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Nixons Gnadenstoß

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Am 14. April 1969 traf der Präsident der Vereinigten Staaten eine Entscheidung, die für die Zukunft Iberoamerikas und dessen Beziehungen zum großen Nachbarn im Norden von weitreichender Bedeutung ist. Nixon vernichtete eine der größten Illusionen des südlichen Kontinents. Diese Illusion hieß „Alianza para el Progi-eso“ (Allianz für den Fortschritt) und erweckte zur Zeit ihrer Gründung durch John F. Kennedy in Iberoamerika die optimistischsten Zukunftsträume. Acht Jahre hindurch hatte sich die Allianz jedoch vergeblich bemüht, den wirtschaftlichen und sozialen Pulsschlag des südlichen Kontinents anzukurbeln. Was Nixon nun tötete, war in Wirklichkeit seit langem ein kranker Organismus, so daß die „nordamerikanische Realität“ eigentlich nur der Gnadenstoß war.

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Am 14. April 1969 traf der Präsident der Vereinigten Staaten eine Entscheidung, die für die Zukunft Iberoamerikas und dessen Beziehungen zum großen Nachbarn im Norden von weitreichender Bedeutung ist. Nixon vernichtete eine der größten Illusionen des südlichen Kontinents. Diese Illusion hieß „Alianza para el Progi-eso“ (Allianz für den Fortschritt) und erweckte zur Zeit ihrer Gründung durch John F. Kennedy in Iberoamerika die optimistischsten Zukunftsträume. Acht Jahre hindurch hatte sich die Allianz jedoch vergeblich bemüht, den wirtschaftlichen und sozialen Pulsschlag des südlichen Kontinents anzukurbeln. Was Nixon nun tötete, war in Wirklichkeit seit langem ein kranker Organismus, so daß die „nordamerikanische Realität“ eigentlich nur der Gnadenstoß war.

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Beim 69. Jahrestag der „Union Panamericana“ erhitzte die Rede Nixons die Gemüter der anwesenden Afroamerikanischen Diplomaten. Mit keinem Wort bezog sich der Präsident auf die Beziehungen zwischen Iberoamerika und den Vereinigten Staaten.

„Vergessen wir die Slogans und die allzu schöne Rhetorik vergangener Zeiten“ — sagte Nixon —, „und öffnen wir unsere Augen der Realität der Beziehungen zwischen unseren Hemisphären...“ Nixon bezog sich auf seine Südamerikareise von 1967. Er konstatierte die wirtschaftliche, Entwicklung seit Bestehen der Allianz und sagte, daß diese in keiner Hinsicht als Fortschritt bezeichnet werden könne. Das wirtschaftliche Wachstum Iberoamerikas ist prozentuell geringer als jenes der europäischen Ostblockstaaten, wie zum Beispiel Ostdeutschland und Bulgarien. Nixon bezeichnete den südlichen Kontinent als „ebenso unterentwickelt“ wie vor der Gründung der Allianz. Mit anderen Worten, die großen Hoffnungen, welche die durch Kennedy ins Leben gerufene Allianz anfangs aufkeimen ließ, konnten nicht realisiert werden. Was Nixon nicht sagte, ist, daß die finanzielle Hilfeleistung der Vereinigten Staaten an die Allianz für den Fortschritt seit der Ermordung Kennedys in Dallas vertikal fiel. Die nordamerikanischen Investitionen in die Allianz waren fast ausschließlich zweckgebunden und zur Finanzierung eigener Interessen bestimmt. L. B. Johnson hatte von der Welt südlich des Rio Bravo andere Vorstellungen als sein Vorgänger. Trotz der großen Versprechungen von 1965 in Punta del Este waren während Johnsons Regierungszeit Truppen in Panama und „Marines“ in Santo Domingo nahezu die einzigen diplomatischen Aktivitäten Washingtons in Iberoamerika. 30 Milliarden Dollar jährlich verschlang das nordamerikanische Engagement in Vietnam. Dieses Engagement der Vereinigten Staaten in Asien zog die gesamte Aufmerksamkeit der Regierung Johnsons auf sich, führte zur politischen und finanziellen Vernachlässigung des gewaltigen südlichen Kontinents und begrub schließlich die letzten Hoffnungen, die Iberoamerika in Washington gesetzt hatte. Beherrscht vom „Pentagonismus“ und Machtkonzept — das vom Ex-präsidenten der Dominikanischen Republik, Juan Bosch, in dessen letztem Buch über die Vereinigten Staaten vorzüglich beschrieben ist — setzte man im Weißen Haus leichtsinnig das Vertrauen der südlichen Nachbarn aufs Spiel. Nach der Rede Nixons beim 69. Jahrestag der „Union Panamericana“ kann die Allianz für den Fortschritt als tot betrachtet werden. Die einzige vage Versprechung, die Nixon dem Generalsekretär der Allianz für den Fortschritt, Galo Plaza, gab, war eine eventuelle Informationsreise des New Yorker Gouverneurs Rbcke-feller nach Iberoamerika im kommenden Herbst. Doch die Rede Nixons ließ keinen Zweifel über die nordamerikanischen Interessen im unterentwickelten Bruderkontinent offen. Die Wirtsohaftsmänner der Republikanischen Partei sind an Träumen uninteressiert. Ihr einziges Interesse im Ausland liegt im sogenannten „Freien Unternehmen“ mit guten Dividenden für den Geldbeutel des nordamerikanischen Geschäftsmannes, was Nixon in seiner Rede kühl als „wirtschaftlichen Realismus“ bezeichnet. Sein neuer Unterstaatssekretär für iberoamerika-nische Angelegenheiten, Meyer, hat keinerlei diplomatische Erfahrungen. Seine Erfolge liegen ausschließlich im wirtschaftlichen Bereich. Er bat wiederholt seine große Kapazität als Initiator riesiger Auslandsgeschäfte unter Beweis gestellt, ist jedoch in dieser Hinsicht für Iberoamerika uninteressant, da er ausnahmslos nordamerikanische Interessen vertritt. Meyer hat hinsichtlich, des nordamerikanischen Unternehmens im Ausland klare Vorstellungen. Die abstrakten und kontinentalen Projekte der Allianz Kennedys sind seiner Meinung nach eine interne iberoamerikanische Angelegenheit und interessieren ihn nicht. Die Verstaatlichung der Anlagen der „Internationalen Petroleum Company“ in Peru bezeichnet er als Diebstahl seitens der peruanischen Militärjunta, die damit die Rechte des ausländischen Unternehmers verletzt, der sein Kapital in der Wirtschaft eines unterentwickelten Landes investiert. Man weiß in Iberoamerika, daß während der Regierungszeit Nixons die Stimme Meyers großes Gewicht haben wird, wenn von Dollarhilfen für das Ausland gesprochen wird, und man gibt sich in dieser Hinsicht keinen allzu-großen Hoffnungen hin. Die Rede Nixons hat südlich des Rio Bravo schwer enttäuscht. Eine Illusion wurde zerstört, ohne daß ein Ersatz dafür geboten wurde. Die Allianz ist gestorben und mit ihr die Illusion, daß das junge und kraftvolle Nordamerika tatsächlich an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des südlichen Bruderkontinents interessiert sei.

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