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Nur“der Semmelturm?

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Der Ledererturm in Wels steht noch, Gott sei Dank! Ich hatte die Nachricht, die mir von durchaus verläßlicher Seite zugekommen war, daß der Stadtturm von Wels zerstört worden sei, unbesehen auf den uns allen vertrauten Ledererturm, dieses unvergleichliche Wahrzeichen der Stadt Wels, bezogen. Das war voreilig, und ich habe zum Glück unrecht gehabt.

Aber meine Annahme, daß der Turm gefallen sei, war so ungeheuerlich nicht. Die Stadt Wels hatte einst vier Stadttürme: drei sind dem demolierfreudigen 19. Jahrhundert zum Opfer gefallen - 1842, 1870 und 1875 -, und wären nicht einige ihre Stadt liebende Bürger gewesen, so wäre auch der Ledererturm noch in den Jahren 1902 bis 1904 vernichtet worden, denn die Stadtgemeinde hatte die Kosten der Dachdeckung des — selbstverständlich! — für abbruchreif erklärten Turmes nicht tragen zu können vermeint. Bei einem Haare hätte die Totenklage im Jahre 1904 mit Recht angestimmt werden können.

Wäre mir freilich der wahre Tatbestand schon zur Zeit der Niederschrift meines Aufsatzes bekannt gewesen, ich hätte meinen Nekrolog trotzdem geschrieben — für den Semmelturm. Warum?

Weil sich zwar weder der Kaiser-Josef-Platz mit dem Stadtplatz noch der Semmelturm mit dem Lederturm vergleichen können, es aber sehr unrichtig sein würde, wollte man jetzt wegwerfend sagen, es sei ja „nur“ der Semmelturm gewesen.

Und es ist auch nicht so, daß die Verantwortlichen den Turm ohne weiteres preisgegeben haben. Es haben nicht nur die Denkmalschutzbehörde und der Verschönerungsverein Wels sich pflichtgemäß gegen die Zerstörung des Denkmals ausgesprochen, sondern es hat insbesondere „der Kulturausschuß der Stadt Wels mit den Stimmen aller Parteien einstimmig beschlossen, die Bauabteilung zu bitten, im Sinne der Einstellung des Denkmalamtes eine Planung auszuarbeiten, um den Turm zu erhalten“, sogar mit dem Beisatze: „ohne daß deswegen das geplante Hochhaus nicht gebaut werden könnte“.: Wie Vizebürgermeister und Kulturreferent Doktor Aubert Salzmann am 25. Jänner dieses Jahres im Gemeindeausschuß gesagt hat.

Wie stets in solchen Fällen, sind Gutachten schnell zur Hand: Das Gutachten der Stadtbaudirektion Wels vom 13. Jänner 195 8 sagt zusammenfassend: „Auf Grund des vorstehend festgestellten Bauzustandes ist der Turm als baufällig zu bezeichnen und mit seinem Einsturz in die Stelzhamerstraße zu rechnen.“ Und noch schneller war das Todesurteil gesprochen: am gleichen Tage um 19 Uhr! Man hat es allerdings eilig gehabt. Fragt sich nur, ob das Gutachten gerechtfertigt war. Nach den mir vorliegenden Lichtbildern, insbesondere des Inneren des Semmelturms, möchte ich dies sehr bezweifeln. Und ich glaube auch nicht, daß „die Ziegel morsch waren und teilweise schon bei einer Berührung mit der bloßen Hand abbröckelten“, wie das Gutachten sagt. Sicherlich wird auch der Ziegelstein nicht morsch gewesen sein, mit dem Dr. Salzmann den Sitzungssaal betrat, als er seine „Grab“rede auf den alten Turm hielt, worüber eine Zeitungssonderausgabe gespottet hat Es mag freilich sein, daß der Bauzustand des Turmes nicht der beste war. Aber was konnte dies bei dem heutigen Stande der Denkmalpflege verschlagen? Die ganz andere „Kunststücke“ fertigbringt als Heilungen solcher

Art! Ohne großen Kostenaufwand! Ich persönlich kann nicht recht begreifen, daß die Denkmalbehörde ihren eigenen Bescheid aufgehoben und unter dem Drucke des sichtlich sehr fragwürdigen Gutachtens in die Zerstörung des Denkmals gewilligt hat. Die Geschichte der Denkmalpflege ist reich an Beispielen für „sachverständige“ Gutachten auf Baufälligkeit alter Bauwerke. Statt vieler nur ein einziges Beispiel: Die Türme der Ruine Weitenegg vor Melk sind um 1882 für baufällig erklärt worden. Tatsächlich „wurde der größere von beiden, der östliche, unter dem Vorwande der Baufälligkeit abgetragen und das Abbruchmaterial zur Vergrößerung der am Fuße des Berges gelegenen Ultramarinfabrik verwendet, die allerdings aus Dankbarkeit in stilgerechten, mittelalterlichen Formen erbaut wurde. Dem zweiten Turm, der angeblich so baufällig war, daß sein Zustand unhaltbar war, drohte das gleiche Schicksal...“ Obwohl er also nach amtlicher Feststellung, daher von Rechts wegen, längst hätte einstürzen müssen, steht er heute noch, nach 75 Jahren! (Vgl. Karl Holey, Ein Denkmalschutzgesetz für Oesterreich, Wien 1911, S. 26.)

Mit Recht hat Dr. Salzmann darauf verwiesen, daß der Schiefe Turm von Pisa, der ja, wie die Anhänger der Zerstörung betont hatten, viel schöner sei als der Semmelturm (was wohl von niemandem wird bestritten worden sein), bei einer Höhe von 54,5 m jetzt, nach Bombeneinschlägen, nicht weniger als 5 m überhänge, der nur 13 m hoch gewesene Semmelturm verhältnismäßig um 1,5 m hätte überhängen müssen, tatsächlich aber nicht mehr als 22 cm übergehangen ist. Und — so füge ich hinzu — die Pisaner denken nicht daran, ihren Turm zu vernichten, sondern setzen alles daran, ihn auch noch späteren Geschlechtern zu erhalten.

Der entzückende Turm hätte also ohne Zweifel bei einigem guten Willen erhalten und nach wie vor. zusammen mit seiner Nachbarschaft, der ehemaligen Spitalskirche, den reizvollen Abschluß des Kaiser-Josef-Platzes bilden können. Verkehrshindernis? Der sehr lebhafte Wagen- und Autobusverkehr vom Kohlmarkt zum Burgring geht durch drei Tore der Wiener Hofburg, teilweise sogar in Zweibahn, und in Wels wird die Bundesstraße Nr. 1 sehr an Bedeutung verlieren, wenn in wenigen Jahren die zehn Kilometer südlich ziehende Autobahn fertiggestellt sein wird. Man hätte den Fremden, die den Umweg nicht scheuten, um die schöne, alte Stadt zu besuchen, wahrhaftig einen besseren Dienst erwiesen, wenn man sie an dem alten Tore hätte vorbeifahren lassen, statt ihnen zuzumuten, sich über ein langweiliges Allerwelts-hochhaus von 12 oder gar 16 Stockwerken ärgern zu müssen. Der Verkehr hätte durch zwei Oeffnungen in Einbahnen, dem Platze zu- und von ihm abgleitet werden können. So wäre der Turm Verkehrsteiler geworden, statt der faden Verkehrsinsel mit dem famosen Würstelstand! ...

Nehmen wir an. die Bomben hätten — Gott behüte! — den Ledererturm zerstört. Was wäre an dessen Stelle getreten? Ein schlichterr“3ie Maße des herrlichen Platzes haltender Bau1 oder ein Hochhaus? Wie die Dinge heute liegen, vermutlich ein Hochhaus. Nun, der Alptraum ist nicht Wirklichkeit geworden. Warum aber verwirklicht man ihn auf dem Kaiser-Josef-Platz? Wir vermuten mit guten Gründen, daß da keineswegs städtebauliche Erwägungen den Ausschlag gegeben haben, wenn auch jene Sonderausgabe vermeint, daß „der Platz einen Abschluß erhalten werde, wie er schöner und passender nicht zu entwerfen gewesen wäre“, sondern die — Bauspekulation. Wie wäre es sonst auch zu erklären, daß nach der Meldung der „Oberösterreichischen Nachrichten“ vom 13. Februar dieses Jahres der Geviertmeter an jener Stelle nicht weniger als rund 1000 S kostet?

Offensichtlich ist auch ein wenig Schicksal gespielt worden. Denn eine Wiener Tageszeitung wußte zu berichten, daß die dem Turm angebauten Häuser demoliert werden und ein Bagger vor dem Turm arbeitet: „In den letzten Tagen hat sich darob der Turm um weitere drei Zentimeter geneigt.“ Eine Linzer Zeitung aber schrieb wörtlich: „So rückt man nur den benachbarten Häusern an den Leib. Schon in wenigen Tagen wird also der Turm frei von jeder Lehne isoliert in die Höhe ragen. Ob er einer Stütze bedarf, wird sich erweisen.“ Jeder Bausachverständige weiß, daß alte Bauwerke ineinander verzahnt sind und daher der gegenseitigen Stützung bedürfen. „So merkt man Absicht und man ist verstimmt.“

Man zerstört also einen anmutigen barocken Turm — jawohl: barock, nämlich von 1732, und nicht etwa ein „Produkt aus einer nüchternen und reizlosen Zeit am Beginn der Eisenbahnepoche“, wie jenes Flugblatt glauben machen will, man hat sich da um ein ganzes Jahrhundert „geirrt“! —, man vernichtet das Gefüge eines immerhin alten, wenn auch ziemlich entstellten Platzes und bringt diesen durch Unmaß um jede Wirkung. Das mag entweder ein geldlicher Gewinn für die Grundeigentümer oder sehr vorteilhaft für die Erbauer des Hochhauses sein.

Ich muß leider nichts zurücknehmen: Meine Totenklage gilt zwar nicht dem Ledererturm, wohl aber dem Semmelturm und der schönen, alten Stadt Wels. Und ich möchte auch nicht umsonst geklagt haben: Möge unser Semmelturm das letzte Glied sein in der Kette der leichtfertig geopferten österreichischen Denkmale! Dann war sein Opfer nicht ohne Sinn.

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