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Nurnberg in Bagdad

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Dieser Tage wurde in der UNO wieder einmal beschlossen, eine Kommission zur Untersuchung der Lage der Araber in die von den Israelis nach dem Sechstagekrieg besetzten Gebiete zu entsenden. Die israelische Regierung hat dem unter einer Bedingung zugestimmt: daß zur gleichen Zeit auch die Lage der Juden in den arabischen Staaten von der UNO untersucht werde. Dieses Verlangen wurde von der UNO-Mehrheit und dem Generalsekretär V Thant abgelehnt; jedoch dem der Araber nach Inspektion in Israel wurde entsprochen. Begründung: Bei den von den Israelis besetzten Territorien handle es sich um Kriegsgebiete, deren arabische Bewohner quasi Zivilkriegsgefangene sind. Demgegenüber seien die Juden in den arabischen Ländern deren Staatsbürger; deren Lage sei somit eine innere Angelegenheit dieser Staaten, die niemand anderen etwas angehe. Wie wenig dieses Argument zutrifft, wie sehr die Juden in den arabischen Ländern nicht mehr als Staatsbürger, sondern faktisch als Zivilkriegsgefangene, ja als Geiseln behandelt werden, geht bereits aus folgendem Beschluß der Islamischen Konferenz in Rabat-Aman, am 16. bis 21. September 1967, hervor:

Die „eigenen Staatsbürger“ ,,... Mohammedanische Regierungen haben die Pflicht, Juden als Gesamtheit wie auch individuell als die ärgsten Feinde anzusehen und zu behandeln.“

Dieser Beschluß wurde von allen arabischen Regierungen mit Ausnahme derer von Marokko und Tunesien befolgt und verwirklicht. Und das Regierungsblatt des Irak verdeutlichte dies erst unlängst mit folgenden Sätzen:

„... Es gibt heute keine einzige (jüdische) Familie unter den im Irak zurückgebliebenen, die nicht dort (in Israel) einen Bruder oder Sohn hätte. Es wäre demnach unnatürlich, von ihnen Loyalität gegenüber unserem Land und Verleugnung jenes Staates zu erwarten, dem sie beträchtliche materielle Mittel und das Blut ihrer Söhne gewidmet haben. Diejenigen aber, die es vorgezogen haben, hierzubleiben, taten es nur, um hier als Spione und destruktive Elemente zu wirken. Wir müssen sie daher ins Rampenlicht stellen, um alle ihre Bewegungen überwachen zu können und ihnen jedwede Macht zu nehmen, um unsere Existenz zu schützen.“

Spricht man so über seine eigenen Staatsbürger? Es geht aber noch viel weiter. Die logische Folge einer solchen Einschätzung wäre — so sollte man meinen —, diese scheinbar so gefährlichen Elemente so schnell als möglich loszuwerden. Doch nein. In sämtlichen arabischen Ländern (wieder mit Ausnahme Tunesiens, Marokkos und, bizarrerweise, Algeriens) verweigert man den Juden die Ausreise und Auswanderung. Dabei stellen sie zahlenmäßig nur noch kümmerliche Uberreste gegenüber früher dar. So sind wegen der schweren Verfolgungen nach dem verlorenen arabischen Krieg gegen Israel von den insgesamt 800.000 in den arabischen Staaten (außer Jordanien) lebenden Juden rund 82.000 zurückgeblieben. Die übrigen sind alle nach Israel geflohen. Warum verwehrt man also diesen wenigen verbliebenen — und so gefährlichen — die Auswanderung? Die schlichte Antwort ist: man verwendet sie als Geisel gegen Israel. Und außerdem — wie eine jetzt beginnende Serie von nach bekannten Vorbildern nachinszenierten Schauspionageprozessen im Irak zeigt — braucht man sie als Blitzableiter von innerpolitischen Gewittern und anderen inneren Schwierigkeiten. Im Irak ist es überhaupt derzeit am ärgsten. Nicht, als ob es nicht genug Bedrängnis und Verfolgung vor allem etwa auch in Syrien, Libyen und Ägypten sowohl durch Behörden als auch durch das von Radio und Presse ständig gegen die Juden aufgehetzte Volk gäbe. Dort überall gibt es wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Boykott, Einschränkunigen, Schikanen, physische Bedrohung: Verhinderung von Gewerbeausübung durch Entzug oder Nichtgewährung von Konzessionen sowie durch Veröffentlichung von schwarzen Listen der jüdischen Geschäftsleute, denen man „nichts zu verdienen geben“ dürfe. Entlassung von Angestellten aus Dienstverhältnissen. Ausschluß der jüdischen Schüler und Studenten vom Unterricht in staatlichen Lehranstalten, Zulassung an private Schulen nur für eine durch numerus clausus beschränkte Zahl. Verbot nicht nur von Auslands-, sondern auch Inlandsreisen wie überhaupt des Verlassens des Wohnbezirkes. Generelle Ausgangssperre für Juden nach 10 Uhr abends in den meisten dieser Länder. Erpressung von Lösegeld nach willkürlichen Verhaftungen durch lokale Polizeistellen. Zuweilen dreimaliger Meldungszwang am Tag bei der Polizei. Ständige Hausdurchsuchungen. Abschaltung aus dem Telephonverkehr usw. Diese Maßnahmen werden in den meisten Ländern nicht etwa nur gegen besonders verdächtige Juden, sondern gegen alle generell angewandt.

Der Irak jedoch hat dieses Stadium der Verfolgungen bereits weit überschritten. Er ist bei demjenigen der Nürnberger Ausnahmsgesetze während des Hitler-Regimes angelangt. Dieser „Vorsprung“ vor den anderen arabischen Staaten hängt wahrscheinlich mit den politischen Verbindungen des Irak während des zweiten Weltkriegs mit Hitler-Deutschland (Raschid Ali) sowie mit der seit der Ermordung König Feisals ununterbrochenen Kette gewalttätiger Diktaturregime im Irak zusammen.

Diese schon 1951 gegen die Juden erlassenen Ausnahmegesetze, die im Juni 1967 und Februar 1968 bedeutend verschärft wurden, enthalten: Verbot des Verkaufs, der Belehnung, Schenkung, Versteigerung, Vermietung von unbeweglichem jüdischen Eigentum.

An Juden dürfen keine Zahlungen wofür auch immer (auch von Löhnen und Gehältern) geleistet werden, die die Höhe von 100 irakischen Dinar übersteigen. (Ein Betrag, der nicht ausreicht, um eine Familie zu_erhau-ten.) Darüber hinausgehende Beträge müssen auf Sperrkonten eingezahlt werden, von denen nichts abgehoben werden kann.

Juden ist es verboten, Schecks, Wechsel und dergleichen (auch von Schuldnern) zu übernehmen.

Diese Gesetze — verbunden mit den übrigen Einschränkungen — haben bewirkt, daß die meisten jüdischen Familien im Irak subsistenzlos sind, hungern und auf die Hilfe von solchen Juden angewiesen sind, die das Glück hatten, Barmittel zu Hause aufbewahrt zu haben. Daß auch deren Reserven unter solchen Umständen nicht lange vorhalten dürften, kann man sich vorstellen.

Diese Verhältnisse zu untersuchen, hat die UNO — die bekanntlich auch eine Abteilung für Menschenrechte hat —abgewiesen. Die Begründung, daß man sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen könne, wurde bereits in den dreißiger Jahren von manchen demokratischen Staaten angesichts der Judenverfolgungen in Hitler-Deutschland vorgebracht. Manchen von ihnen — etwa Frankreich — wurde dann eine sehr ähnliche Behandlung vom Hitler-Regime zugefügt. Alle Verletzungen der Menschenrechte gegen eine Minderheit wirken sich wie eine Seuche auf andere, auch kräftigere, schließlich aus — wenn ihnen nicht Einhalt geboten wird. Was an Stelle dessen als nötige Taktik, als „eine Hand wäscht die andere“ vorgebracht wird, hat uns noch nie vor den großen Katastrophen bewahrt, mit denen die Verfolgungen gegen die Kleinen immer geendet haben.

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