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Notfalls arm?

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In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die vor der vereinfachenden Gleichung „Wohlstand = Arrangement mit der EWG“ warnen. In diesem Sinn erschien vor kurzem ein Artikel in der Zeitschrift „Wirtschaftshorizonte“ (vgl. DIE FURCHE 20/1967, „Im Spiegel der Presse“). Den Beitrag von Chefredakteur Horst Knapp, der in den „Finanznachrichten“ erschienen ist, veröffentlichen wir mit freundlicher Erlaubnis des Autors. Seine Thesen richten sich gegen einen naiven EWG-Optimismus und gegen gewisse verzerrte Perspektiven; keinesfalls wenden sie sich jedoch prinzipiell gegen eine Vereinbarung mit der EWG. Diese nüchterne Haltung gegenüber der EWG hat auch DIE FURCHE immer eingenommen. So schrieb Chefredakteur Dr. Kurt Skalnik in seinem Leitartikel „Bilanz“ (Nr. 14/1967): „Eine durchaus erstrebenswerte Vereinbarung mit Brüssel zur notwendigen Beseitigung der Diskriminierung des österreichischen Handels wird dort ihre Grenzen finden, wo es um Begrenzung der Souveränitätspechte und um die Beschneidung der Möglichkeiten, mit dritten Ländern Handelsvereinbarungen zu treffen, geht. ,Die Verhandlungen beginnen erst.' So äuherte sich vor wenigen Tagen ein nicht unmaßgebliches Mitglied der Delegation, die vor Ostern in Moskau geweilt hatte. Diese Erkenntnis Ist geeignet, eine neue, von den bisherigen Bemühungen etwas abgehobene, .nüchterne Phase' der österreichischen Integrationspolitik zu eröffnen.“ Eine Einsicht, mit der wir (wie aus dem nachfolgenden Artikel hervorgeht) heute längst nicht mehr alleinstehen... Die Redaktion

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In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die vor der vereinfachenden Gleichung „Wohlstand = Arrangement mit der EWG“ warnen. In diesem Sinn erschien vor kurzem ein Artikel in der Zeitschrift „Wirtschaftshorizonte“ (vgl. DIE FURCHE 20/1967, „Im Spiegel der Presse“). Den Beitrag von Chefredakteur Horst Knapp, der in den „Finanznachrichten“ erschienen ist, veröffentlichen wir mit freundlicher Erlaubnis des Autors. Seine Thesen richten sich gegen einen naiven EWG-Optimismus und gegen gewisse verzerrte Perspektiven; keinesfalls wenden sie sich jedoch prinzipiell gegen eine Vereinbarung mit der EWG. Diese nüchterne Haltung gegenüber der EWG hat auch DIE FURCHE immer eingenommen. So schrieb Chefredakteur Dr. Kurt Skalnik in seinem Leitartikel „Bilanz“ (Nr. 14/1967): „Eine durchaus erstrebenswerte Vereinbarung mit Brüssel zur notwendigen Beseitigung der Diskriminierung des österreichischen Handels wird dort ihre Grenzen finden, wo es um Begrenzung der Souveränitätspechte und um die Beschneidung der Möglichkeiten, mit dritten Ländern Handelsvereinbarungen zu treffen, geht. ,Die Verhandlungen beginnen erst.' So äuherte sich vor wenigen Tagen ein nicht unmaßgebliches Mitglied der Delegation, die vor Ostern in Moskau geweilt hatte. Diese Erkenntnis Ist geeignet, eine neue, von den bisherigen Bemühungen etwas abgehobene, .nüchterne Phase' der österreichischen Integrationspolitik zu eröffnen.“ Eine Einsicht, mit der wir (wie aus dem nachfolgenden Artikel hervorgeht) heute längst nicht mehr alleinstehen... Die Redaktion

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„Notfalls arm, aber neutral“, hat „Der Spiegel“ sein in Österreich aus nicht recht erfindlichen Gründen zu einer Sensation hochgespieltes Gespräch miit Bundeskanzler Dr. Klaus betitelt.

Die innerpolitischen (und innerparteilichen) Hintergründe dieses Interviews mögen hierzu Berufenere untersuchen; uns will bloß scheinen, daß es andere Möglichkeiten, sich eines Regierungsmitgliedes zu entledigen, geben müßte als dessen Desavouderunig in einer ausländischen Zeitschrift, und daß es für eine Erklärung dieser Art ein besseres „timing“ hätte geben müssen als einen Erscheinungszeitpunkt genau einen Tag nach dem — einstimmigen — Ministerratsbeschluß über die (von dieser Erklärung doch einigermaßen abweichende) weitere Marschroute für Brüssel. (Auch sollte doch wohl bedacht werden, daß unsere Verhandlungspartner für eine zwiespältige österreichische EWG-Politik solange Verständnis aufgebracht haben mögen, wie auch die Koalitionsregierung in sich gespalten war, daß es aber einiges Kopfschütteln auslösen muß, wenn, obwohl derselben Partei angehörend, der Bundeskanzler, der Vizekanzler und der Außenminister auf eigene Faust EWG-Politik betreiben und dabei jeder eine andere Linie verfolgt.)

Es soll hier auch nicht untersucht werden, wieviel von der offensichtlichen Verschleppung der EWG-Ver-Handlungen auf das Konto' Österreichs geht — auf Äußerungen des Außenministers, die geradezurücken drei Monate Gespräche hinter den Kulissen gekostet hat, auf die Verschwendung eines vollen Drittels der Gesprächszeit in den letzten beiden Verhandlungsrunden auf die doch eher sekundäre Frage unseres Papierkazite&ls oder auf den für die EWG offensichtlich inakzeptablen Wunsch einer „präventiven“ Sonderregelung für den Ost-hart'M.

„Sicherheitshalber“ soll an dieser Stelle auch nicht die Frage aufgeworfen werden, wer denn in Österreich — von der Landwirtschaft abgesehen — überhaupt noch ein Arrangement mit der EWG wünscht: Je näher (zumindest vermeintlich) der Abschlußtermin rückt, desto mehr Leute bekommen Angst vor der eigenen Courage, und dies nicht bloß deshalb, weil die Liste der österreichischen Ausnahmewünsche dm Zuge der Verhandlungen erstens immer kürzer geworden und zweitens stillschweigend auf die Jahre der Übergangsregelung eingeschränkt worden ist.

Vielmehr soll hier nur die Devise: „Notfalls arm, aber neutral“ aufs Korn genommen werden, weil sie durchaus geeignet erscheint, dem ohnehin weitverbreiteten Defätismus Vorschub zu leisten. Müßten wir wirklich unsere Neutralität — lies: ein wodurch immer verschuldetes Scheitern der EWG-Verhandlungen — mit „Armut“ erkaufen?

Sagen wir es mit schonungsloser Deutlichkeit: Damit das „Abkommen sui generis“, das Österreich mit der EWG abschließen möchte (?), über „Armut“ oder „Wohlstand“ entscheidet, müßte es tatsächlich mit der Neutralität unvereinbar sein, das heißt es müßte die österreichische Wirtschaftspolitik den Entscheidungen supranationaler Behörden so vollständig unterordnen, daß unter Hinweis auf diese Entscheidungen Gesetzesbeschlüsse und sonstige wirtschaftspolitische Maßnahmen möglich werden, die zustandezubringen Regierung und Parlament sich ohne diese „Faust im Nacken“ nicht imstande fühlen. (Wobei gar nicht geleugnet werden soll, daß gerade in dieser De-factoEinschränkung der österreichischen Souveränität anfangs die große Hoffnung der EWG-Idealisten in Österreich gelegen ist!)

Je mehr sich das Abkommen dagegen einer rein handelspolitischen Vereinbarung nähert (und der Trend unserer Neutralitätspolitik geht, vielleicht nicht ohne guten Grund, deutlich in diese Richtung), um so loser wird der Konnex zwischen dem Ausgang der EWG-Verhandlungen und unseren Wachstumschancen. Wieder ganz offen gesagt: Ob wir in zehn Jahren „arm“ oder „reich“ sein werden, hängt von vielen anderen Momenten ungleich mehr ab als davon, wieviel Prozent Zoll auf unseren Exporten nach EWG-Ländern liegt. Oder noch brutaler formuliert: Ein österreichisches Produkt, das eine zehnprozentige Zollschranke nicht zu überspringen vermag, wird auch zollfrei auf den EWG-Märkten nicht abzusetzen sein...

Damit soll die Bedeutung eines Abkommens mit der EWG nicht bagatellisiert werden. Es kommt jedoch auf die Art des Abkommens an, und da jene Variante (der Quasi-vollmitgliedschaft), die uns eigener Wachstumsanstrengungen entheben würde, aus neutralitätspolitischen Gründen nicht mehr zur Diskussion steht, müßten wir uns endlich zur Einsicht bequemen, daß das Abkommen mit der EWG für die Höhe des österreichischen Wohlstands in zehn oder zwanzig Jahren nur noch marginale Bedeutung hat.

Wiederholen wir es bis zum Überdruß: Wie „arm“ oder wie „reich“ wir dann sein werden, hängt zu 5 oder höchstens 10 Prozent von der EWG-iRegelung und zu mindestens 90 Prozent von uns selber ab: von der Wirtschaftspolitik, zu der wir uns unter Verzicht auf ideologische Dogmen und verstaubte Lehrbuchvorstellungen durchringen, und zumindest in gleichem Maße von den Dispositionen, die unsere Unternehmer treffen; diese Entscheidungen werden dementsprechend anämisch ausfallen, wenn es zur communis opinio wird, daß wir unsere Neutralität nolens volens mit „Armut“ zu erkaufen hätten: Armut ist kein Investitionsanreiz.

Die Konsequenz: Verhandeln wir weiter — in Brüssel, in Paris (das klar genug gemacht hat, daß es nicht gesonnen ist, unseren „Eisbrecher“ in der Sowjetunion zu spielen) und, was vielleicht das Wichtigste wäre, in Moskau —, ober rüsten wir inzwischen für den Fall, daß es zu einem „Arrangement“ nicht (oder nicht in einer nennenswert „wache-tumsrelevanten“ Form) kommt. Vor allem aber: Hören wir endlich damit auf, uns selber einzureden, daß Österreichs Wohl und Wehe von der EWG abhängt. Gewiß, mit der EWG ginge es leichter; aber ohne EWG geht es, wenn wir nur wollen, (fast) genauso gut. Aber wollen müssen wir es, und dieser — in Österreich ohnehin notorisch unterentwickelte Wille zu einem Aufstieg aus eigener Kraft wird mit der „Notfalls-arm“-Mentalität systematisch untergraben!

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