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„Öffnung nach vorne“ erhofft

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Die Kirche, voll Optimismus, sendet ihre Laien in die Welt. Sie mögen in ihrer Lebenssphäre in politischem und wirtschaftlichem Rahmen als Christ wirken. Der Laie besitzt künftighin das Vertrauen der Hierarchie und tritt — so erwartet es die Kirche — entsprechend den Weisungen des Konzils und des Dekretes über das Apostolat einer Gesellschaft gegenüber, die eine umfassende Missionstätigkeit benötigt.

Allerdings erhofften die französischen Katholiken vom Konzil weitere Förderung, eine klare Weisung, und sie sind eher der Meinung, daß zwar bestehende Tatsachen sanktioniert, die Öffnung nach vorne aber,

dort, wo die geistigen Entscheidungen fallen, unterlassen wurde. Jahrelang hatten die bedeutenden Theologen Frankreichs, ein Congar, ein Lubac, für diese Freiheiten gekämpft, um neue Begriffe gerungen und Theorien konfrontiert, die der Gegenwart entsprechen. Das Schema XIII, die Kirche in der modernen Welt, fand die eifrigsten Vorkämpfer in Frankreich, und die Schulen von Paris und der Universität Löwen unternähmen wichtige Vorarbeiten, die es dem Konzil gestatteten, in Offenheit die Stellung der Kirche gegenüber allen derzeitigen Erscheinungsformen der Welt zu fixieren. Es wurde allerdings mit

Bedauern festgestellt, daß gerade in diesem wichtigen Anliegen die französischen Vorkämpfer auf Mißverständnisse stießen und aus dem deutschen Sprachraum andere Vorstellungen entstanden, die traditionellere Bereiche ansprachen.

In Frankreich waren diese Theologen zahlreichen Verdächtigungen ausgesetzt, die solche Forscher jahrelang zum Schweigen brachten. Der Jesuit Lubac mußte die Redaktion einer von ihm geleiteten theologischen Zeitung aufgeben, und er, wie seine Mitkämpfer, zogen sich schweigend zurück. Eine ruhigere Überprüfung dieser Vorgänge in der Zeit nach dem Konzil erlaubt die Feststellung, daß ein besonderes Klima Rom von Paris trennte und zu diesen Konflikten führte. Ein wohl unbeabsichtigtes, verschiedenartiges Denken, das in einer verstärkten Latinität ihren Ausdruck fand, stieß auf Kategorien, die, aus anderen Gebieten kommend, die Vorstellung von Autorität und der Rolle des Laien in einem differenzierten Licht darstellten.

Das Konzil brachte die Überlegung, den Dialog, den ersehnten Kontakt. Die Ergebnisse des Zweiten Vatikanums wurden in Frankreich trotzdem als eine Art Erlösung gefeiert. Großzügigere Gedanken ersetzten die bisherigen konventionellen Vorstellungen. Einer der reformfreudigsten Künder der französischen Kirche erklärte: Entweder verschwinden die Dekrete und Schemata in den Archiven, oder das Konzil beginnt in unseren Tagen.

Das Werk Chardins

Die Freiheit des Forschens und der Wissenschaft wurde uneingeschränkt gewährt. Ein französischer Denker war es, der ein System schuf, in dem das Christentum mit den Erkenntnissen der naturwissenschaftlichen Forschung in Einklang liegt. In einer kaum zu übersehenden Fülle von Publikationen wurde das Originellste, was Frankreich in der Auseinandersetzung des 20. Jahrhunderts bietet, kommentiert und klassifiziert. Dem Werk Teilhard de Chardins sagt man die Öffnung zu jenen Kreisen naoh, die gläubig, doch eine wissenschaftliche Fundierung und spekulative Antwort auf die Frage des Daseins verlangen. Allerdings sei festgestellt, daß sein Einfluß auf das Denken des französischen Katholizismus zeitweise überschätzt wurde. Selbst sein Orden zieht bei aller Anerkennung an Stelle der enthusiastischen Bejahung die nüchternen Prüfungen vor. Die Teiihard’sche Revolution verläuft bereits in ruhigeren Bahnen. Aber nach wie vor ist die Befruchtung, die von diesem Denker ausgeht, außergewöhnlich, besonders im französisch sprechenden Teil Afrikas, wo der Präsident und Dichter Senghor ein glühender Verfechter der Thesen des Jesuitenpaters wurde.

Wir stellen fest, daß eine positive,

Photo op eine neue Bewegung, alle Glieder des katholischen Frankreichs erreicht. Ein ernstes Anliegen mag die Auseinandersetzung mit dem Atheismus sein, der neue Werte aufstellt und einen Persönlichkeitstyp schafft, der eine Zivilisation besonderer Art erkennen läßt. In dieser Welt, jenseits von Gott, sucht die Kirche durch die Erneuerung der christlichen Perspektiven eine Lösung vorzuschlagen. Sie ist sich bewußt, daß wohl pastorale Voraussetzungen zu schaffen sind, daß sie darüberhinaus den neuen Menschen und Priester prägt, um solchen Forderungen nachzukommen.

„Der neue Mensch, der neue Priester, in einer erneuerten Gemeinschaft.“ Kein Begriff taucht so oft auf wie dieser, sobald die Verwirklichung der Konzilsbeschlüsse erörtert wird.

Die große Unruhe

Wir sprachen von den Hoffnungen, den Erwartungen; spüren wir auch die Unruhe, mit der dieser Übergang in die Epoche der Elektronentechnik und der Raumschiffahrt beginnt? In der pluralistischen Ordnung zeugt eine Minderheit tiefgreifende Reformen, denn um diese handelt es sich, Wellen, die auf- und absteigen, sämtliche Bezirke erfassen und über Zeit und Raum die täglichen Ereignisse an neue Forderungen bindet. Der kaum zu überhörende Ruf nach der Geburtenregelung bewegt Klerus und Laien auf das tiefste. Beinahe eine Million Abtreibungen im Jahr bilden schwerste moralische und gesundheitliche Schäden. „Das schwarze Buch“ dieser Verbrechen, wie es die katholische Jomalistin Marcelle Auclair nennt, beleuchtet die geistige Verwirrung, die neben soziologischen, wirtschaftlichen und juridischen Problemen die Ursprünge des Lebens schlechthin in Frage stellen. Der Schrei unzähliger Familien, die Angst der Mütter, wurden in ihrer ganzen Nachhaltigkeit erkannt und finden eine Antwort in der Begegnung zwischen dem Individuum, der Kirche und den wissenschaftlichen Erkenntnissen, die den notwendigen Ausgleich herstellt.

Ohne Zweifel begründet die Kirche neue Situationen. Sie überwindet dabei die Unruhe, in einem gewissen Augenblick zu versagen, und stützt einen klaren Optimismus. Die Kirche Frankreichs kennt ihre positive Rolle im Gefüge der Nation. Sie besitzt genügend Reserven an der Basis, eine junge Intelligenz, die Gott in jeder Erscheinung feiert, und sie weiß, daß die Zeit der Triumphe und der Folklore der Vergangenheit angehört. Die rauschenden Feste sind eine Erinnerung.

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