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Digital In Arbeit

Not an Landarbeitern

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Die Menschen hungern. Die Bauern jammern über den Mangel an Arbeitskräften. Der Landwirtschaftsminister erklärt, die' Landwirtschaft braucht sofort zusätzlich 97.000 Arbeitskräfte. Warum sind ihrer zuwenig und entsteht daraus eine bedrohliche Not an Händen, die Brot

schaffen? Ist beim Bauer die Schuld, weil er es nicht versteht, den Landarbeiter gerecht und menschenwürdig zu behandeln? Liegt sie beim Landarbeiter, der keine Liebe zum einfachen Leben und Schaffen des Bauern mehr hat? Liegt sie bei den breiten Massen der Gesellschaft, die die bäuerliche

Arbeit unterschä'tzt und für die tieferen Werte des Bauerntums zuwenig Verständnis hat?

Eine kurze und einfache Antwort ist nicht möglich. Zu verschieden ist die Lage in den einzelnen Gegenden. Am günstigsten wohl im Gebirge und in Gegenden, die abseits der Industrie liegen. Mann sollte sich zur Erfassung der. Lage in den verschiedensten Gebieten einen ganz genauen Querschnitt machen. Diese Querschnitte würden den gesetzgeberischen Körperschaften in Stadt und Land und den berufsständischen Gemeinschaften gute Fingerzeige geben. Die Lösung der Frage muß aber in jedem Dorfe durch praktische Mitarbeit an Ort und Stelle ihre Erfüllung finden und darum braucht schließlich jeder Ort diesen Querschnitt. Ein Beispiel hiefür sei der Aufriß der Gebirgsgemeinde Großraming im oberösterreichischen Ennstal, 30 Kilometer südlich Steyr.

Gegenwärtiger Stand:

Igj Isl

v fgf Iii IjS' sEI

15- bis lfjähr. 38 13 42 30

20- bis 24jähr. 18 .15 44 31

25- bis 30jähr. 8 9 27 5

31- bis 35jähr. 10 4 9 4

36- bis 40jähr. 6 4 12 —

41- bis 50jähr. 4 5 6 4

51- bis 60jähr. 2_2 4'_4

86 52 144 78

42 Landarbeiter sind als gefallen gemeldet, ungefähr gleich viel sind vermißt. Außerdem sind noch bei 20 gemeldete Kriegsgefangene nicht heimgekehrt. Drin-g e n d s t sind von den Landwirten beim Arbeitsamt angefordert: 20 Landarbeiter und bei 20 Mägde, dazu noch mindestens 15 jugendliche Helfer. Wünschenswert wäre eine viel größere Anzahl von Kräften. Es ist selbstverständlich: Jeder neue Arbeiter bedeutet erhöhte Erzeugung.

Diese Statistik legt folgende Erkenntnis

nahe: Die Landarbeiterfrage ist keine Klassenfrage, die einen schweren Gegensatz zwischen Bauer und Landarbeiter aufzeigen würde. Ja, die Bauernfamilie stellt selbst die Mehrzahl der Landarbeiter. 230 familieneigenen Landarbeitern stehen 150 familienfremde gegenüber. Unter den familieneigenen Landarbeitern verstehen wir die Bauernsöhne und -töchter, beziehungsweise Geschwister der Bauersleute; unter den übrigen Landarbeitern sind auch noch etliche Bauernkinder, die in fremden Diensten stehen. Dit anderen kommen von Häuslern, ländlichen Handwerkern und Arbeitern, die selbst mit ihren Vorfahren aus dem Bauernstande stammen und ihm noch ganz verbunden sind. Die „Bilanz“, das Beiblatt zum „österreichischen Volkswirt“, bringt in Nr. 2 dieses Jahres eine Übersicht über die. Erwerbstätigen in der österreichischen Landwirtschaft vom Jahre 1939. Wien ausgenommen, waren in der Landwirtschaft insgesamt beschäftigt 1,392.800; davon in Tausendern:

männlich 277,8 176,9 8,3 175,4 weiblich 57,3 563.3 0,8 133,0

insgesamt 355,1 740,2 9,1 308,4 Die besonders hohe Zahl der weiblichen mithelfenden Familienmitglieder legt die Vermutung nahe, daß die Bäuerinnen zur Hauptsache hier schon inbegriffen sind. .Dieser Zahlenvergleich sagt uns: Dreiviertel der landwirtschaftlichen Arbeit leistet die bäuerliche Familie selbst, nur ein Viertel wird durch familienfremde Arbeitskräfte bestritte. Zweifellos ist dieses Verhältnis nur möglich durdi die überwiegende Zahl von Lindwirtschaftlichen Mittel- und Kleinbetrieben in Österreich.

Die Landwirtschaft hat zur Hauptsache jugendliche, ledige

Arbeitskräfte und benötigt

diese auch am dringendsten. Unter 380 Landarbeitern stehen in Großraming 251 im Alter von 15 bis 24 J a h r e n, also zwei Drittel aller Arbeitskräfte. Das ist durchwegs in Ordnung. Der Landwirtschaft ist mit jungen, wendigen Leuten sehr gedient. Dieser Tage beklagte sich eine nichtbäuerliche Zeitung, daß die Landwirtschaft nicht nur zuwenig Arbeitskräfte habe, sondern auch diese die Landarbeit nur als Durchzugsstation in ihrem Leben betrachten. Dieses zweite Unglück ist vor allem bei unseren mittleren und kleineren Gebirgshöfen nicht sehr groß. Es wäre vielmehr zu wünschen, daß immer wieder entsprechend viel junge Leute als Ersatz in Bauernhöfe nachrückten. Das wäre auch für unsere Jugend beiderlei Geschlechts nur von Vorteil. Die Arbeit in gottesfreier Natur und in vielgestaltiger Art und die doch meist kräftige Bauernkost kann ihrem Wachstum nur förderlich sein; mit der Landwirtschaft lernen sie, was sie für das ganze Leben brauchen können.

Für den Mangel an Handarbeitern sind außer dem Krieg vor allem vier Gründe anzuführen: | Die Schwere der Landarbeit.

Niedere Löhne “in Verbindung mit einfachem Lebensstandard.

Sehr geringe Möglichkeit zur Gründung einer Familie.

Die Verlockungen der Städte-mit dem bequemeren Leben und den vielfachen Vergnügungsmöglichkeiten. Für diese Umstände wird man keineswegs dem Bauer die Schuld geben. Übrigens leiden unter diesen Schwierigkeiten die Bauernkinder genau so wie die übrigen Landarbeiter. Vor allem ist von einem Klassenkampf von oben, also vom Bauer gegen den Landarbeiter, hier nichts zu bemerken. Der Bauer schnitte sich ja ins eigene Fleisch, es sei denn, er behandelte seine Kinder bedeutend besser als die

„Dienstboten“. Im Durchschnitt sind Arbeitsbedingungen und Lebensbedingungen für die familieneigenen und familienfremden Kräfte ganz gleich. Selbst Bauer und Bäuerin habe ganz das gleiche zu leisoen und erfreuen sich keineswegs eines leichtere Lebens.

So ist die Lage in einer einzelnen Gebirgsgegend mit — Gott sei Dank — noch kinderreichen Bauernfamilien. Bedeutend schlechter ist sie wahrscheinlich, wo die Kinder seltener werden.

Der Landwirtschaft sollten nun raschesten Kräfte in genügender Zahl zugeführt werden. Das ist noch weniger im Interesse des Bauern selbst gelegen, als im Interesse des ganzen Volkes, vor allem der Konsumenten. So geht die Sorge darum nicht nur den Landwirtschaftsminister an, viel mehr noch den Ernährungsminister Jede Anleitung zur Ausnützung des letzten Fleckchens Boden ist eine Phrase, wenn selbst für den fruchtbarsten Acker Arbeitskräfte fehlen.

Von der Rückkehr der Kriegsgefangenen ist nicht allzuviel zu erwarten. Die noch zurückkehren werden, stehen in einem Alter, daß sie zu einem bedeutenden Teil lieber schon von der Landwirtschaft Abschied nehmen' und sich einem anderen Beruf zuwenden. Einige Hilfe bedeutet für unsere. Landwirtschaft die. Eingliederung von, Landbewohnern unter . den .zugewanderten Volksdeutschen, Zwangsmaßnahmen, um erwachsene. Arbeitslose zur 1 a n d-wvi r t s c h a f 11 i.c h e n Arbeit z u nötigen, würden auch d i.e Bauern ablehnen.

Abgesehen vom vorübergehenden' Ernteeinsatz ergibt sich als e r s te Frage: W ie können wir .die Jugendlichen wieder in größerer Za. hl zur Landwirtschaft b i i n g e n ? Von d.er positiven Beantwortung hängt in den nächsten Jahren der volle Erfolg unserer Ernte, auf die Dauer aber auch Gesundheit und Kraft unseres Volkes ab.

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