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„Nur für Weiße!”

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Dem Schalterbeamten stieg das Blut ins Gesicht. „Nimm deinen Hut ab, wenn du mich anredest. Für wen hältst du mich eigentlich?” — „Für den Billettverkäufer”, erwiderte der schwarze Präsident des Afrikanischen Nationalkongresses für Transvaal, der kurz vorher in einer Versammlung gesprochen hatte. „Frecher Wicht!” zischte der Mann hinter dem Schalter, „Weißt du nicht, daß ich, daß jeder Europäer dein Vorgesetzter ist?” — „Soll das heißen, daß jeder Weiße, vom Generalgouverneur bis zum Trunkenbold, von uns als Vorgesetzter betrachtet ferden rnuß&kh meinerseits bin dazu außer- ? afide. Idh ‘zilhl ineitlen Hut vor keinem Weißen ab, nur weil er eine weiße Haut besitzt.” — „Halt’s Maul!” schrie der Schalterbeamte, „frecher, unverschämter Geck du! Pack dich oder ich hetze die Polizei hinter dir her! Für Kaffem gibt’s hier keine Zweiteklassekarten!” — „Danke!”, erwiderte Makgatho, „warum sagten Sie mir das nicht eher? Wozu die Zeitverschwendung? Von all dem, was Sie vortrugen, verlangte ich nichts; ich verlangte lediglich eine Fahrkarte zweiter Klasse” …

Dieses Beispiel, das uns ein Bantu-Feuilletonist berichtet, ist für Südafrika kein Einzelfall, sondern eine Alltäglichkeit, nur eine der verheerenden Folgen der Apartheid, der Rassentrennung, mit der Dr. Malan begann und die sein Nachfolger, Präsident Strijdom, mit aller Schärfe fortführt.

Das Rassenproblem in Afrika ist nicht neu. Man hat verschiedene Lösungen versucht. Eine der unglücklichsten aber ist zweifellos die Apartheidpolitik Südafrikas. Natürlich ist auch sie aus der Not des Augenblicks gewachsen. Die meisten Nichteuropäer haben ja noch nicht die Entwicklungsstufe erreicht, die eine völlige Gleichschaltung mit den Weißen zuließe. Ein 1 plötzlicher, gewaltsamer Versuch, sie in die Welt europäischer Sitten und Gebräuche zu zwingen, wäre verhängnisvoll. Es bedarf einer allmählichen Entwicklung und vorsichtigen Anpassung. Das Wahlrecht erfordert zum Beispiel ein großes Maß politischer Reife und einen hohen Grad von Verantwortungsbewußtsein. Das heißt aber nicht, daß man den einzelnen Schwarzen, der vielleicht Hochschulbildung hinter sich hat, so lange auf seine Grundrechte warten lassen muß, bis die Masse seiner Landsleute nachgerückt ist.

Apartheid (Isolierung) heißt grundsätzliche Trennung von Schwarz und Weiß auf allen Gebieten. Das bedeutet zum Beispiel: gesonderte Zugänge zu öffentlichen Gebäuden, Sperrung von Parks oder Bänken für Weiße und Nichtweiße, Trennung in den öffentlichen Verkehrsmitteln, Trennung in den Schulen bis hinauf zur Universität, Trennung in den Kirchen (die zumindest die katholische Kirche niemals zugeben wird!), Ausweisung Schwarzer aus bestimmten Industriezweigen, Abschieben in untergeordnete Stellungen und Hungerlöhne, Verbot, sich zu Gewerkschaften zu organisieren, Aufhebung der Vertretung der Einheimischen im Parlament (sie waren bis 1948 durch drei Europäer vertreten), Entzug des Wahlrechtes für Schwarze im ganzen Land (im Parlament und Senat sitzen daher nur Weiße). Der Minister für Eingeborenenangelegenheiten hat ferner das Recht, Stammeshäuptlinge wegen Ungehorsams ohne Gerichtsverfahren zu bestrafen; er kann außerdem ohne vorherige parlamentarische Ge- nehmigüng die Entfernung und Umsiedlung eines ganzen Stammes verfügen. Die Schwarzen haben zudem noch das schlechteste Achtel des Bodens; jedoch auch das nicht einmal als ihr Eigentum, denp der Boden bleibt Regierungsbesitz, Kein Schwarzer kann eine Handbreit davon besitzen! Rassentrennung bedeutet auch-”jigeogräphische- Apartheid”, das heißt Umsiedlung aller Schwarzen in bestimmte Reservate.

Vor allem aber haben drei Maßnahmen die Empörung der Weltöffentlichkeit erregt: die Klassifizierung der Farbigen, das Immoralitätsgesetz und das Bantu-Erziehungsgesetz.

Die Klassifizierung der Farbigen begann Ende 1955. Kopfformen wurden vermessen, die Hautfarbe bis auf eine Nuance bestimmt usw. Jeder „Farbige” erhielt dann zum Abschluß eine Registrierkarte, auf der seine Rassenqualität durch eine Zahl genauestens fixiert war. Das alles aber war nur Vorbereitung zum Immoralitätsgesetz, das Anfang Februar 1957 in seiner verschärften Form verabschiedet wurde. Nach ihm werden seither alle „Liebesbeziehungen” zwischen Angehörigen ungleicher Rassen (darum wurde die Rassenzugehörigkeit vorher nahezu mathematisch bestimmt) mit Gefängnis bis zu sieben Jahren bestraft. Als Grund wurde „die starke Zunahme derartiger Delikte” angegeben.

Am krassesten jedoch zeigen sich die Ziele der Apartheidpolitik in den Bantu-Schulgesetzen. 1953 hat die Regierung Malan durch das berüchtigte Bantu-Schulgesetz die gesamte Eingeborenenerziehung der Kontrolle der Regierung unterstellt.

Es gärt darum in Südafrika. Die Schwarzen und Farbigen (Mischlinge, Inder usw.), die bisher durch uralte Gegensätze gespalten waren, sind einander nähergekommen. Man startete die Aktion des Nichtgehorsams. Freiwillige übertraten öffentlich die Rassenschranken, hielten sich nicht an die Sperrstunden, die Nichteuropäern den Aufenthalt auf der Straße nach 23 Uhr verbietet, betraten Bahnhöfe durch den Eingang „nur für Weiße” und reisten ohne Pässe. Bis 1956 hat man seither 5000 dieser Freiwilligen verhaftet. Dann brach die Aktion zusammen. Aber weitere schlossen sich an.

Man hatte die Schwarzen umgesiedelt. Rund 40.000 wohnten bereits 15 Kilomter von ihren Arbeitsstätten entfernt. Da erhöhte man die Autobusfahrpreise, wodurch fast ausschließlich die Schwarzen getroffen wurden. Sie traten in Streik, in den Autobusstreik. Die Parole lautete: „Wir rollen nicht!” Am 29. Jänner 1957 kam es schließlich zum ersten Zusammenstoß zwischen den Streikenden und der Polizei. Es gab Verhaftungen, Verwundete und Tote. Ihre Zahl nimmt seither ständig zu. Anfang März mußte eine Johannesburger Verkehrsgesellschaft dzn Verkehr völlig einstellen. Vermittlungsvorschläge der Stadt wurden von den Schwarzen abgelehnt! denn ihre Erbitterung war schon zu sehr gestiegen und der Fahrstreik wurde zur Kraftprobe der 250.000.

Noch andere Folgen hat die Rassentrennung in Südafrika, die vielleicht weniger auffällig, aber darum doch nicht weniger verheerend sind. Da ist zum Beispiel die Umsiedlung und Abdrängung der Eingeborenen in die Reservate, deren kümmerlicher Boden das Volk nicht ernähren wird. Der Schwarze hat zudem keine Erfahrung in den modernen Bewirtschaftungsmethoden und läßt sein Land mehr und mehr verwahrlosen. Die Zahl derer, die in die Bergwerke abwandern, nimmt ständig zu. Familien werden durch dieses Wanderarbeitersystem auseinandergerissen und enden nicht selten in materiellem und moralischem Elend.

Die Regierung hat nur sehr wenige eigene Eingeborenenschulen. 1955 waren es erst zehn Prozent. So muß sie zu einem System greifen, das in seiner Hilflosigkeit nahezu grotesk wirkt. Auf dem Land, wo der Unterricht bisher ausschließlich in den Händen der Mission lag, übergibt die Regierung jetzt dem Farmer, auf dessen Grund und Boden die Schule steht, die Kontrolle über Schule und Lehrkräfte. Der Farmer erhält von den Regierungsstellen das gesamte Baumaterial und wird dadurch zum „Manager” des ganzen „Unternehmens”. Wenn er die Schule nicht mehr auf seinem Grund und Boden haben will, wendet er sich an die Abteilung für Eingeborenenangelegenheiten; die Schule wird dann geschlossen, das Schulhaus abgebrochen.

So kann man den fanatischen Nationalismus der schwarzen Bevölkerung verstehen, die von den Kommunisten aufgehetzt wird. Sie sind letzten Endes wieder die Nutznießer, weil sie die einzigen Weißen sind, die auch in der Praxis keinerlei Rassenunterschiede kennen. Aber sie begnügen sich nicht mit wirtschaftlichen und sozialen Argumenten. Der Neger ist im Grunde seines Herzens religiös, doch sein religiöses Wissen ist meist sehr gering, auch wenn er einer christlichen Konfession angehört. Das nützt die KP, die seit ihrem Verbot 1950 in den Untergrund ging, geschickt aus. So tauchten 1952 in Zulusprache gedruckte Bibeln auf, die den Schwarzen von unbekannten Spendern zugesandt werden. Sie weichen merkwürdig vom wahren Text der Heiligen Schrift ab. Im Alten Testament kommen neben Abraham und Noah auch Stalin und Lenin vor, und die ganze Geschichte des Alten Bundes ist mit der Geschichte der kommunistischen Partei vermischt. Parallel dazu läuft der Versuch, eine Afrikanische Nationalkirche zu gründen, die sich rühmt, den afrikanischen Bedürfnissen „mehr entgegenzukommen”.

Die katholische Kirche lehnt eine Rassentrennung grundsätzlich ab. Man weiß, daß es für Südafrika keine Patentlösung geben kann, aber, so betonten die südafrikanischen Bischöfe in einem gemeinsamen Hirtenschreiben bereits vor sechs Jahren, eine ausschließlich auf die Farbe gegründete Unterscheidung sei ein Unrecht gegen die Würde der menschlichen Person. Die Gerechtigkeit verlange, daß den Nichteuropäern die Möglichkeit geboten werde, sich nach und nach zur vollen Teilnahme am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Landes zu erheben. Damit sind die Prinzipien gegeben. Monsignore Hurley, der Erzbischof von Durban, führte sie in einer Rede vom 3. Dezember vergangenen Jahres weiter aus. „Es wird darauf ankommen”, so meinte der Erzbischof, „daß die christlichen Grundsätze sich auch in der Praxis durchsetzen.” Das Volk müsse auf gemeinsamen Kirchentreffen und Versammlungen in Zusammenarbeit auf kulturellem und karitativem Gebiet die Theorie erproben. „Widerstände werden nicht nur von außen kommen”, stellte der Erzbischof weiter fest, „eine ganze Menge wird von innen kommen. Demgegenüber ist großer Mut nötig. Versäumen wir aber heute, diese Anstrengungen ?u machen, so werden wir bei einer sozialen Explosion von morgen auch darunter leiden — und nicht einmal unverdient. Man wird uns vorwerfen, wir hätten mit dem alten Regime zusammengearbeitet. Und wieder einmal wird die Religion einen Rückschlag erleben wegen des Versagens ihrer Mitglieder.” Eine dröhnende Verurteilung der Apartheid, schloß Msgr. Hurley, sei nicht das geeignetste Mittel, die Probleme zu lösen, „denn nach außen können wir nur überzeugen, wenn wir wirklich einander lieben”. Dann wäre auch der große Vorwurf beseitigt, den der Schwarze Südafrikas immer wieder gegen den Weißen erhebt: „Ihr habt uns Jahrhunderte lang befohlen, aber noch nie seid ihr uns begegnet!”

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