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ODER CONRAD?

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In der österreichisch-ungarischen Monarchie stellte das Regieren an die Krone, an die Minister und Politiker außergewöhnliche Anforderungen, die sich Im Krieg steigerten. Eine treffliche Vorstellung davon vermittelt der bei Böhlau erschienene VII. Band der „Studien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie" von Christoph Führ: „Das k. k. Armeeoberkommando und die Innenpolitik in Österreich 1914—1917", zwar ein nur Zisleithanien betreffender Ausschnitt, doch inhaltsreich genug, um ein bisher weniger erforschtes Kapitel der ersten Kriegsjahre aufzuhellen.

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In der österreichisch-ungarischen Monarchie stellte das Regieren an die Krone, an die Minister und Politiker außergewöhnliche Anforderungen, die sich Im Krieg steigerten. Eine treffliche Vorstellung davon vermittelt der bei Böhlau erschienene VII. Band der „Studien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie" von Christoph Führ: „Das k. k. Armeeoberkommando und die Innenpolitik in Österreich 1914—1917", zwar ein nur Zisleithanien betreffender Ausschnitt, doch inhaltsreich genug, um ein bisher weniger erforschtes Kapitel der ersten Kriegsjahre aufzuhellen.

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Am 21. Oktober 1916 wurde Ministerpräsident Graf Stürgkh das Opfer eines Attentates, am 21. November starb Kaiser Franz Joseph I., am 2. Dezember übernahm Kaiser Karl I. von Erzherzog Friedrich das Armeeoberkommando (A. O. K.), und am 1. März 1917 schied Conrad vom Posten des Chefs des Generalstabes. Die Monate um die Jahreswende 1916 17 bedeuteten somit eine klare Zäsur in der Kriegführung. Führ befaßt sich eingehend unter Heranziehung der wichtigsten Literatur und gewissenhafter Erschließung neuer Quellen mit der Politik gegenüber den Tschechen, Polen, Ruthenen, Südslawen und Italienern Österreichs, mit den Maßnahmen gegen Hochverrat und Desertion, mit den Versuchen des A. O. K., den Wirkungskreis der Militärgerichte zu eriVjeitewfc,, mit dez Versorgung: der Armee und des Hinterlandes, schließlich mit militärischen ‘Anträgen auf Staats-, Verwaltungs- und Schulreformen. Die Zergliederung dieses Problemkataloges, der sich auch auf das Ministerium des Äußeren, das Kriegsministerium und fgllweise auf Ungarn auswirkte, öffnet Einblicke in die verwickelten Verhandlungsmethoden zwischen der k. k. Regierung und dem A. O. K.

Im A. O. K. vertrat neben Conrad als dem Leiter der militärischen Operationen Erzherzog Friedrich allgemeine und bündnisbedingte Agenden, über der Heeresleitung und dem österreichischen Regierungschef glättete als höchste Instanz der Monarch, der zugleich als König von Ungarn die transleithanischen Gerechtsamen zu wahren hatte, zahlreiche Spannungen in den Auseinandersetzungen seiner hohen Würdenträger.

In der Abwicklung der mitunter krisenreichen Vorkommnisse präsentierten sich der k. k. Regierung und dem A. O. K. grundverschiedene Verfahren. Conrad schlug die Schlachten, er trug die Verantwortung für die Einsatzfähigkeit der Truppen, denen durch zu milde Gesetzhandhabung und durch Desertionen politisch verhetzter Mannschaften keine nicht zu rechtferti-’ genden Verluste zugemutet werden durften, ihm oblag es, in den Kampf- zont’n die Bevölkerung vor Plünderungen und Exzessen zu schützen; dies erforderte Sofortmaßnahmen im EinzelfaU,. und d§ v Wunsche de . Wiener Regierung nach zeitraubendem Sammeln mehrerer - im- Detail ‘ erhobener Vörfälle vermochte das A. O. K. nicht zuzustimmen. An den Fronten herrschte ausgesprochener Notstand, die Armee rang gegen die Feinde am Schlachtfeld und gegen die Widersacher in Etappe und Hinterland, weshalb das A. O. K. eine Verschärfung des Ausnahmezustandes beantragte und die k. k. Regierung ersuchte, sie möge bei Kompetenzzweifeln „in erster Lihie die Interessen der Armee berücksichtigen“.

Bedenken gegen Gesetzesänderungen trachtete das A. O. K. durch juristisch vertretbare Interpretationen der bestehenden Gesetze zu zerstreuen, doch versandete für gewöhnlich der weitläufige Papierkrieg der militärischen und zivilen Juristen.

Das Kabinett Stürgkh hielt seine Wacht nur an der einzigen Front des Burgfriedens, es amtierte ferne dem Kanonendonner am Schreibtisch, es hatte Zeit auch für längere Überprüfung der Ereignisse, die ge schäftsordnungsgemäß meist mehrere Stellen des Staatsapparates beschäftigten. Conrad und Stürgkh hatten viele gleiche Aufgaben, doch nicht gleiche Arbeitsmöglichkeiten, so daß Meinungsdifferenzen über einzuschlagende Wege zwangsläufig eintraten.

Wie erwartet, rief der Krieg bald nach inneren Reformen. Vorschläge kamen sowohl vom A. O. K. als auch vom Kommando der Südwestfront unter dem Erzherzog Eugen, dessen Generalstabschef General Alfred Krauß einer der Hauptwortführer der Reformbestrebungen war. Im A. O. K., wo alle Anregungen zur Hebung der Wehrkraft zusammenliefen, war Conrad bestrebt, die Entwürfe zu koordinieren. Ende 1916 erhoffte man nicht ganz unberechtigt einen Friedensschluß, Gedanken an Reformen waren somit keineswegs verfrüht, und für den Chef des Generalstabes als überzeugten Be jäher der Großmacht an der Donau konnten Neuerungen, die das Ge- fügerupd den Geist .-der -Wehrmacht zu stärken versprachen, nicht rasch ‘ genug etntrefen,’ bekanntlich war es dann 1917 18 zu spät. In die Reform- plä’ne waren das Schulwesen, Autonomiebeschränkungen, Einführung der Kreisverfiassung, Überwachung des Klerus, Reorganisation der Beamtenschaft, Beibehaltung der Militärgerichte im Frieden für bestimmte politische und militärische Delikte, ein Antimilitaristen- und ein Abwehrgesetz sowie die Einrichtung einer Grenzschutzzone aufgenommen.

Conrads Planungen, die sich überwiegend auf Zisleithanien bezogen, galten auch der Neugestaltung des gesamten 12-Völker-Reiches und begünstigten die Minderheiten. Der Feldherr bevorzugte, wie aus seinem Nachlaß hervorgeht, eine Verfassung, „die den Völkerschaften ein nationales Ausleben auf ethnischem, kulturellem, wissenschaftlichem und künstlerischem Gebiet gewährleistet, auf politischem Gebiet jedoch alle Kräfte für ein gemeinsames Ziel zusammenfaßt“.

Der Autor Christoph Führ aner-

kennt, daß das A. O. K. über den Krieg hinaus „in weiten Dimensionen dachte“, glaubt aber in den Conradschen, isogar für national einheitliche Staaten beherzigenswerten Ideen keine brauchbare Grundlage für das Zusammenleben der Völker finden zu können. Da die Organisationsprinzipien von Wehrmacht und Staat harmonisch seih müssen, war es für Conrad naheliegend, zum Beispiel eine gesetzliche Verankerung der deutschen Sprache als gemeinsame Vermittlungssprache aller Reichsteile anzustreben, wie sie in Österreich übrigens, von einigen Ausnahmen abgesehen, schon üblich war und wie sie sich beispielgebend in der k. k. Wehrmacht erprobt hatte.

Germanisierungstendenzen kannte der Chef des Generalstabes nicht, in Einzelheiten bewiesen dadurch, daß die Pflege der Muttersprache bei den Truppen obligatorisch war oder daß die Eidesformeln in zehn Sprachen Vorlagen oder daß auf den vom Generalstab hergestellten „Spezial- karten“ der ganzen Monarchie neben deutschen auch zwei- und sogar dreisprachige Ortsbezeichnungen der nötigen allgemeinen Verständlichkeit dienten. Staatssprachen sind in der Staatenwelt keine Seltenheiten.

Conrads staatspolitisches Denken überlegend, hält Führ nicht viel von einem innenpolitischen Weitblick und politischen Augenmaß des Feldmarschalls, während andere Beurteiler beim G eh er als t ab s ch e f das „Erkennen der größten militärischen und strategischen Zusammenhänge“ (Glaise), die „einzigartige Vereinigung der Staatspolitik mit der Landesverteidigung“ (Schaposchnikow), die „unbestechliche Klarheit seines politischen Gefühls“ (Guerrero) und den „Adlerblick des staatsmänniseh planenden Feldherrn“ (Franzei) betonen.

Zieht man eine Bilanz Stürgkh- Conrad, ergibt sich die Tatsache, daß das A. O. K. in seinem Notstand von der k. k. Regierung erwartete, sie werde mit dem dem Notstand Rechnung tragenden § 14 manche anders nicht behebbare Anliegen der Armee erfüllen. Graf Stürgkh verfügte mit dem § 14 über den Schlüssel zu weitgehendem Absolutismus, er machte jedoch nach Erlassung mehrerer Ausnahmegesetze bei der Mobilisierung 1914 nur sparsamen Gebrauch von ihm und beseitigte bloß in wenigen vom Militär aufgerollten Fällen im Wege kaiserlicher Verordnungen gesetzliche Hindernisse, auf die er vor allem in den Staatsgrundgeset- zen und in der Militärstrafprözeß- ‘ Ordnung hinwies. ErJrtürcbtete- doei Ausdehnung des Ausnahmezustandes eine Schädigung der innereh Stimmung, die er durch Amnestien zu heben wähnte, er scheute Risiken, denen sich Conrad an der Front nicht entziehen durfte, wo die Strenge mit Zunahme der Kriegslasten eher zu intensivieren war.

Kaiser Franz Joseph erklärte kurz vor seinem Ableben, er warte noch drei Monate, dann mache er aber Schluß mit dem Krieg. Mit solcher, gewiß in die Stürgkh-Ära zurückreichender Abneigung gegen eine Kriegsverlängerung war wohl die Inangriffnahme einschneidender Gesetzesänderungen noch während der Schlachten wenig vereinbar, und an Ungarns Rechtslage gab es kein Rütteln. Ob durch diese kaiserliche Haltung Graf Stürgkh zu behutsamer Ausübung seiner Vollmachten bewogen wurde, wird für immer ein Geheimnis bleiben.

Auf jeden Fall liefen sich mit dem Hinziehen des Krieges Friedensordnungen um so mehr fest, als es in Österreich-Ungarn kein allmächtiges Kriegskabinett gab, und so wurde es mit der Zeit undurchführbar, im Existenzkampf der Mcharchie alle Kräfte der Völkerschaften maximal zu vereinigen: „Dies ist bekanntlich Stürgkh nicht geglückt.“ Führ macht Conrad in gleichem Sinne irgendwie mitschuldig, er habe durch seinen .innenpolitischen Kurs die Ruhe im Inneren und die Haltung der Armee gefährdet Eine derartige Gefährdung — wie sie Graf Aehrenthal in der Außenpolitik dem Chef des Generalstabes 1911 zugeschrieben hatte — war indessen im Inneren ebenso undenkbar, da Conrad politisch nur ein beratendes, niemals aber ein stimmberechtigtes uhd mitentscheidendes Organ war, so daß der Primat der Politik nie vom Chef des Generalstabes geschmälert werden konnte.

Die Kriegsliteratur warf dem A. O. K. vor, es habe eine Militärdiktatur etabliert und mit „Willkür“ seine Kompetenzen überschritten. Der Autor stellt richtig, daß von einer Militärdiktatur zu reden eine „Verzerrung“ wäre, daß eine solche Diktatur nicht existierte, daß „Joseph Redlichs (diesbezügliche) Behauptung haltlos“ sei, daß das A. O. K. keine unbeschränkten Vollmachten besaß und daß es innenpolitisch, was auch für Conrad gelten müsse, keinen auffallenden Einfluß ausübte. Die Befugnisse des A. O. K. waren einschließlich der Heimatgebiete durch am 5. Juli 1914 von nicht bekannt gewordenen, sich wahrscheinlich auf militärische Fragen erstrek- kenden allerhöchsten Vollmachten ergänzte Dienstvorschriften fixiert. Sollte die Heeresleitung mit der Verhaftung des Dr. Kramar am 21. Mai 1915 wirklich „in jeder Beziehung seine Kompetenzen überschritten“ haben, mag dazu die Rücksicht auf eine unmittelbare Untergrabung der Truppendisziplin gedrängt haben, da . sich zu dieser Zeit bereits die Keimzellen ausländischer Hochverratstützpunkte abzeichneten, mit denen Dr. Kramar in Verbindung stand. Daß sich dieser Politiker des „Hochverrates schuldig gemacht“ hätte, konnte nicht in Abrede gestellt werden.

Graf Stürgkh, der gar nicht selten Minister und Statthalter den Anträgen des A. O. K. zustimmen sah und gegen dessen Amtsführung sich die ersten Widerstände im Herrenhause regten, fiel tragisch durch Mörderhand, und so wurde sein Wirken von 1914 bis 1916, noch im Jahr 1952 als das einer „Schattenfigur“ bezeichnet, vor der Nachwelt verdunkelt. Feldmarschall Conrad, der natürlich auch seine Gegner hatte, wurde enthoben, und der Zerfall der Monarchie beeinträchtigte seinen Ruf, auch seine Leistungen gerieten lange in das Zwielicht der Geschichte, nach seinem Tode charakterisierten ihn selbst ernst zu nehmende Kritiker als non-valeur.

Stürgkh und Conrad verfolgten dasselbe Ziel: „Sammlung aller gutgesinnten patriotischen Kräfte", keiner von beiden hatte einen „Völkerkerker“ im Sinn, sie waren ganz im Gegenteil auf das Wohl der Nationalitäten eifrig bedacht und um den Fortbestand des Reiches ehrlich bemüht.

Vergegenwärtigt man sich das Kriegsbild von Anfang 1917, wird man zugeben müssen, daß der als gewissenhafter Beamte geschätzte österreichische Ministerpräsident ungeachtet persönlicher Anfeindungen und. bedrohlicher Strömungen bis zu seinem letzten Atemzug in dem ihm anvertrauten Bereiche — nicht zuletzt dank den eingetretenen Waffenerfolgen — Ruhe und Ordnung aufrechterhalten, daß der Chef des Generalstabes als der „genialste Kopf im Weltkrieg“ (Gouraud) Österreich-Ungarn trotz empfindlicher Rückschläge im Ringen gegen Übermacht nach unleugbaren, mit den verbündeten errungenen Erfolgen auf den Kriegsschauplätzen in vorteilhafter strategischer Lage und territorial im Wesen intakt seinem Nachfolger übergeben hat.

Stürgkh und Conrad haben Unter ungünstigen Voraussetzungen das Möglichste vollbracht, und das Verdienst am Erfolg für Österreich in der ersten Kriegshälfte wäre dem Minister und dem General gemeinsam zuzuschreiben. Daß diese Erkenntnis nach einem halben Jahrhundert wachgerufen wird, ist den Forschungen Christoph Führs zu verdanken.

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