6754300-1967_40_07.jpg
Digital In Arbeit

Oberst Terans „Fehler“.

Werbung
Werbung
Werbung

Stellen wir die drei Verhafteten vor: Es waren dies der französische Philosoph Regis Debray, der Anglo-chilene George Roth und der Argentinier Bustos. In den ersten Aussendungen der bolivianischen Behörden hieß es, die drei Ausländer seien bewaffnet im Kampf gegen die Re-gierungstruppen gefallen. In der Tat wurde Regis Debray bis zum 21. Juni in strengster Geheimhaft gehalten. Er beteuerte später, daß er in den ersten Tagen mehrfach gefoltert worden sei. Diese Anklagen dürften der Tatsache entsprechen. Die bolivianische Regierung bezeichnete den Franzosen als den Instruktor der Guerillas. Aber diese Beschuldigungen kamen zögernd und wurden ohne richtige Überzeugung vorgebracht. Weder die französische Botschaft in La Paz noch die sofort herbeigeeilte Mutter — Gemeinderätin von Paris, Demokratisches Zentrum — durften

den Häftling vorläufig besuchen. Lediglich ein amerikanischer Prälat, Msgr. Kennedy, verwandt mit der Familie des früheren US-Präsidenten, erhielt die Genehmigung zu einer kurzen Aussprache.

Der „Philosoph“ wurde auch einmal im Häftlingsanzug der Weltpresse vorgestellt. Dieses Schauspiel stieß in Frankreich auf ernste Proteste. Französische Juristen stellten mehrfache Verletzungen der bolivianischen Verfassung fest, während der Generalpräsident von Bolivien, Barrientos, über die Mörder klagte, daß sie die Kinder Boliviens ermordeten. Am 17. Mai bestätigte das Staatsoberhaupt von Bolivien: „Regis Debray ist ein gewöhnlicher Verbrecher, und ich werde die Einführung

der Todesstrafe verlangen.“ Der bolivianische Oberst Teran, erster Kerkermeister Regis Debrays, bedauerte öffentlich einen Fehler: Er habe den Gefangenen nicht sofort erschießen lassen, wodurch die Welt sich mit diesen Vorgängen beschäftigen konnte.

Die Anklage wirft Regis Debray vor, der Organisator der südamerikanischen Guerillas, ein Agent Fidel Castros und der Verbindungsmann zum geheimnisumwitterten Che Guevara zu sein. Der Staatsanwalt beantragte 30 Jahre Kerker, doch wurde der Prozeß vorige Woche vertagt.

Ein Pariser Gewächs

Wer ist nun dieser Regis Debray, der über Nacht Weltberühmtheit erlangte? Ohne Zweifel ist er das vorzügliche Produkt eines bestimmten Pariser Milieus, in dem seif Kriegsende zahlreiche Studenten und junge Akademiker eine Erfüllung finden. Es wäre zu billig, diese Personen schlechthin als Kommunisten einzustufen. Ihr Denken bewegt sich an den Nahtstellen zwischen der Linientreue der Kommunisten, dem Anarcho-Syndikalismus und dem Trotzkysmus. Zahlreiche dieser Jünger warfen sich begeistert in die Arme der Chinesen, und das rote Büchlein Maos gilt ihnen als das genialste Werk einer proletarischen Revolution.

Die Revolution der Revolution wegen, ein permanenter Aufstand gegen die satte und feige bürgerliche Gesellschaft, das geistige Vakuum, in dem sich die Jugend Westeuropas bewegt: hier finden wir die Wurzeln des Denkens Regis Debrays und seiner Kameraden.

Der Maspero-Kreis

Eine der Schlüsselfiguren dieser Bewegung ist der Pariser Verleger Frangois Maspero, der den jungen Linksintellektuellen die literarische Plattform geschaffen hat. Für den Verleger wie seine Gesinnungsfreunde bedeutete der algerische Krieg einen Wendepunkt in ihrem Denken. Sie unterstützten vorbehaltlos die aufständischen algerischen FLN. Maspero, der selbst Kommunist war, klagte seine Partei öffentlich an, daß sie ein geringes Interesse gegenüber dem algerischen Drama zeige. Er gründete die Monatszeitschrift „Partisan“, die allen Vertretern der unterentwickelten Länder zur Verfügung stand. Kein Ereignis hat jedoch die Gemüter derartig erregt, wie die kubanische Revolution. In unzähligen Veröffentlichungen pries Maspero die Tugenden der „Bärtigen“. Ob Sartre

oder Simone de Beauvoir, ob Debray, für sie wurde Havanna das Mekka, in dem die Weltrevolution ein neues Refugium gefunden hatte. Und alle, alle kamen oder fühlten sich mit diesem neuen Zentrum des Heils verbunden wie der Vietnamese Giap, der Sieger von Dien Bien Phu, der später ermordete US-Negerführer Mal-

colm X, der marokkanische Gewerkschaftsboß Ben Barker, der in Paris entführt wurde und seither verschwunden ist, der Italiener Danilo Dolci und die intransingenten Männer aus Algerien. Es ist ein Aufstand gegen die internationale Politik Moskaus; der Wunsch wird lebendig, den Leninismus-Marxismus in der Reinheit der ersten Tage zu finden.

Revolution in der Revolution

Regis Debray fand früh die Aufmerksamkeit Fidel Castros und wurde ein glühender Bewunderer des eigentlichen Revolutionstheoretikers

Che Guevara. Die Früchte dieser Erkenntnisse und Gespräche fanden ihren Niederschlag in einem Buch „Die Revolution in der Revolution“, eine Auflage mit 20.000 Exemplaren war sehr schnell vergriffen. Regis Debray analysiert in seinem Werk die Taktik des Guerillakampfes in Südamerika. Eine politische Ideologie wird nirgends geboten.

Regis Debray spricht sehr oberflächlich von einem Marxismus-Leninismus, er beschreibt einen Sozialismus, der die Kulturrevolution der Chinesen ebenso anerkennt wie den arabischen Sozialismus. Das Hauptthema Debrays lautet: Eine Volksarmee ist der Motor der Revolution, der Kern einer Partei. Das Primat einer Partei wird abgelehnt, die Einrichtung von Politkommissa-ren ist entschieden zu verneinen. Der bewaffnete Kampf gegen die bewaffnete Macht des Bürgertums schafft die sozialistische Revolution. Die Klassenauseinandersetzungen sind von Kontinent zu Kontinent verschieden, für Südamerika sei das kubanische Vorbild maßgebend. In den ländlichen Gegenden sind mobile Einsatztruppen zu schallen. Regis Debray nennt dies „Heimstätten der Subversion“. Von, dort aus setzt der totale Krieg der Klassen ein.

Die Reise nach Bolivien

Der Verfasser wurde vom Pariser Verleger und einer mexikanischen Zeitschrift „Sucesos“ nach Bolivien entsandt, allerdings mit sehr geringen Geldmitteln ausgestattet. Er mußte einen Teil der Reisespesen selbst aufbringen. Für die mexikanische Zeitschrift, ein linksstehendes Wochenmagazin, sollte er Reportagen über die Guerillas verfassen, der Pariser Verleger erwartete ein Manuskript über den Bürgerkrieg in Südamerika. Regis Debray reiste mit einem französischen Paß nach Bolivien ein und ließ sich ordnungsgemäß bei der bolivianischen Regierung als Journalist akkreditieren. Fest steht, daß Regis Debray dort die Lager der Partisanen besuchte. Er soll auch mehrfach Che Guevara getroffen haben. Jedenfalls traten die bolivianischen Partisanen am 23. März zum Angriff gegen die Regierungstruppen an. Die Art des Kampfes zeigt, daß Meister des subversiven Krieges am Werke sind. Nach Meinung der Castro-Anhänger ist Bolivien der Staat, der sich mehr als Venezuela oder Guatemala für einen Staatsstreich eignet.

Der Fall Regis Debray macht deutlich, daß die Massen Südamerikas in Bewegung geraten sind. Die Alternative zu den marxistisch-leninistischen Theorien eines Che Guevara und Regis Debray wäre ein fortschrittlicher sozialer Katholizismus, wie er in Chile Ausdruck fand. Aber die christlich-demokratischen Parteien Europas in ihrer Sattheit vermeiden selbst jede moralische Unterstützung ihrer Brüder, die gegen die gewaltigen Gefahren eines umfassenden Revolution kämpfen. Aber vielleicht wacht Europa einmal auf, und dann sind die Bärtigen bereits unter uns.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung