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Norwegens radikale Linke

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Während der harten politischen Kämpfe, die in den Monaten August und September dem öffentlichen Leben in Norwegen das Gepräge gaben, zog eine kleine Linkspartei, die im Stortinget nur durch zwei Abgeordnete vertreten war, das konzentrierte Trommelfeuer der übrigen, weitaus größeren politischen Parteien auf sich. Die „Sosialistisk Folkeparti“ (SF) er- erschien in den Wochen vor den Kommunalwahlen als der große Gegner der Arbeiterpartei Gerhardsen s,

und ihr wurde mindestens soviel Aufmerksamkeit gewidmet wie der Konservativen Partei John L y n g s, die eben für kurze Zeit die Regierungsführung übernommen hatte.

Die bittere Feindschaft von Seiten der Arbeiterpartei war nur zum Teil verständlich: Wohl hatte die kleine Partei ihre Schlüsselstellung im Parlament ausgenützt, um Gerhardsen eine Lektion in Oppositionspolitik zu erteilen, und ihn dadurch gestürzt, anderseits nahm die kleine Gruppe aber ebenso scharf gegen die Konservativen Stellung, hatte die Mithilfe bei der Installierung einer neuen Arbeiterregierung zugesagt und sogar von sich aus versucht, die Lebensdauer von Lyngs bürgerlicher Koalitionsregierung abzukürzen; man hatte vorher in allen wichtigen Fragen für die Arbeiterregierung gestimmt und wollte es auch künftig so halten. Die scharfe Gegnerschaft zwischen der großen Arbeiterpartei und der kleinen Sozialistischen Volkspartei hat Ursachen, die weit in die Geschichte der norwegischen Arbeiterbewegung zurückreichen, die niemals ganz eliminiert werden konnten und die den politischen Auseinandersetzungen in Norwegen immer wieder eine erregende und auch stimulierende Note geben, die in anderen Ländern fast vollständig fehlt. Dazu kommen noch die Gegensätze, die aus der besonderen Lage eines kleinen Landes am Rande der westlichen Welt erwachsen und die ebenfalls in Norwegen deutlicher sichtbar werden als beispielsweise in Westdeutschland, Dänemark oder Italien, Ländern, die ebenfalls der NATO angehören und ihre Frontlinie gegen Osten bilden.

Immer die Intellektuellen …

Der unmittelbare Anlaß zur Bildung der SF war der Ausschluß einer Gruppe von Intellektuellen, die sich in der Wochenschrift „Orientering“ ein Sprachrohr für ihre sozialistischen und neutralistischen Ideen geschaffen hatten. Ausschlüsse von großen Gruppen, die noch dazu viele Sympathisierende an den Hochschulen und in den Staatsämtern haben, sind bei den demokratischen Parteien des Westens ziemlich selten. Hier muß nun daran erinnert werden, daß innerhalb der norwegischen Arbeiterpartei immer noch gewisse Eigenheiten seit ihrer kommunistischen Vergangenheit lebendig sind. Die Forderung nach Parteidisziplin war dort immer schon sehr stark, und in den 40 Jahren der Parteigeschichte seit 1920 kam es wiederholt zum Ausschluß opponierender Gruppen.

Als nach der Revolution in Rußland die Dritte (kommunistische) Internationale in allen Ländern Westeuropas einen gewaltigen Aufschwung erlebte, trat die norwegische Arbeiterpartei als Mitglied in diese Internationale ein. 1921 kam es bereits zum Austritt der rechtssozialistischen Gruppe innerhalb der Partei, wenig später weigerte sich jedoch auch der Parteivorstand, weiteren Befehlen aus Moskau zu gehorchen, und sprach sich für eine selbständige Haltung zwischen den beiden Internationalen aus. Nun bildete der Moskau treu gebliebene linke Flügel eine neue Partei, die Kommunistische Partei Norwegens.

Damit waren jedoch die schweren inneren Auseinandersetzungen nicht beendigt: Innerhalb der von Moskau unabhängigen Sozialistischen Arbeiterpartei bildete sich die linksradikale, von Erling Falk geführte Gruppe „MOT DAG“, die in einem scharfen Gegensatz zu dem gemäßigten Sozialdemokraten Martin Tranmael stand; er war durch viele Jahre der eigentliche Leiter der Partei, obwohl er formell nur den Posten eines Redakteurs des Parteiorganes bekleidete. Als die radikale Linksgruppe von ihrer strikt antimilitaristischen Haltung nicht abgehen wollte und trotz Parteibeschluß ihre öffentliche Agitation fortsetzte, wurde diese ganze Fraktion ausgeschlossen.

Das war 1925, und es ist bemerkenswert, daß viele der Argumente für und gegen die Verteidigungspolitik Norwegens in den politischen Diskussionen von 1963 wieder auf tauchten: Ausschlüsse von frontierenden Gruppen haben in Norwegen politische Meinungsverschiedenheiten noch nie bereinigen können. Man kann eher noch der Auffassung zuneigen, daß gerade die innerhalb der norwegischen Arbeiterbewegung oft festzustellende Unduldsamkeit und Verfechtung einer harten Parteidisziplin zu immer neuen, für linksradikale Aüffassungen empfänglichen Gruppenbildungen geführt hat. So bestätigte schließlich auch der Parteikongreß der Arbeiterpartei 1961 den Ausschluß der Linksintellektuellen um die Zeitschrift „Orientering“, und auf demselben Kongreß war bereits zu ersehen, daß einige Forderungen der eben ausgeschlossenen Linken noch einflußreiche Verfechter in der Mutterpartei hatten — oder schon wieder gewonnen hatten —, und daß man sie zum Teil bei der Ausformung der kommenden Politik respektieren mußte. Zwei Jahre später, im September 1963, wiederholte sich dieses Schauspiel: Die Sozialistische Volkspartei wurde in den Kommunalwahlen von der Arbeiterpartei zurückgedrängt, doch Gerhardsens großes neues Aktionsprogramm enthält sehr wesentliche Forderungen der Linken.

Schach der NATO …

Es ist wohl ohneweiters verständlich, daß der Beitritt Norwegens zur NATO die oppositionellen Kräfte im Lager der Arbeiterpartei von neuem auf den Plan rufen mußte. Die Mitgliedschaft in einem Militärbündnis, das Bestreben, sich der von Frankreich und Deutschland dominierten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) anzuschließen, die erzwungene Aufrüstung und die unvermeidbare Zusammenarbeit mit deutschen militärischen Kreisen mußten ganz einfach auf die radikale Linke provozierend wirken. Daß Oslo gezwungen ist, deutsche NATO-Offiziere entgegenzunehmen — und sind es auch nur drei unter 400 Offizieren anderer Nationen —, erregt sogar zahlreiche Norweger, die weder der SF noch der Arbeiterpartei angehören. Die nach dem Anschluß gebildete Partei stellte auch sofort eine Reihe von negativistischen Forderungen in den Vordergrund: Gegen die NATO! Gegen jede militärische Blockbildung! Gegen die Aufrüstung! Gegen die Mitgliedschaft Norwegens in der EWG! Gegen jede militärische Zusammenarbeit mit Westdeutschland! Für ein freies und sozialistisches Norwegen!

„Als Norwegen in die NATO eintrat, hatten wir ein Verteidigungs- büdget von 250 Millionen Kronen; heute handelt es sich schon um eine und eine halbe Milliarde! Gleichzeitig wird es immer zweifelhafter, ob das Problem unserer Sicherheit durch eine militärische Verteidigung überhaupt gelöst werden kann. Die SF will die Milliarden für die Verteidigung für einen großzügigen Ausbau der Industrie, der Gesundheitspflege und des Schulwesens verwenden!“

Solchen programmatischen Erklärungen — hier von Kurt L o f n a e s, dem Vorsitzenden der SF, gegeben — antwortet man in den Reihen der Arbeiterpartei mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Solidarität des Westens gegenüber einem etwaigen Angriff aus dem Osten. Aber dieses Argument wirkt in Norwegen sonderbar kraftlos: Eine aktive Teilnahme an einem Militärbündnis, das gegen die Sowjetunion gerichtet ist, muß breiten Schichten in der Arbeiterpartei angesichts der linksradikalen Vergangenheit dieser Partei als ein Verrat an den alten Traditionen erscheinen! Mit dem Eintritt in die NATO war auch der Boden für eine Fraktionsbildung und dann für eine Parteibildung geschaffen.

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