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Nutzliche Justizreform!

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Bundesjustizminister Fritz Schäffer hat die deutsche Öffentlichkeit mit der Ankündigung erfreut, demnächst werde vom Bonner Kabinett eine breitangelegte Justizreform vorgelegt werden. Durch diese Reform würden insbesondere die Stellung des Verteidigers verbessert und den Angeklagten mehr Rechte eingeräumt werden. Diese seit langem erwartete Reform werde nach den bisherigen Verlautbarungen, manches beseitigen helfen, was gerade im Ausland bei der Berichterstattung über deutsche Strafprozesse entweder nicht verstanden oder falsch beurteilt wurde. Besonders begrüßenswert ist die geplante Erschwerung zweier Mißbräuche, die gerade in letzter Zeit viel böses Blut gemacht haben, nämlich die Praxis, eine weder mit dem Strafmaß noch mit dem Delikt in Einklang zu bringende Untersuchungshaft zu verhängen, und die neuerdings besonders in Bayern geübte Praxis, den Angeklagten unter Druck zu setzen, indem man ihm die Rücksprache mit seinem Anwalt nur im Beisein des Untersuchungsrichters gestattet. So sitzt nunmehr seit einem Jahr der Spielbankkonzessionär Stöpel in Untersuchungshaft, wobei er fast acht Wochen in Einzelhaft, ohne Verbindung mit seinem Anwalt, gehalten wurde, ohne daß bisher eine Anklageerhebung erfolgt wäre! Mit dieser Justizreform würden zwei erhebliche Lücken der deutschen Rechtsstaatlichkeit geschlossen, deren Bedeutung erst richtig klar wird, wenn man die Praxis auf dem so heiklen Gebiet politischer Prozesse ansieht. Die Justizreform entspricht nicht nur einem dringenden Bedürfnis, sie kann zu einem, in ihrer ganzen Bedeutung von der westdeutschen Öffentlichkeit noch gar nicht begriffenen Ruhmesblatt des jetzt amtierenden Bundeskabinetts werden.

Die eigentümliche Praxis plötzlicher Verhaftungen hochgestellter Persönlichkeiten mit langer Untersuchungshaft, einem für die Anklagebehörde peinlichen Prozeßverlauf mit einem Urteil, das in keinem Verhältnis zu den nachgewiesenen Straftaten stand, begann 1951 mit der Verhaftung des Präsidenten des bayrischen Landesentschädigungsamtes, Philipp Auerbach. 18 Monate saß dieser einst so mächtige und manchem bayrischen Regierungsmitglied wegen seiner Detailkenntnisse über Vorgänge im Dritten Reich unheimlich gewordene Mann in Untersuchungshaft, bis man ihm im August 1952 den Prozeß machte. Von den behaupteten Unterschlagungen und Schiebungen mit Millionen blieb nicht viel mehr übrig als eine ohne Abitur gemachte Dissertation, bei der Auerbach eine falsche eidesstattliche Erklärung vorlegte. Das harte Urteil (6 Monate Gefängnis bei 18 Monaten Untersuchungshaft!) trieb Auerbach in den Selbstmord. Im Zusammenhang mit den Untersuchungen gegen Auerbach mußte damals der bayrische Justizminister Dr. Joseph Müller zurücktreten, was wohl der eigentliche Grund seiner blamablen Niederlage als Oberbürgermeisterkandidat für München im Frühjahr dieses Jahres war. *

Nicht weniger bekannt ist der Fall des Referenten von Bundeskanzler Dr. Adenauer, K i 1 b. Kilb mußte sieben Monate in Untersuchungshaft verbringen, um dann schließlich zu erleben, daß gegen ihn nicht einmal Anklage erhoben wurde.

Die Praxis, unbequeme Politiker durch lange Untersuchungshaft zu diskreditieren, ist schon von der nationalsozialistischen Justiz erfolgreich gegen Politiker der Weimarer Republik angewandt worden. An eine andere Form nationalsozialistischer Rechtspflege, nämlich die Diskreditierung Andersdenkender durch Sittlichkeitsprozesse, wird man im jüngsten Fall des moralischen Justizmordes, dem Fall des Chefredakteurs der „Süddeutschen Zeitung“, Werner Friedmann, erinnert. Friedmann, einer der profiliertesten Journalisten der Bundesrepublik, war wegen seiner freimütigen Artikel bei seinen Lesern beliebt, weniger allerdings bei den Regierungsstellen in Bonn und München. Da fügte es sich trefflich, daß ihm ein Verhältnis mit einer (von etwa 2000 und im übrigen der Zeitungsredaktion nicht unterstehenden) Verlagsangestellten nachgewiesen werden konnte. Die Verhaftung Friedmanns am 10. Mai 1960 wurde mit Verdunkelungsgefahr begründet und in den Pressemitteilungen der Justizstelle durch Angaben über Verführung Minderjähriger und Unzucht mit Abhängigen kräftig gewürzt. In dem in der vorvergangenen Woche abgelaufenen Prozeß konnten beide Vorwürfe nicht aufrechterhalten werden, obwohl die Staatsanwaltschaft keine Mühe gescheut hatte und vorsorglicherweise alle jüngeren weiblichen Verlagsangestellten — auch bereits aus dem Dienst im Süddeutschen Verlag ausgeschiedene — einem peinlichen Verhör unterzog. Dagegen mußte für das Urteil (sechs Monate Gefängnis mit Bewährung) ein Tatbestand herhalten, der, wie der „Spiegel“ richtig bemerkte, bisher noch nie bestraft wurde: Verleitung zur Kuppelei im eigenen Fall!

Wie gut, ja wie steuersparend erweist sich doch in diesem Fall die Justizreform, die auch dieser weitherzigen Ausdeutung des Kuppeleiparagraphen, wie schon vor dem Prozeß feststand, nächstens das Lebenslicht ausblasen wird! Würde nämlich der Fall Friedmann Schule machen, so würden nicht nur Jxostspielige Gefängnisbauten nötig werden, auch mancher Industriekapitän, ja vielleicht auch mancher deutsche Minister müßte Friedmann in den politischen Tod folgen!

Freilich wird auch die beste Justizreform nicht alle Mißstände beseitigen können. So bleibt die Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte erhalten, die bei manchem politischen Prozeß selbst dann eine ungute Rolle gespielt hätte, wenn, wie es etwa im Fall Friedmann geschehen ist, die Öffentlichkeit zu Unrecht eindeutige Weisungen des Justizministeriums vermutete.

Auch lassen sich grundlegende Fehler im Rechtsdenken dadurch kaum ausschalten. In dieser Richtung hat der Spielbankenprozeß in Bayern neuerdings wieder einige Probleme aufgeworfen. Bekanntlich wurden vor einem Jahr die Bayernparteiminister Baumgartner und Geiselhöringer zu Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß auf eine nicht ganz klar gestellte Frage unter Eid falsch antworteten. Nun wollte es das Schicksal, daß der Generalsekretär der CSU, Dr. Zimmermann, in eben diesem Prozeß im Eifer des Gefechts vor Gericht falsche Angaben machte. Die Berichte, die davon erzählten, Minister Strauß hätte ein Strafverfahren gegen seinen Parteifreund Zimmermann verhindern wollen, sind gewiß übertrieben, auffallend war allerdings, daß Anfang Juni der stellvertretende bayrische Ministerpräsident und Finanzminister Eberhard vor der Presse den Vorschlag machte, die Spielbankenfrage mit sofortiger Wirkung durch Kabinettsbeschluß der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen. Das Münchner Gericht, das letzte Woche den Fall Zimmermann verhandelte, hielt sich nicht daran. Es kam allerdings unter Zubilligung aller mildernden Umstände, die Baumgartner vor einem Jahr in einer vergleichweise noch unklareren Situation nicht zugebilligt wurden, zu der Überzeugung, Zimmermann habe nur einen fahrlässigen Falscheid geleistet und verurteile ihn zu vier Monaten Gefängnis mit Bewährung (Baumgartner zwei Jahre Zuchthaus!).

Dieser Vorgang regt den Vorschlag an, in der geplanten Justizreform noch einmal den Gedanken der Gleichheit aller vor dem Gesetz besonders zu verankern. Bei den geschilderten Vorgängen könnte nämlich ein Geschichts-kundiger auf den Gedanken kommen, zumindest die bayrischen Gerichte seien im 18. Jahrhundert näher an der Verwirklichung gewisser Rechtsgrundsätze gewesen als heute. Dieser Eindruck könnte aber schließlich das Ansehen der gesamten deutschen Justiz schädigen.

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