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Nixon und das Dreieck

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Seit jeher war es ein Grundsatz weitblickender Staatsführungen, in allererster Linie nüchtern auf die Wahrung der eigenen Interessen zu achten und die Außenpolitik nicht in den Dienst von Sentimentalitäten und „zeitgebundenen” Beeinflussungen zu stellen. Trotz des Aufkommens einer „Pseudorellgion” in Rotchina und ihrer großteils für den Hausgebrauch bestimmten Einseitigkeit hat die Pekinger Außenpolitik eine nüchterne und zweckgebundene Grundlage. Schon zu einer Zeit, da die Spannung zwischen Peking und dem Sowjetblock geringer war als heute und die beiden kommunistischen Großmächte die „kapitalistischen Länder” gemeinsam und lautstark verunglimpften, fiel es auf, daß westdeutsche Besucher in Rotchina mit ihrer guten Währung und besseren Wirtschaftsanbahnungsmöglichkeiten oft besser behandelt wurden als Besucher aus Ulbrichts Herrschaftsbereich. Und als dann bei der „Kulturrevolution” viele ausländische Diplomaten den schwersten Beleidigungen und Demütigungen ausgesetzt waren, wurden die Bundesrepublik und ihre Vertreter viel seltener beschimpft und angegriffen als andere.

Ruf nach „Dritter Kraft”

Auch in der Frage des geteilten Deutschland hat Peking nach einem anfänglichen Zickzackkurs ein für die Bundesrepublik günstigeres Konzept auf gegriffen. Seit etwa 1966 sind die meisten rotchinesischen Angriffe auf den sogenannten „westdeutschen Revanchismus und Militarismus” verstummt, und über ihr Verhalten in der Deutschiand- frage befragte Rotchinesen äußerten wiederholt die Meinung, daß sich „Sowjetrußland widerrechtlich in deutschsprachige Gebiete eingenistet und diese in den sowjetischen Machtbereich gewaltsam einbezogen habe”. Sehr bezeichnend für das völlige Abrücken Rotchinas vom sowjetischen Europakonzept ist auch die Antwort Mao Tse-tungs auf eine Frage von Mitgliedern einer ihm persönlich vorgestellten Delegation ausländischer Parlamentarier: „Was ich als .Dritte Kraft” in der Welt ansehe, ist ein Gruppierung von Deutschland, Frankreich und einiger anderer von ausländischen Einflüssen befreiter Länder.” Damit hatte Mao Tse-tung eine beachtenswerte Neuorientierung der chinesischen Europapolitik bestätigt. Nach Ansicht der Pekinger Machthaber würde wohl ein von beiden Machtblöcken einigermaßen unabhängiges geeintes Deutschland den anti- amerikanischen und antisowjetischen Plänen Pekings am besten entsprechen.

Nach Berichten von Gewährsmännern in einigen nichtkommunistischen asiatischen Ländern (Indien usw.) haben einige Persönlichkeiten, die Bundeskanzler Kiesinger auf seiner Asienreise gegen Ende des Vorjahres begleiteten, bei privaten Zusammenkünften mit asiatischen Gesprächspartnern sondiert, wie die von ihnen besuchten Länder auf eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Bonn und Peking reagieren würden. Dabei spielt die Frage der diplomatischen Beziehungen eine untergeordnete Rolle. Schließlich haben ja England und Frankreich mit der Aufnahme solcher Beziehungen an sich recht wenig erreicht, und sie hat nicht einmal verhindert, daß ihre Diplomaten gelegentlich verhöhnt und gedemütigt und in einem Falle ein britischer Diplomat sogar auf offener Straße nackt ausgezogen, mit Leim bestrichen und mit maoistischen Plakaten beklebt wurde!

Trotz der Nichtaufnahme diplomatischer Beziehungen ist der Warenaustausch zwischen der Bundesrepublik und Rotchina während der letzten Jahre gewaltig angestiegen und hat schon seit längerer Zeit die Milliardengrenze (in DM) im Jahr weit überschritten. (Dagegen war nach kürzlichen indischen Angaben das Handelsvolumen Rotchinas mit der Sowjetunion schon im Jahre 1967 rapid auf weniger als eine halbe Milliarde DM im Jahr gesunken.) Schon im Jahre 1967 war die Bundesrepublik nach Japan, dem größten naturgegebenen Handelspartner Chinas, der zweitgrößte Lieferant Rotchinas. In kurzer Zeit wird das Handelsvolumen der Bundesrepublik mit der yplksę lplilsį China nahezu das Fünffache des Wertes des Warenaustausches Westdeutschlands mit Nationalchina und etwa das Fünffache des Handelsvolumens zwischen der DDR und der chinesischen Volksrepublik betragen. Tschu En-lai selbst hat sich offen für eine ständige Verbesserung der Wirtschaftbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und Rotchina ausgesprochen. Interessant ist auch die Tatsache, daß die rotchinesische Staatsführung die Haltung Bonns in der Taiwanfrage nicht verurteilt, obwohl sie andere Länder wegen ihres ähnlichen Verhaltens zu Nationalchina scharf und schonungslos angreift.

Höflichkeit und Härte

Gespräche mit rotchinesischen Partnern erfordern Fingerspitzengefühl und Elastizität, aber auch ein gewisses Maß von mit großer Höflichkeit gepaarter Härte. Auch sollte man nie vergessen, daß maotische Chinesen für schwächliche Nachgiebigkeit nur Verachtung übrig haben. Dies haben schon Staatsmänner und andere Vertreter verschiedener Länder bei nicht allzu klug aufgezogenen Anbiederungsversuchen zu spüren bekommen. In zumindest einem uns berichteten Fall brachte es z. B. ein höhergestellter Rotchinese fertig, während eines Festbanketts vier Stunden lang neben einem ausländischen Delegierten, der sich ihm vorher angebiedert hatte, zu sitzen, ohne mit ihm auch nur ein einziges Wort zu wechseln!

Die Wahl Nixons dürfte verschiedene Verschiebungen im Kräftespiel des weltpolitischen Dreiecks Washington-Moskau-Peking einleiten. Wenn auch bei diesen Verschiebungen die Bundesrepublik mit den Vereinigten Staaten in gutem Einvernehmen bleiben muß, so halten trotzdem nicht wenige unparteiische Asienkenner eine zunehmende, vorsichtige Verbesserung der Handelsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und der chinesischen Volksrepublik, die in wirtschaftlicher Beziehung immer mehr vom Sowjetblock abrückt, für durchaus erstrebenswert.

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