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Nur der Name jubiliert

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Welche Rolle spielt das Millennium für die österreichische Identität? Was bedeutet das Jubiläum der Urkunde, was war der Anlaß?

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Welche Rolle spielt das Millennium für die österreichische Identität? Was bedeutet das Jubiläum der Urkunde, was war der Anlaß?

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Am 1. November 1946 jährte sich zum 950. Mal die Schenkung eines Gutes zu Neuhofen durch Otto III. an den Bischof von Freising, in einem Gebiet, das damals im Volksmund „Ostarrichi" genannt wurde. Dieses Jubiläum wurde zum ersten bewußten nationalen Gedenktag der Bepublik stilisiert. Bundespräsident Karl Benner beschwor in seiner Festrede zum „950. Jahrestag Österreichs", am 27. Oktober 1946, die „so ausgeprägte und von allen anderen verschiedene Individualität" der Österreicher, die daher Eignung für und Anspruch daraufhätten, „sich zur selbständigen Nation zu erklären." Benner legte aus diesem Anlaß offenkundig „auch seine eigene großdeutsche Vergangenheit" ab und meinte, daß die „Sprachgemeinschaft mit den Deutschen des Bei-ches" ebenso wie bei den Schweizern kein Hindernis auf dem Weg zur eigenen Nation sei. An den Schulen wurde das Ereignis ausführlich gewürdigt. Die „Ostarrichi"-Urkunde wurde zur Gründungsurkunde Österreichs stilisiert. Und was bedeutet der Anlaß überhaupt?

Die Urkunde von 996 ist ja wenig jubiläumsverdächtig: Es ist ganz bestimmt kein Datum einer Staatsgründung. Das junge Geschlecht der (später so benannten) Babenberger profitierte von der Schenkung nichts - und es blieb im Westen der Mark noch sehr lange auf wenige Positionen beschränkt. 1996 ist auch nicht Jubiläum einer Landnahme (wie das ungarische Millennium 1896), wenngleich der Anlaßfall mit Landvergabe, Rodung und Kolonisation zu tun hat.

Wenn also späterhin „Österreich" ein bedeutsames Land, seit 1156 Herzogtum im Südosten des Reiches bezeichnete, und wenn es noch später über das „Haus Osterreich" sogar ein weltumspannender Begriff wurde, dann hat das Jahr 996 an dieser Entwicklung ganz bestimmt nicht den geringsten Anteil.

Am 1. November 996 schenkte Kaiser Otto III. der Bischofskirche von Freising einen Hof und 30 Königshufen „...in regione vulgari vocabulo Ostarrichi in Marcha et in comitatu Heinri-ci comitis filii Liutpaldi marchionis in loco Niuuanhova dicto..." Das Gut lag jenem von Ulmerfeld benachbart, wo Freising schon im Jahr zuvor Besitz erhalten hatte.

Diese Schenkung stand damals keineswegs isoliert da. Insbesondere die Ottonen und Salier haben zahlreiche kirchliche Institutionen, in erster Linie die großen Bischofskirchen (Hochstifte) mit Besitz- und Herrschaftsrechten ausgestattet. Dies geschah besonders im Südosten des Reiches mit den in der Karolingerzeit erworbenen und nun, nach 955 in etwas kleinerem Umfang neuerdings gesicherten Landreserven. Politisches Kalkül und Bevölkerungsdruck verbanden sich dabei. Bodung und Binnenkolonisation machen den Anfang, bald wird der Aufbruch nach Süden und die Expansion nach Osten folgen, ab 1097 die Kreuzzüge in den Orient. Schenkungen wie die von 996 signalisieren Bevölkerungswachstum, Ausbreitung des Getreidebaues, den „Aufgang Europas" (Friedrich Heer).

Warum der Name Ostarrichi gerade in dieser Urkunde auftauchte, hatte einen bestimmten Grund. Der Freisinger Schreiber der Urkunde, einer Empfängerausfertigung, lehnte sich nämlich sehr eng an eine Urkunde von 973 an. Bischof Abraham hatte durch sie eine bedeutende Schenkung im Gebiet von Bischoflack (Skofja Loka, in Slowenien) erhalten. Danach lag das Schenkungsgut in einer Region, die im Volksmund „Krain" genannt wurde: „Quandam nostras proprietatis partem in regione vulgari vocabulo chreine" Und analog dazu 996:

„Quasdam nostri iuris res in regione vulgari vocabulo Ostarrichi." Das heißt natürlich, daß der Name schon vorher existiert haben muß. Er begegnet etwa bei Otfried von Weißenburg im neunten Jahrhundert und bedeutet dort den ostfränkischen Reichsteil. Ostarrichi hieß (östlich gelegener Herrschaftsbereich", auch „Ostreich", „Region im Osten", immer mit einer geographischen, aber auch einer politisch-herrschaftlichen Komponente. Der Name „Ostarrichi" wurde mittelhochdeutsch „Österlich", neuhochdeutsch „Österreich".

Wenn also im Jahr 1996 Österreich etwas zu erinnern hat, dann kann es sich nur um ein Gedenken handeln, das mit dem Namen zu tun hat. Genau dies ist das Konzept der Österreichischen Länderausstellung 1996 „Ostarrichi - Österreich. 996 - 1996."

Das Land Niederösterreich plant für die Zeit von 4. Mai bis 3. November 1996 eine Ausstellung, die über den traditionellen Rahmen der Landesausstellungen zweifach hinausgeht: Sie wird als gemeinsame Ausstellung der österreichischen Bundesländer gestaltet und sie wird an zwei Orten stattfinden: in Neuhofen (in der Pfarrkirche und im neuen „Ostarri-chi-Kulturhof" und in St. Pölten. Mit der wissenschaftlichen Leitung wurde der Verfasser, gemeinsam mit Peter Urbanitsch, betraut; die Gestaltung wurde Architekt Bengt Sprinzl übertragen. Was waren die leitenden Überlegungen bei der Konzipierung der Ausstellung? Der Name „Österreich" ist heute die Bezeichnung der Republik Österreich in den geläufigen Grenzen. Er ist primäres Identitätsmerkmal der Österreicher. Der Name „Österreich" hatte und hat aber zahlreiche zusätzliche Dimensionen. Neben der Republik Österreich gibt es zwei Bundesländer, die bis heute Österreich im Landesnamen tragen.

Die Republik selbst wird von ihren Ländern konstituiert-wir wissen, daß das Landesbewußtsein seit eh und je neben, gemeinsam oder auch in Konkurrenz mit dem Bewußtsein, Österreicher zu sein, stand und steht. Die Republik ebenso wie die Bundesländer sind für viele Menschen „Heima-ten", aber daneben können Österreicher von heute auch andere Heimaten haben - vom Heimathaus und -dorf bis zur Welt der Literatur, der Wissenschaft, der Fremde.

Der Name „Österreich" wurde aber auch seit dem 14. Jahrhundert vom hier seit 1282 herrschenden Geschlecht, den Habsburgern, getragen. Vom „Haus Österreich" ging der Name auf die „Monarchia Austriaca" des 18. Jahrhunderts über, auf das „Kaisertum Österreich" von 1804, auf die „Österreichisch-Ungarische Monarchie", auf den westlichen Beichsteil dieser Monarchie, schließlich auf die Republik von 1918/19. Über den Dynastienamen wurde der alte Landesname zur Staatsbezeichnung.

Mit dem Begriff „Österreich" waren schon früh Klischees und Stereotypen verbunden. „Österreich" konnte und kann als eng, fremdenfeindlich, als Völkerkerker, als Bollwerk der Christenheit und Europas, als phäa-kisches, unterdrückendes, geistfeindliches Land, als Land der Skandale und der zerstörten Umwelt gesehen werden - oder aber auch als ein Land der Vielfalt, bedeutender kultureller und intellektueller Leistungen.

„Ostarrichi - Österreich. 996 -1996. Menschen - Mythen- Meilensteine" ist der Titel der Ausstellung, in der im Ausstellungsteil Neuhofen Themen wie Europa um 1000, die Ostarrichi-Urkunde, Freising und Österreich, Entwicklung des Österreich-Begriffes, Entstehung der Länder und ihrer Kontinuitäten, das Werden einer Kulturlandschaft, Heimaten, Grenzen und Bäume und Katholische Kirche und Österreichbewußtsein gezeigt werden. Im Ausstellungsteil St. Pölten geht es um die Symbolik, um Stereotypen, Mythen.

Der Autor ist Professor

für Wirtschafts-und Sozialgeschichte in Wien

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