„Ökonomisch indizierte” Euthanasie
Das Thema „Sterbehilfe” wird vermehrt diskutiert - hinter vorgehaltener Hand auch unter dem Aspekt der explodierenden Kosten im Gesundheitswesen.
Das Thema „Sterbehilfe” wird vermehrt diskutiert - hinter vorgehaltener Hand auch unter dem Aspekt der explodierenden Kosten im Gesundheitswesen.
Wir stehen vor einer neuen Ära der Sterbehilfe, ... die gesellschaftliche Antwort auf knapper werdende Ressourcen prophezeit der Wiener Wissenschaftsjournalist Werner Wanschura in seinem 1996 erschienenen Buch „Töten dürfen?” (siehe dazu FURCHE 2/97). Die Hemden würden künftig immer enger sitzen, nicht zuletzt deshalb, weil die Gruppe der Alten immer größer werde und sich „immer breiter” mache. Der zunehmende ökonomische Druck werde zu einer breiten Akzeptanz der Euthanasie in der Gesellschaft führen, vordergründig freilich unter einem humanistischen Emblem. Die Argumentation hierfür, orakelt Wanschura, wird etwa so klingen: „Viele alte Menschen liegen in Pflegeheimen, bei teilweise extrem' reduzierten Lebensäußerungen ... Ist das ... - ,vegetierende', pflegebedürftige Menschen, die ... kein Bewußtsein von sich als Mensch mit Zukunft, Identität, Wünschen und Hoffnungen haben - noch Sehenswertes' Leben? Soll man hier nicht sagen dürfen: Auch Pferden gibt man den Gnadenschuß? Darf man diese Wesen nicht von ihrem Leid ,er-lösen'?”
Keine Heilung mehr
Betrachtet man die Meldungen diverser .....vorwiegend kirchlicher -
Pressedienste der letzten Monate, so scheint der von Wanschura vorhergesagte „Dammbruch in der Euthanasiefrage” in Australien, Amerika, aber auch in einigen Ländern Europas tatsächlich bevorzustehen beziehungsweise bereits erfolgt zu sein:
■ Australien: „Im australischen Nord-Territorium wurde am 25. Mai 1995 ein Sterbehilfe-Gesetz verabschiedet, das als eines der freizügigsten der Welt gilt. Danach ist allen Australiern der Region gestattet, um aktive Euthanasie, also die Tötung auf Verlangen, nachzusuchen, wenn zuvor drei Ärzte unabhängig voneinander bestätigt haben, daß es keine Heilung gibt.” (Kathpress, März 1997)
■ USA: „In den nächsten Monaten wird eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes erwartet, ob' sich das Recht auf einen ärztlich begleiteten Selbstmord aus der amerikanischen Verfassung ableiten läßt. Für den Fall, daß der Gerichtshof die Frage bejaht, hat der US-Kongreß mit überwältigender Mehrheit staatliche Zuschüsse für ärztlich begleiteten Selbstmord und andere Formen der Sterbehilfe untersagt.” (Kathpress, April 1997)
Ende Juni entschieden die Richter mit der Begründung, „niemand habe das Recht, bei einem Selbstmord zu helfen” gegen die Sterbehilfe, stellten jedoch fest, daß die Unterscheidung zwischen dem „Sterbenlassen und der Beihilfe zum Sterben eines Kranken ein wichtiger Unterschied” sei. (Kath-J press, Juni 1997)
■ Niederlande: „Niederländische Ärzte beenden immer öfter das Leben ihrer Patienten ohne deren ausdrückliche Zustimmung. Nach Regierungsangaben verzichteten die Mediziner 1995 über 14.000 Mal auf die Behandlung schwerkranker Personen oder stellten ihre Bemühungen in der Absicht ein, dadurch das Lebensende zu beschleunigen.
Eine Diskussion über ethische Probleme der 1994 legalisierten Sterbehilfe werde in den Niederlanden nicht mehr geführt, berichtet der Vizepräsident des Niederländischen Ärzteverbandes, Krijn Haasnoot. 90 Prozent der Bevölkerung betrachten die Tötung eines Patienten als normales medizinisches Handeln. Ärzte, die sich an der Euthanasie nicht beteiligten, müßten mit beruflichen und juristischen Schwierigkeiten rechnen.” (Evangelischer Pressedienst für* Osterreich = epd 0)
■ In England werden über 60jährige nicht mehr an die Dialyse (Blutwäsche) gelassen, wenn sie an Niereninsuffizienz (Nierenversagen) leiden. „Wenn das ein Kassenpatient ist”, zitiert AVanschura den Düsseldorfer Universitätsprofessor Ingo Füssen, „dann drückt man ihm sozusagen die Hand und sagt ihm: Jetzt stirb mal schön!' Die Lebenserwartung von Patienten in diesem Alter mit dieser Krankheit beträgt nur noch drei Jahre und da sagt man, daß dafür keine Mittel mehr vorhanden sind. Natürlich, wenn einer privat Geld hat, dann kann er es sich richten!”
■ In Deutschland sieht jeder zweite Arzt „einen Bedarf zur offenen Diskussion der Situationen, in denen Patienten unter bestimmten Umständen getötet werden dürfen”, ergab eine Umfrage des Hamburger Magazins „Stern”. Bei rund einem Drittel der 900.000 jährlichen Todesfälle in Deutschland stünden die Ärzte vor der Entscheidung: „Weitermachen oder Aufhören?” „Dabei spielen offenbar auch die Kosten eine immer größere Rolle. Krankenkassen müßten im Schnitt für die letzten beiden Lebensjahre eines Versicherten fast so viel zahlen wie für ein ganzes Leben davor.” (epd Ö, Dezember 1996)
Drohender Kollaps
„In drei deutschen Kliniken wird gegenwärtig ein in England entwickeltes Computerprogramm getestet, das dort bereits in 50 Intensivstationen im Einsatz ist. Es soll mitentscheiden, ob die Weiterbehandlung eines Todkranken sinnvoll ist und ob ihre Kosten vor der Gesellschaft zu rechtfertigen sind.” (epd 0, März 1997)
Gerade die letzten beiden Beispiele zeigen, daß bei der weltweit in Gang gekommenen Euthanasie-Diskussion nicht nur philantrop-hu-manistische Motive eine wesentliche Rolle spielen dürften. .
Hierzulande wird der „Kostenfaktor alter Mensch” (noch) nicht öffentlich zur Diskussion gestellt. Der Linzer Internist Kurt Lenz räumt ein, daß offizielle Stellen „immer lauter” darauf hinweisen würden, daß das Gesundheitssystem immer größere Mittel erfordern und ein Finanzkollaps eintreten würde, falls keine Änderung erfolgte. Ein Drittel aller Gesundheitsausgaben werde für Menschen über 65 Jahre aufgewendet. Dennoch seien, stellt er in Anspielung auf das englische Beispiel fest, „Ein-und Ausschlußkriterien für die Behandlung von Menschen unabhängig vom Alter zu stellen”.
Jedoch gibt es auch in Österreich bereits Stimmen, die vor der unausgesprochenen Dimension der Euthanasie-Diskussion warnen. So stellt etwa Paul M. Zulehner, Vorstand des katholischen Institutes für Pastoraltheologie an der Universität Wien, „einen Trend von einer ,Solidarge-sellschaft' zu einer ,Entsorgungsge-sellschaft' fest und fragt: „Trägt die sich rasch ausweitende Euthanasie-Debatte nicht auch Züge von Entsorgung Sterbender an sich?” Zwar werde die Debatte gerne „human stilisiert” und Euthanasie als der „Höhepunkt menschlicher Freiheit” hingestellt. Man könne sich jedoch „ausmalen, welche Auswirkungen die Aufforderung ,Nütze Deine Freiheit und entscheide Dich für die Beendigung Deines Lebens!' für einen Sterbenden hat, der gerade vom Gedanken geplagt wird, den Angehörigen zur Last zu fallen”.
Englische Zustände?
Auf einer von der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft „Hilfe und Heil” veranstalteten Expertenkonferenz zum Thema „Müssen in Zukunft die Alten zugunsten der Jungen früher sterben” im Frühjahr dieses Jahres in Bad Ischl stellte Gerhard Gütlbauer, Bundesobmann des Zentralverbandes der Pensionisten Österreichs, fest, es werde auch bei uns zunehmend „an die Solidarität der Alten mit den Jungen appelliert, zugunsten der nachfolgenden Generationen freiwillig' auf den Einsatz von High-Tech-Medizin zu verzichten”. •
Wolfgang Huber, Geschäftsführer der Krankenhäuser der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz v. Paul, warnte die Politik davor, die Entscheidung, „wieviel sich eine Gesellschaft an Gesundheitskosten leisten möchte, den Ärzten zuzuschieben”. Diese könnten und dürften unter dem Zwang zu Einsparungen nicht allein entscheiden, ob in einem konkreten Fall bei einem alten Kranken weitere therapeutische Maßnahmen durchgeführt werden, wenn dadurch nach bestem medizinischem Wissen nur noch das biologische Dasein etwas verlängert werden würde. Eine derartige Entscheidung müsse auf rechtlich geordnete Weise getroffen werden auf der Basis bestimmter allgemein gültiger Grundsätze, so Huber.
Einig waren sich alle Konferenzteilnehmer darin, daß man einer „schleichenden Euthanasie” oder gar „englischen Zuständen” durch grundlegende Umstrukturierungen und Einsparungen im Gesundheitswesen vorbeugen müsse.
In der Medizin aber habe jedenfalls die menschliche und ethische Entscheidung vor der wirtschaftlichen zu stehen, brachte es Huber auf den Punkt.