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Nutznieferin der Weltlage

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Der jugoslawische Botschafter in Paris und ehemalige stellvertretende Außenminister Aleä Bebler, einer der wichtigsten Männer in Titos Diplomatie, hielt kürzlich vor dem besonders fachkundigen Forum der Academie Diplomatique Internationale einen Vortrag über die wichtigsten Prinzipien der auswärtigen Politik seines Landes, Er hob ihrer drei hervor: die „eifersüchtige“ Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit, den Grundsatz der Gleichheit aller Völker und Nationen und die Festigung des Friedens. Auf den ersten Blick erscheint diese Formulierung inhaltsleer und unoriginell. Näher betrachtet, haben die Thesen Beblers eine durch-. aus konkrete, wirklichkeitsnahe Bedeutung und sie decken sich auch mit zahlreichen Aeußerun-gen Titos auf seiner jüngsten Orientreise. Eifersüchtig die Unabhängigkeit des Landes verteidigen heißt, sich keinem Block anzuschließen, weder dem atlantischen noch dem sowjetischen. Jugoslawien begnügt sich nicht mit einer negativen Neutralität, es strebt nach einer aktiven Rolle im'Widerstreit der Interessen, es wünscht die Auflösung beider Mächtegruppierungen. Tatsächlich wirkte dieser Zustand, träte er jemals ein, einseitig zugunsten des kommunistischen Lagen. Denn Atlantik- und Bagdadpakt samt SEATO sind vertragliche Bindungen von Staaten mannigfachen politischen und gesellschaftlichen Aufbaus, von Staaten, deren Belange vielfach auseinanderstreben und die nur durch das jeweilige Bündnis zusammengefügt werden. Das Warschauer Abkommen hingegen — das übrigens von der Belgrader Presse mit zarter Rücksicht und ohne polemischen Tonfall behandelt wird — stellt nur das nach außen sichtbare Gegenstück zur NATO dar und es ist dem Wesen nach überflüssig; die Staaten der kommunistischen Einflußsphäre Moskauer und Pekinger Observanz bleiben auch ohne völkerrechtliche Abmachungen aneinarrdergekettet und gegenüber der Außenwelt solidarisch. Das wissen Tito und seine Berater sehr wohl.1 Immerhin sind sie willens, den zusätzlichen Bindungen und der formalen Abhängigkeit von Moskau zu entrinnen, die durch ihre Zugehörigkeit zum Ostblock entstünden. Nach der Aussöhnung mit dem Kreml sind sie überdies eher imstande, der LldSSR geschätzte und gutbezahlte Freundschaftsdienste zu leisten, wenn Jugoslawien seine selbständige Position wahrt. Dem aufmerksamen Beobachter wird aber aufgefallen sein, daß die Belgrader Regierung seit bald einem Jahr in keiner internationalen Streitfrage zu „Privatbesuch“ nach Belgrad und vor allem, der Kongreß der Vereinigten Staaten bewilligte für das Fiskaljahr 1955/56 eine Wirtschaftshilfe von 95 Millionen Dollar an Jugoslawien.

Gleichzeitig jedoch schloß die Volksrepublik weit umfassendere Abkommen mit der Sowjetunion. Kurz nacheinander prasselten im heurigen Jänner die Gunstbeweise aus Moskau auf das dankbare Belgrad nieder. Die Presse feierte wenigstens die Abmachungen als Großtaten der sowjetischen Hilfsbereitschaft, die gebührend den „nur dem eigenen wirtschaftlichen VorU dienenden“ Aktionen des Westens gegenübergestellt wurden. Rußland hilft den ersten jugoslawischen Atomreaktor bauen. 110 Millionen Dollar wendet die edle Sowjetunion auf für die Eisteilung und die Einrichtung einer Anzahl von Fabriken des zivilen Produktionssektors in der FNRJ, 54 Millionen Dollar Kredite räumt sie für die Lieferung von Rohstoffen an die im Aufbau befindliche südslawische Schwerindustrie ein und weitere 30 Millionen Dollar an Krediten in Gold und Devisen. Das sind zusammen 194 Millionen Dollar. Man kann wohl sagen, daß sich die Unabhängigkeitspolitik bezahlt macht und — Punkt 2 der Thesen Beblers —, daß der Mittelstaat Jugoslawien von den Weltmächten auf der Stufe der Gleichheit behandelt wird. Was den dritten Punkt anbelangt, die Festigung des Friedens — des Friedens nach außen, denn im Inneren dauert etwa der Kirchenkampf unvermindert fort und Papstfeiern außerhalb der Gotteshäuser gelten als staatsgefährlich —, so ist man in Belgrad vorwiegend an den Zuständen im eigenen Lebensraum interessiert und bemüht sich hier tatsächlich um eine Entspannung. Gegenüber den Satelliten ist sie, auf Moskauer Geheiß, bereits eingetreten. Zuerst Polen, Rumänien und Bulgarien, dann Albanien, später Ungarn und endlich auch die Tschechslowakei haben in den sauren Apfel der Versöhnung mit dem „Verräter“ Tito beißen und dabei erhebliche Selbstkritik üben müssen. Zuletzt tat dies der tschechoslowakische Präsident Zapotocky in seiner diesmaligen Neujahrsansprache. Darüber hinaus bemüht sich Jugoslawien um Vermittlung zwischen Griechenland und der Türkei und um Reaktivierung des Balkanpaktes. Zwar hegt man in Washington und London den Verdacht, die Tätigkeit der südslawischen Diplomatie werde nicht darauf hinauslaufen, das Dreierbündnis militärisch im

offen gegen die Sowjetunion aufgetreten ist. Auf dem Boden der Vereinten Nationen etwa hat sich Jugoslawien jeweils nach Möglichkeit der russischen Haltung angepaßt.

Tito galt jahrelang als der schärfste Gegner Francos auf der diplomatischen Arena; der panische Staatschef seinerseits versäumte es niemals, auch zur Zeit des offenen Konfliktes zwischen Belgrad und Moskau, das Regime Titos zu brandmarken. Trotzdem hat der Vertreter der FNRJ für die Aufnahme Spaniens in die UNO gestimmt, wie der Sowjetdelegierte, obzwar beide sich hätten der Stimme enthalten können. Aehn-lich geschah es im Palästinakonflikt. Zunächst dachte man, Tito könne und wolle zwischen den arabischen Ländern und Israel vermitteln; denn Jugoslawien hatte niemals den antizionistisch getarnten judenfeindlichen Kurs mitgemacht, den Rußland gegen Ende der Stalin-Aera eingeschlagen hatte, und die jüdischen Würdenträger der Volksrepublik, mit Pijade und Bebler an der Spitze, hatten nie um ihre Stellung bangen müssen. Es hieß sogar, Dulles habe den südslawischen Präsidenten bei seinem Besuch auf Brioni im vergangenen November um Vermittlung zwischen Israel und dessen Nachbarn ersucht, und der Marschall habe erklärt, er werde „sehen, was sich machen ließe“. Dann erfolgte Titos Fahrt nach Aethiopien und Aegypten und plötzlich hörte man nichts mehr von einer jugoslawischen Intervention. Im Gegenteil, der Delegierte der Belgrader Regierung schloß sich im Sicherheitsrat der schärferen, von der UdSSR vorgelegten Entschließung an, darin Israel wegen der jüngsten Grenzzwischenfälle mit Syrien verurteilt wurde. Wohl dürfte die Sinnesänderung Titos auf seine Gespräche mit Nasser zurückzuführen sein: der Realpolitiker Tito hielt es für ratsam, sich die Gunst der muselmanischen Welt nicht zu verscherzen, vielmehr die für Jugoslawien so wichtige Freundschaft mit Aegypten durch Stellungnahme gegen Israel zu untermauern. Die Haltung Jugoslawiens in dieser Frage hat sich jedenfalls gleichlaufend mit der sowjetischen entwickelt.

Ein Wandel ist auch gegenüber Deutschland festzustellen. Belgrad sucht zwar keinen Konflikt mit Bonn: das würde zur europäischen Gesamtlage in einem Augenblick wenig passen, da Moskau soeben erst seine Beziehungen zur Bundesrepublik aufgenommen hat. Man legt in Belgrad großen Wert auf deutsche Ferienreisende und auf intensiven Güteraustausch mit Deutschland. Trotzdem hat sich die südslawische Regierung in der Frage der deutschen Reparationsleistungen recht unnachgiebig gezeigt und vor allem, es spinnen sich Fäden zwischen Belgrad und Pankow. Eine Anerkennung der DDR aber scheint nicht in Aussicht genommen, da sie ja den sofortigen Bruch mit der Bundesrepublik zur Folge hätte, doch sind inoffizielle diplomatische und amtliche Handelsbeziehungen zur deutschen Sowjetzone in Gang gekommen. Endlich bleibe nicht unerwähnt, daß Jugoslawien den sechsunddreißig Wahlgänge hindurch umstrittenen Sitz im Weltsicherheitsrat nur dank der Unterstützung durch die Sowjetunion erringen konnte, während der Mitbewerber, die Philippinen, von den USA vorgeschlagen wurde.

Die von Jugoslawien befolgte Taktik macht es dennoch den Westmächten unmöglich, der Balkanrepublik den Rücken zu kehren und sie ihrem Schicksal zu überlassen. Dann träte eben das ein, was vermieden werden sMl: Jugoslawien büßte seine Unabhängigkeit ein und würde einmal mehr von den Sowjets verschluckt. So bleibt den Angelsachsen nur übrig, eine nicht allzu böse Miene zum nicht allzu guten Spiel zu machen und zu versuchen, das zu retten, was von der 1948 bis 1953 mühsam erworbenen Position noch zu retten ist. Wohl darf der britische Botschafter Sir Frank Roberts bei Staatssekretär PopoviC milde Verwahrung gegen die Angriffe einlegen, die Präsident Tito auf den Bagdadpakt gerichtet hat; wohl dürfen die USA den Umfang ihrer rein militärischen Hilfslieferungen an Jugoslawien einschränken. Doch Vizepräsident Kardelj wurde in London höflich empfangen, Feldmarschall Lord Montgomery kam Sinne des Anschlusses an die NATO aufzuwerten. Im Gegenteil, die Bestrebungen Belgrads zielen dahin, die Balkanentente auf das politisch-wirtschaftliche Gebiet abzudrängen, die aus Delegationen der drei Parlamente zusammengesetzte Konsultativversammlung ins Leben zu rufen und Griechenland, ja die Türkei ins neutrale Lager hinüberzulotsen. Befragt, weshalb Jugoslawien, bei seiner Paktfeindschaft, die Biilkanentente wiederzuerwecken gedenke, antwortete der Sprecher des Belgrader Außenamtes, dieses Bündnis sei eben „etwas anderes“, nämlich ein Instrument zur Festigung des Friedens ... Die Regierungen zu Athen und Ankara haben die Belgrader Anregungen durchaus freundlich aufgenommen, denn es behagt ihrem Selbstgefühl eher, sich auf dem neutralen Belgrader Boden auszusprechen und vielleicht gar auszusöhnen, als dies unter der Aufsicht der Weltmächte zu tun. Die gewagte Außenpolitik Titos heimst derzeit zweifellos nur Erfolge ein. Wie immer das Experiment ausgehen möge, Jugoslawien zählt heute zu den geschicktesten Nutznießern der internationalen Konjunktur.

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