittgrößten Industriemacht der Welt (hinter den USA und der UdSSR) geworden. Mit jugendlicher Vehemenz dringt das fernöstliche Inselreich durch sein stattliches Aufgebot preiswerter Qualitätsindustrieprodukte in alle Märkte ein, und Europa sowie die USA bekommen die japanische Konkurrenz zunehmend stärker zu spüren. Sie kommen unter der sengenden Sonne der fernöstlichen Industriemacht immer mehr ins Schwitzen.

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Im Schiffbau ist Japan schon seit 1956 weltführend, und es dürfte die beneidenswerte Spitzenstellung noch Jahre unangefochten behalten. Fast die Hälfte aller Schdffbauaufträge der Welt gehen seit Jahren an die Japanischen Werften, die ständig in drei Schichten fieberhaft arbeiten, während sich die europäische Schiff-

baudndiustrie erst kürzlich von der langjährigen chronischen Depression erholt hat.

Auf dem Schlachtfeld der optischen Apparate gelang es den Japanern schon längst, Westdeutschland weitgehend zurückzudrängen. Seit 1963 ist Japan der weltgrößte Kameraexporteur, obwohl seine Optikindustrie vor dem zweiten Weltkrieg noch auf bescheidener Stufe stand. In der Elektronik folgt Japan derzeit den USA dicht auf den Fersen und könnte eines Tages die Spitze erobern. Und Japans Stahlausfuhr nach Amerika hat in der US-Stahlindustrie erheblichen Krach geschlagen.

600.000 Autos exportiert

Auch Japans Automobilindustrie befindet sich in VoLlexpansion. In der Qualität gelten heute die japanischen Autos als der westlichen Konkurrenz ebenbürtig, und mengenmäßig schob sich Japan bereits 1967 in der Welt-rainigliste hinter die USA auf die zweite Stelle und verdrängte damit Bundesdeutschland in die dritte Reihe. Henry Ford warnte daher: „Die Japaner stod unsere gefährlichsten Konkurrenten geworden.“ 1968 exportierte Japan insgesamt 612.429 Fahrzeuge (davon 182.549 nach Amerika) — eine phantastische Zunahme von 69,1 Prozent im Vergleich zum Jahre 1967, als nur 362.245 Kraftwagen ausgeführt worden waren. Noch vor 10 Jahren exportierte Japan nicht einmal 10.000 Autos jährlich. Zahlreiche Beobachter sagen daher der japanischen Fahrzeugindustrie denselben Welterfolg voraus, wie ihn Japan mit seinen Schiffen, Photoapparaten, Transistorradios, Tonbandgeräten, Fernsehempfängern, Computern usw. erreichte. Mehrere japanische Fahrzeughersteller betreiben neuerdings Montagewerke in Holland, Belgien, Australien, Me-

xiko, Brasilien, Uruguay, Venezuela, Peru und Costa Rica. Auch die weltberühmte Schweizer Uhrenindustrie spürt die japanische Konkurrenz nachhaltig. Der Menge nach steht Japan zur Zeit mit einer jährlichen Produktion von 30 Millionen Uhren an dritter Stelle hinter der Schweiz (69 Millionen) und der UdSSR (35 Millionen), aber das ist keineswegs beruhigend für die Schweizer. Qualitativ gelten schon heute die japanischen Uhren als den schweizerischen Produkten ebenbürtig, und die japanischen Unternehmer sind fest davon überzeugt, daß sie die Schweizer bald auch quantitativ schlagen werden.

Den Krieg gewonnen

Deutaich zeigt such der Erfolg der japanischen Handelsstrategie auch bei Nähmaschinen: die einstige deutsche Spitzenposition wurde total erschüttert In den bundesdeutschen Haushalten ist heute jede dritte neuangeschaffte Nähmaschine japanischer Herkunft. In Spanien betreibt die bekannte japanische Industrieflrma „Mitsubishi“ seit 1966 ein Stahlwerk und der „Sanyo“-Konzern Fabriken für Elektronenmikroskope, Elektro-, nemechenmaschinen usw. In Frankreich stellt Japans größter Schreibwarenfabrikant „Dai Nippon Bungu“ seit Mai 1968 etwa 1,2 Millionen „Pentel“-Filzstifte pro Monat her; das sind 8 Prozent des Gesamtververbrauchs in der EWG, und sie werden insbesondere nach Westdeutschland exportiert. In Italien betreibt „Ajinomoto“, einer der größten Nahrungsmittelfaibrikanten Japans, seit 1965 Gewürzfabrikanlagen. Abseits von Europa nehmen die Japaner auf sowjetische Bitte an der Entwicklung und Industrialisierung Sibiriens teil, eines immensen Sowjetgebiets, an dem Japan ein historisches Interesse hat Ebenso macht sich die japanische Invasion in Australien fühlbar. Zum Beispiel landen heute etwa 6000 Autos monatlich in Australien und schlagen dort ihre deutschen und britischen Konkurrenten windelweich. Weitere japanische Erfolge lassen sich aus den USA, Kanada, Südafrika, Lateinamerika, Südostasien usw. berichten.

Uberkompensierter Rassenkomplex

Was Wunder also, daß die Japaner triumphieren: „Wir haben verschiedene Industrieländer auf vielen Markten naedergetrampelt! In den nächsten fünf Jahren werden wir noch mehr Konkurrenten aus dem Feld schlagen!“ Die Japaner leiden unter einem starken Minderwertigkeitsgefühl gegenüber den Weißen. Gerade dieser schwärende Rassen-komplex hat aber bei den Japanern immer wieder den aggressiven Trieb angeregt, der ganzen Welt und sich selbst zu beweisen, daß sie mindestens in der Intelligenz nicht unterlegen sind. So begannen sie schon lange vor dem ersten Weltkrieg, die westlichen Industrieerzeugnisse bis in die kleinsten Einzelheiten zu studieren und zu kopieren, und dabei haben sie viel gelernt Auch zahlreiche technische Lizenzabkommen, die Japan mit den USA und westeuropäischen Industrieländern abschloß, haben es ihm ermöglicht, sich das Beste der jeweils neuesten Erkenntnisse der westlichen Technologie ohne viele Kosten und Zeitverlust anzueignen. Und alle japanischen Lizenznehmer haben nach dem sehr

praktischen Prinzip gehandelt: „Wir zerbrechen uns nicht den Kopf über eigene Erfindungen, sondern nehmen die neuesten Entwicklungsverfahren und arbeiten mit ihnen“ oder: „Wir versuchen, aus den Ideen anderer Leute marktfähige Produkte zu machen.“ Ein japanischer Industrieller meinte: „Japans Genie liegt in seiner Fähigkeit, theoretische Begriffe auf praktische Verfahren anzuwenden.“

In dieser Entwicklung hat der durch die totale, für sie demütigende Niederlage im zweiten Weltkrieg tief verwundete National- und Rassenstolz der Japaner eine nicht un-beachtliche Rolle gespielt Während die Deutschen zerknirscht die Schuld Hitler-Deutschlands am zweiten Weltkrieg in Europa eingestehen, zeigen zahlreiche Japaner felsenfeste Unbußfertigkeit und weigern sich, bei der Schuld Japans am Pazifikkrieg zu verweilen. Oft hörte ich in Japan: „Kateba kangun, make-reba sokugun“ — „Der Sieger hat immer recht, der Besiegte stets unrecht (Macht geht vor Recht)“. Heute ist jedes japanische Industrieunternehmen eine fanatische Kampfgruppe, deren Ziel es ist, sich auf den Weltmärkten nach besten Kräften zu schlagen. Und so toben sich heute Japans Expansionskräfte ersatzweise in Produktionsschlachten aus. Die Ausfuhr hat die militärische Eroberung als Nationalpflicht Nr. 1 abgelöst. Zahlreiche Soziologen schreiben Japans Industrieaufschwung seinem extensiven und intensiven Erzde-hunigswesen sowie dem Bildungseifer seiner Jugend zu. Seit Kriegsende haben Japans wie Pilze aus dem Boden emporgeschossenen 760 Universitäten und Hpchsch/ulen eine kaum4ibersefabare. Schar von Technikern ausgeWidet und' Japan kann sich daher rühmen, mehr Ingenieure zu haben als irgendein anderes Land, die USA und die UdSSR ausgenom-

men. Jeder 20. Einwohner der 14-Millionen-Stadt Tokio ist Student und ihre Zahl wächst. 1972 werden 30 Prozent der Berufsanfänger ein Hochschuldiplom haben, 1990 die Hälfte der Schulabgänger. Ein weiterer wichtiger Faktor zum Verständnis des japanischen Industrieaufschwungs ist das ungeheuerliche Übervölkerungsproblem. Das bergige, übervölkerte Inselland (nur wenig größer als Italien, aber doppelt so stark besiedelt und, was noch schlimmer ist 83 Prozent der Landesfläche sind unbebaubare und unbewohnbare Berge auf vulkanischem Grund) hat die Japaner zu hartem Kampf ums Dasein in beengtem Lebensraum gezwungen und sie sehr nervös, angespannt, ruhelos und übereifrig werden lassen. Um eine genaue Idee der Übervölkerung Japans zu haben, müßte man sich die

Schweiz mit 28 Millionen (anstatt 6 Millionen) Einwohnern vorstellen. Diese unglaubliche Übervölkerung läßt den Japanern keine andere Wahl als konzentrierte und amsige Anstrengung in jeder Hinsicht, zumal trotz „erfolgreicher“ Geburtenkontrolle Japans Bevölkerungszahl (bereits mehr als 100 Millionen) jährlich um rund eine Million wächst. Japans Geburtenregelung ist ein recht fragwürdiger Ausweg: vor einem Jahrhundert zählte Japan nur 30 Millionen Einwohner (die angebliche Maximalzahl für Japan). Auf Grund der raschen Bevölkerungszunahme hat sich Japan im letzten Jahrhundert dazu verleiten lassen, nicht weniger als vier Aggressionskriege zu entfesseln: gegen China (1894—1895), gegen Rußland (1904— 1905), erneut gegen China (1931— 1932 und 1937—1945), schließlich gegen die USA, Großbritannien und die Niederlande (1941—1945). Doch erreichte Japan mit seinen vier Aggressionskriegen nur einen negativen Effekt: Während sein heutiges Staatsgebiet wieder genau dasselbe ist wie vor einem Jahrhundert, hat sich seine Bevölkerungszahl mehr als verdreifacht! So stehen die Japaner unter dem unabwendbaren Zwang, größte Anstrengungen zu unternehmen, um zu überleben.

Der hartnäckige Kollektivstaat Die Japaner verstehen den Individualismus nicht. Während Japan nach dem Krieg politisch eine Demokratie geworden ist so ist es deshalb gesellschaftlich doch kollektivistisch geblieben. Die Japaner sind die unverbesserlichsten Kollektivisten der Welt, und in der japanischen Gesell-schaft gibt es einfach keinen Platz für das Individuum, das frei und anders als die anderen zu leben wünscht. In Japan werden das persönliche Glück und die persönlichen

Interessen des einzelnen für die allgemeine Wohlfahrt der Gesellschaft geopfert. Die Japaner können sich den Luxus nicht leisten, sich ausschließlich um ihre eigenen persönlichen Angelegenheiten zu kümmern, denn in einem so ungeheuerlich übervölkerten Land wie Japan wirken die Interessen jedes Menschen so stark auf die der anderen ein, daß jeder von den anderen unvermeidlich ständig überwacht wird. Die geringste Abweichung von dem starren gesellschaftlichen Konformismus ruft seitens der Gesellschaft harte Bestrafung hervor. So sind in Japan das Privatleben und die persönliche Individuelle Freiheit äußerst schwierig aufrechtzuerhalten. Diese gesellschaftliche Reglementierung hat die Japaner gezwungen, nach dem Krieg unglaubliche Kollektivanstrengungen zur Beschleunigung der indu-

striellen und wirtschaftlichen Expansion Japans zu unternehmen.

Der Schatten der Samurais

So spielt das von den kriegerischen Samurais überlieferte Verhalten eine wichtige Rolle in der industriellen Expansion Japans. Während des zweiten Weltkrieges wurden drei Sprichworte inbesondere von den grimmig zähneknirschenden Militärs geschätzt und häufig zitiert: „Danko to schite okonaeba, kischin mo kore o saku!“ (Führe alles mit absolutem Fanatismus durch, und selbst der Satan wird dir aus dem Wege gehen, um dich zu meiden!), „Issun no muschi nimo, gobu no tamaschii!“ (Selbst ein 3 cm langer Wurm besitzt mindestens 1,5 cm Kampfgeist!) und „Dzamamono wa korosse!“ (Töte jeden, der dir im Wege steht!). Heute noch finden sich Leute, die stolz behaupten, Hitler und seine SS-Einsatzgruppe wären nicht fanatisch genug gewesen und die Japaner viel aggressiver als ihre Naziverbündeten! In diesem Zusammenhang sollte ins Gedächtnis zurückgerufen werden, daß die Japaner die treuesten und fanatischsten Alliierten der Nazis während des zweiten Weltkrieges waren. Selbst nach dem Tod Hitlers und der Kapitulation Deutschlands kämpfte Japan ganz allein in der Welt noch drei Monate lange weiter! Diese wilde Kampflust der Samurais ist heute keineswegs verschwunden. Sie wurde vielmehr nach dem zweiten Weltkrieg auf das das Gebiet der Industrie und Technologie abgelenkt, und in dem heutigen industriellen und technologischen Expansions- und Eroberungsdrang Japans kommt sie voll zu*.“Geltung. . ;gq gniax

Während Japan mit seiner stets wachsenden technologischen Macht bereits ein Industriekoloß ist, des-

sen immer länger werdender Schatten bei europäischen und amerikanischen Industriellen Schauder erregt, wächst China mit seinen 800 Millionen Einwohnern, die jährlich um rund 15 Millionen zunehmen, allmählich zu einer immensen politischmilitärischen Gefahr heran. Die Aussicht daß China eines Tages Japans Industrieniveau erreichen könnte, ist ein erschreckender Alptraum. Die Gefahr ist groß, daß das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Gelben werden wird. Selbst Japans Premierminister, Eisaku Sato, erklärte kürzlich: „Man sagt das 21. Jahrhundert werde das Jahrhundert Japans sein. Es ist meine Pflicht, das zu realisieren“. Und auch Mao Tse-tung seinerseits äußerte sich ähnlich über China. Ist die weiße Rasse verurteilt, im 21. Jahrhundert unter der gelben Vorherrschaft zu leben?

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