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Notizen aus dem Niemandsland der deutschen Zeitgeschichte

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Niv Toch ein Buch zum Großthema ^ des Jahres: 50 Jahre Kriegsen-1 1 de. „Das Ende 1945 - Der verdammte Krieg.” Von Guido Knopp. Als im Herbst 1945 (zweites Großthema) der Nürnberger Prozeß begann, der halb geglückte Versuch, mit Verbrechen, die 55 Millionen Tote gekostet hatten, juristisch fer-tigzuwerden, hatte Österreich die ersten Todesurteile unabhängiger österreichischer Gerichte gegen Nazi-Massenmörder bereits hinter sich.

Ein besonderes Kapitel ist die Gleichgültigkeit vieler deutscher Historiker in Sachen österreichischer Geschichte. Knopps Buch ist ein Beispiel dafür. Er ist ja nicht irgendeiner. Als Leiter des ZDF-Archivs für Zeitgeschichte (seit 11 Jahren!) müßte er sein Bildmaterial kennen. Das ZDF hat ja in Osterreich nicht so ganz wenige Seher. Daß er ein jedem österreichischen Historiker bekanntes Bild des am 8. April 1945 am Floridsdorfer Spitz erhängten Majors Karl Biedermann als allgemeine Illustration für die „pervertierten Auswüchse eines zum Tode verurteilten Systems” verwendet, ist entlarvend. Österreichische Historiker kennen die wichtigen Bildbelege der deutschen Zeitgeschichte besser.

Es versteht sich also von selbst, daß dieser Beitrag keine konventionelle Buchrezension ist und unsere zeitgeschichtlichen Amerkungen nicht Knopps Buch entstammen.

Ehemalige österreichische Offiziere in der deutschen Wehrmacht wollten ihrer Heimat die sinnlosen Zerstörungen der letzten Kriegstage ersparen. Major Szokol, dessen Beteiligung am Attentat gegen Hitler am 20. Juli 1944 unentdeckt geblieben war, entsandte den Oberfeldwebel und späteren Gendarmeriegeneral Ferdinand Käs mit Hinweisen auf die schwachen deutschen Verteidigungsstellungen im Westen Wiens zu den Bussen, wodurch der Bundeshauptstadt noch sehr viel größere Zerstörungen als die tatsächlich eingetretenen erspart blieben.

Major Szokol kommt in Knopps Buch natürlich auch nicht vor. Aber was die geplante Sprengung ganzer Stadtviertel, um freies Vorfeld zu gewinnen, für Wien bedeutet hätte, können wir seinem Bildmaterial über die Verteidigung von Breslau und bald auch Berlin entnehmen.

Major Biedermann nahm als Kommandant der Heeresstreife Groß-Wien eine Schlüsselstelle ein, als er sich entschloß, die Verteidigung Wiens in einem verbissenen letzten Abwehrkampf zu hintertreiben. Es war die Zeit, in der so mancher Held weinend auf seiner Kanone saß - wie der deutsche Unteroffizier bei Kursk auf nebenstehendem Bild. Es zählt zu den aussagekräftigsten im Buch von Guido Knopp. Die Stimmung in den Wochen der Götzendämmerung hat der deutsche Historiker zum Teil beklemmend eingefangen.

Der Versuch Biedermanns und seiner Mitarbeiter, weitere Verbündete zu gewinnen, endete mit einer Denunziation bei Gauleiter Scharit-zer. Zwei Denunzianten wurden am 21. November 1947 von einem österreichischen Gericht zu lebenslangem beziehungsweise drei Jahren schweren Kerkers verurteilt.

Österreichische Schicksale: Der zu lebenslang verurteilte Denunziant war Biedermanns Trauzeuge. Nach dessen Hinrichtung - die Rote Armee stand vor Wien - rühmte er sich, den Freund zur Strecke gebracht zu haben. Im Prozeß vor dem österreichischen Gericht behauptete er, er habe sich vor dem NS-Stand-gericht „bemüht, für diesen möglichst günstig auszusagen.”

Er war sechseinhalb Jahre in Haft. Seinen Wiederaufnahmeantrag begründete er damit, er habe seine Meldung über „Zersetzungserscheinungen in der Wehrmachtsstreife” keiner politischen, sondern einer militärischen Stelle gemacht. Das Verfahren wurde wieder aufgenommen und 1952 eingestellt.

Riedermann mag, österreichische Schicksale, auf der Fahrt zur Hinrichtung von der Floridsdorfer Brücke vielleicht noch einmal einen

Blick auf den Karl-Marx-Hof geworfen haben, den er als Bundesheer-Offizier im Februar 1934 beschossen und der darob in der Zeit des Ständestaates zeitweise seinen, Bieder-mans, Namen getragen hatte.

Daß er bei der Hinrichtung mißhandelt wurde, ist bekannt. Daß ein gewisser Skorzeny dabei Biedermann persönlich die Bangabzeichen abriß, weniger. Der Haupt-Mißhandler bekam am 17. Dezember 1948 zwölf Jahre. Als der gefesselt auf dem Boden liegende Hauptmann Huth „Es lebe Österreich!” rief, sprang er auf ihn und bearbeitete ihn mit den Stiefelabsätzen und einem Messer. Er nahm, laut „Volksblatt”, das Urteil „mit verächtlichem Lächeln entgegen und sagte bloß; Für was denn?”

Er war übrigens ein gefürchteter Gestapobeamter. Und vorher, vor einer Verwundung, Teilnehmer von „Sondereinsätzen” der SS-Toten-kopfstandarte in Holland, Griechenland und an der Ostfront. Noch nach dem Krieg, im amerikanischen Nazi-lager Glasenbach, rühmte er sich, daß man ihn einst den Bluthund von Athen genannt habe.

Und ganz vorher, auch das leider sehr österreichische Schicksale, nämlich 1934, wurde er, der Haupt -mißhandler Biedermanns, als Nazi-Böllerwerfer zu fünf Jahren schweren Kerkers verurteilt.

Verzeihen Sie mir, Autor Knopp, die Abschweifungen. Ich bin auf österreichische Art ins Reden gekommen. Ihr Ruch ist grauenhaft, also eine Warnung, also gut. Auch die Leiden der deutschen Zivilbevölkerung sind korrekt geschildert Aber vielleicht hätte sich hier etwas mehr Platz für die Todesmärsche und Massenmorde an Juden in der letzten Kriegsphase einsparen lassen. Oder hat es die nur im ostmärkischen Niemandsland der deutschen Zeitgeschichte gegeben?

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