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Nochmals: Der rechte Vertrag

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Nadi dem ersten Sturm der Gefühlsäußerungen, der Enttäuschung und des Schreckens, der dem Ausgang der Berliner Konferenz gefolgt ist, kommt jetzt da und dort die nüchterne Abwägung in Sachen des Staatsvertrages für Oesterreich zu ihrem Recht. Spät, aber noch nicht zu spät.

Am 2. Jänner d. J. eröffnete die „Furche“ ihren neuen Jahrgang mit einem leitenden Aufsatz, der auf das Kommende vorbereitete und die österreichischen Parteien aufrief, anstatt auf den Staatsvertrag ihre Hoffnungen zu setzen, hingeordnet auf das große Ziel unter sich einen Vertrag, den „rechten Vertrag“, zu schließen, um die Freiheit für Oesterreich durch eine solidarische Zusammenarbeit für Staat und Volk zu gewinnen. Denn „nach so vielen Enttäuschungen, die uns dieser zum Gespenst gewordene Staatsvertrag gebracht, wäre es unvernünftig oder kühn, für sein Schicksal im neuen Jahr erwartungsfreudige Prognosen stellen zu wollen. Man möchte glauben, wenn die Mächtigen dieser Welt jetzt nur in einer einzigen guten Stunde diesen Vertragsentwurf nochmals prüfen würden, sie müßten sich dann entschließen, diesen Akt als musealisches Kuriosum in die Lade zu sperren und an seine Stelle ein Dokument zu setzen, das der Menschlichkeit und ihrer Eigenwürde entspräche“.

Die Mächtigen haben diese gute Stunde nicht gefunden. Noch einmal stand das Kuriosum eines Staatsvertrages im Mittelpunkt eines großartigen Aufzuges der politischen Zelebri täten der Welt. Doch der Vertragsakt blieb ohne Unterschriften. Nach menschlichem Ermessen wird er in seiner heutigen Gestalt auch in Zukunft unterschriftenlos bleiben. Denn wo ist der Doktor Eisenbart, der dieses Geschöpf der Staatskunst kurieren könnte!

Seitdem 1947 der „Entwurf zum Vertrag, betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Oesterreich“, zustande gekommen ist, lagert über seinem Geschick ein verhängnisvoller Widersinn. Mit Recht spricht das Konzept von einem „Vertrag“ und nicht von einem „Friedensvertrag“, der nur mit einem am Kriege beteiligten, aber nicht mit einem zur Zeit des Krieges nicht bestehenden Staate geschlossen werden kann. Aber trotzdem konnte es geschehen, daß in der Präambel dieses Vertrages Oesterreich „eine gewisse Verantwortlichkeit aus der Teilnahme am Kriege“ auf geladen wird, ohne daß bis heute begründet worden wäre, warum von einer Verantwortlichkeit Oesterreichs gesprochen werden kann, obwohl völkerrechtlich kein verantwortliches Oesterreich bestand. Der Staatsakt, der unserem Volke zufolge der solennen Verkündigung der großen Weltmächte die Freiheit und Souveränität wiedergeben sollte, blieb bis zum heutigen Tage mit diesem kapitalen Widerspruch behaftet, ohne daß sich unter den Großen dieser Erde eine Hand zum Schutze des Völkerrechtes und der Logik erhoben hätte. Der Einwand, daß schon die Moskauer Deklaration vom 1. November 1943 von einer „Verantwortlichkeit Oesterreichs für seine Beteiligung auf Seiten Hitler-Deutschlands“ gesprochen habe, ist nicht gültig. Anderthalb Jahre vor Ende des Krieges verfaßt, wurde die Aeußerung über die Verantwortlichkeit Oesterreichs mit der gleichzeitigen Zusicherung verbunden, „daß bei der endgültigen Regelung unvermeidlich Oesterreichs eigener Beitrag zu seiner Befreiung berücksichtigt werden wird“. Das war eine zu militärpolitischen Zwecken hinausgerufene Bürgschaft, darauf berechnet, die österreichische Widerstandsbewegung in jenen Monaten großer Entscheidungen anzuspornen. Diese österreichische Widerstandsbewegung hat ihre Blutzeugen und ihre bis zum Tod getreuen Dichter gehabt. Ein Treppenwitz der Weltgeschichte, daß gerade dieser letzte, kaum zweideutige Absatz der Moskauer Deklaration dazu benützt wurde, um in die grundsätzliche Einführungsformel des Staatsvertrages eine Verantwortlichkeit Oesterreichs am Weltkrieg einzubauen.

Aus der in dieser Präambel enthaltenen Diskriminierung Oesterreichs leiten sich alle die noch von dem Geist der Gewalt und des Krieges diktierten Rechtsminderungen, Verkürzungen der Souveränität und der Freiheit ab, welche die lange Artikelkolonne des Vertragstextes füllen. Sie lassen dem verheißenen unabhängigen freien Oesterreich nur eine Schattenexistenz. An die ersten sechs Artikel, spätgeborene Nachkommen aus Saint- Germain, deren Spuren auch in den weiteren Vertragsbestimmungen auf tauchen — z. B. an das Verbot, in einer noch zu schaffenden zivilen österreichischen Luftfahrt Personen zu verwenden, die irgendwann vor dem 13. März 1938 deutsche Staatsangehörige waren —, reihen sich unter anderen Bestimmungen, daß der als frei und unabhängig wiederhergestellte Staat verpflichtet sein würde, „bezüglich Deutschlands und Japans Regelungen zur Wiederherstellung des Friedens“ anzuerkennen und so auch „Regelungen bezüglich des Völkerbundes, des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im Haag und des Internationalen Instituts für Ackerbau in Rom“, die noch nicht bestehen. Diese Rechtsverkürzungen würden dem Rang einer eroberten Kolonie entsprechen.

Greifbarer und von einer noch nicht feststellbaren Tragweite würden die materiellrechtlichen Bestimmungen sein. Ist sich unsere Oeffentlichkeit darüber klar, daß die verlangte Uebergabe weiter Uferstrecken der Donau und vieler am Strome gelegener Objekte in fremde Hand nicht etwa eine befristete Festsetzung einer Großmacht an einer Schlagader des internationalen Verkehrs bedeuten soll, sondern zufolge der im Vertragsentwurf begehrten Uebergabe in das Eigentum der fremden Macht eine dauernde Verwandlung österreichischen Eigentums in fremdes Land darstellen würde? Selbst die verlangte Uebergabe bestehender Pachtungen würde einen Dauerzustand hervorbringen, da sie begleitet sein soll von dem Verzicht auf das Pachtkündigungsrecht. Im Raume der Großstadt, in unmittelbarer Anrainerschaft an wichtige Eisenbahnlinien würden sich große Landkomplexe fremdnationalen Eigenturns bilden, zusammengesetzt aus Grundstücken, dem Gebäudeareal, den Werften und Werkstätten der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft, der in der Lobau gelegenen Oel- raffinerien und der Oellagergesellschaften an beiden Ufern der Donau. Der fachtechnischen Textierung mag es zuzuschreiben sein, daß der öffentlichen Aufmerksamkeit bisher entgangen ist, daß nach dem Wortlaute des zum Glück in Berlin nicht unterschriebenen Vertragstextes von der Nordbahnbrücke an stromabwärts auf dem rechten Donauufer im Raume von Wien nur der dem städtischen Lagerhaus vorgelagerte Kai in österreichischer Hand bliebe. Einem hier sich aufbauenden industriell wohlausgerüsteten Brückenkopf würde im Umfang von fast 300.000 Quadratmeter auf beiden Seiten der Alten Donau der sehr ansehnliche Komplex der Korneuburger Schiffswerft mit deren vielgegliederten Ausrüstungen sich anreihen. Aus dieser Stellung kann der Eigentümer, der Macht hat, machen, was er will.

Bis hinauf an die Ufer des Mühlviertels und hinab bis Hainburg reichen die fremden Eigentumsansprüche auf 11 Lagerhäuser, 15 Agenturgebäude, ihr Zubehör und zugehöriges Gelände. Was für Eventualitäten die in diesen Umrissen sich andeutende staatliche Verfremdung des Donauufers eröffnen kann, sei hier nicht weiter erörtert. Die Anforderungen in dem Vertragstext reichen so weit, daß die aus dem Vertrage drohende Wegnahme der Oelquellen, ihrer Industrieannexe und der Hafen-, Kai- und Werftanlagen am Donaustrom allein genügen würde, um den Vertragsentwurf in seiner jetzigen Gestalt als lebensgefährlich, als unvereinbar mit der Existenz eines freien, unabhängigen Oesterreichs erscheinen zu lassen. Es ist unmöglich, wer immer die fremde Macht sein würde.

Diesen Tatbestand ringsum in der Welt deutlich zu machen, wird einer klugen, geduldigen österreichischen Diplomatie obliegen. Was an den Konferenztischen nicht erreicht wurde, sollte mit dem Einsatz der besten Kräfte in unverdrossen zäher, diplomatischer Aufklärungsarbeit bei den Mächten angebahnt werden.

In dem Kampf um unser Recht kommt jedoch die entscheidende Rolle den Kräften unseres öffentlichen Lebens zu. Um einen Staat, dessen Demokratie gesund ist, dessen politische Parteien von dem Bewußtsein ihrer solidarischen Haftung für das Volkswohl und von Vaterlandsliebe in ihrer Zusammenarbeit gelenkt werden, um einen Staat, der seine innere Ordnung pflegt, seine Wirtschaft in sicherem Gleichgewicht hält und festen Willens ist, sich aus den Händeln der anderen herauszuhalten, also ein Pfeiler des europäischen Gleichgewichtes, des Friedens und der Kultur ist, um einen solchen Staat braucht man nicht zu fürchten. Ihm kann heute nicht mehr auf die Dauer Gleichberechtigung, Unabhängigkeit und Freiheit vorenthalten werden.

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