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Nur ein Kaffeehaus in Suez

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Die Lage am Suezkanal hat sich im vergangenen Monat noch bedenklicher verschärft, als es jemals seit dem israelisch-ägptischen Waffenstillstand der Fall war. Die Luft-und ArtilleriedueHe der beiderseits des Kanals für den Tag X aufmarschierenden Truppen konzentrieren sich auf die Hafenstadt Port Said, der infolge ihrer durch Lagunen abgeschirmten Lage bisher das Los von Suez und Ismailia erspart geblieben war, die schon 1967/68 in Trümmer sanken.

In Port Said erfüllt sich in diesen Tagen das Schicksal einer Stadt, die bis zum Juni 1967 Ägyptens zweiter Hafenplatz und eine der lebendigsten Mittelmeerstädte war. Die Reedereien, Konsulate, Schulen und Betriebe haben Port Said zwar schon vor Monaten verlassen, doch sind 130.000 Einwohner zurückgeblieben, die jetzt auf die Bergungsschiffe warten. In der Mehrzahl sind es gar keine Araber, die von General D a y a n s VergeltungsscMägen für die Aktionen der Al-Fatah-Parti-sanen getroffen werden, sondern Italiener, Griechen sowie christliche Kopten und Syrer, die den regen Handel und Wandel am nördlichen Kanalende in Händen hatten. Heute sind nicht nur ihre Geschäfte ohne Waren und Kunden, es beginnt auch an Wasser zu mangeln, da die städtische Filtrieranlage 'am Kanal von Bomben beschädigt wurde. Ein einziges Kaffeehaus bietet noch Limonaden und Süßigkeiten feil, und das letzte Lebenszeichen am Promenadekai ist die Hakenkreuafahne der deutschen Rot-Meer-Reederei. Ihre Eigentümer haben das Symbol des Dritten Reichs zur Firmenflagge gewählt und lassen es neckisch vor den Augen der israelischen Kanoniere in der Brise flattern.

Doch während am Suezkanal die kriegerischen Paukenschläge des Bombenhagels auf Port Said, Ismailia und Quantara niedergehen und größere Detonationen bis nach Kairo herein zu hören sind, tanzt Ägyptens Jugend in Ghiza und bei den Pyramiden zu den letzten Schlagererfol-gen von Esther und Abi Ofarim.

Diese waren wegen ihrer israelischen Herkunft jahrelang in keinem Kairoer Nachtlokal auf den Plattenteller gelegt worden, doch ist ihre heutige Begleitmusik zu dem Artilleriekonzert am Kanal so typisch für die vielschichtige Situation, in der man die Vereinigte Arabische Republik zwei Jahre nach dem Junikrieg antrifft: Auf der einen Seite sind alle Kräfte des ägyptischen Volkes den Zielen einer straff organisierten Kriegswirtschaft untergeordnet, doch läuft dem Produktionsund Rüstungsstoß eine Liberalisierungsweile parallel, die es dem VAR-Bürger und -Soldaten in seinem Staat angenehmer und ihm dessen Verteidigung angelegener machen soll.

In der Tat hat die Kaimpfesfoereit-schaft der ägyptischen Armee, aber auch der Zivilbevölkerung, erheblich zugenommen, seit der israelische Gegner am Kanal steht und seine Artillerie- und Bombenangriffe nach der Zerstörung von Ismalia, Suez und Port Said unmittelbar das dichtbevölkerte Niltal bedrohen. Der scholenverwurzelte Fellah des Deltas, dem der Kampf um Palästina ein hohes, aber seinem Gesichtskreis entrücktes Ideal ist, sieht jetzt sein Baladij, sein Heimatland, in direkter Gefahr. Er wird in einem neuen Krieg ebenso entschlossen kämpfen wie die Israelis in den drei vergangenen Waffen-gängen um ihre Existenz in Palästina rangen.

Diese Reformimaßnalhmen, die von Präsident Nasser am 31. März 1968 verkündet und seit vergangenem Sommer in die Tat umgesetzt wurden, haben inzwischen ihre ersten Früchte auf innenpolitischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet getragen. Sie lassen sich insofern auf einen Nenner bringen, als sie alle ein Abrücken von den Imperativen der Ideologie und des Plansolls zugunsten einer praktischen Bewältigung der harten ägyptischen Wirklichkeit darstellen. Auf dem wirtschaftlichen Sektor bedeutet das eine weitgehende Rückkehr zur Privatinitiative, die seit 1961 dem Aufbau des arabischen Sozialismus den Vortritt lassen mußte. Innenpolitisch haben in der Einheitspartei der VAR, der Arabischen Sozialistischen Union, die konsequenten Parteiideologen vom Stil eines Aly Sabry das Ruder konzilianten Ver-mittlungspolitikern in die Hand geben müssen, und seit den Wahlen vom vergangenen Juli gibt es in Ägypten zwar weiter nur eine Partei, aber in deren Reihen eine ganze Schar unabhängiger Abgeordneter. Damit fehlt der VAR zwar nach wie vor eine Parteiendemokratie, doch ist die nach dem Programm des 31. März angestrebte Persönlich-keitsdamokratie ein entscheidender Fortschritt im innenpolitischen Leben, das weiterhin durch die Aussöhnung mit den Achwan Muslimin, den Moslembrüdern, geprägt ist. Der Islam wird in der VAR überhaupt wieder groß geschrieben, vielleicht sogar bewußt als geistiges Gegengewicht zu Ägyptens Zusammenarbeit mit der kommunistisch-materialistischen Welt auf dem militärischen und ökonomischen Sektor. Die weltanschauliche Präsenz der Oststaaten ist in Kairo n'ach wie vor erstaunlich minimal, das 'gleiche gilt für das kulturelle Leben und das Auslandsschulwesen. Kein ägyptischer Junge, kein arabisches Mädchen darf in Kairo die russische oder mitteldeutsche Schule besuchen Nur die Jesuiten, Schulforüder, Vin-zenterinnen usw. sind nach wie vor mit solchen Vorrechten ausgestattet. Die innere Stabilisierung der VAR, die interessanterweise von der militärischen Katastrophe 'am Sinai ausgelöst wurde, wirkt sich natürlich auch auf das Verhältnis Kairos zu seinen arabischen Partnern und auf eine ausgesprochen konservative Außenpolitik aus. Vorbei sind die Zeiten, in denen Ägypten als Vorkämpfer des arabischen Soziaiiismus mit den feudalen Königshöfen in Riad und Aimiman in Konflikt geriet. Heute vermittelt Kairo zwischen diesen und den arabischen Avantgardisten v6n Algier, Bagdad und Damaskus im Dienste der arabischen Einheit. Sehr deutlich wurde das bei der letzten Krise im Libanon.

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