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Österreich ein kriegführender Staat?

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Die P a p i e r n o t, die seit Monaten das österreichische Zei-tungs- und Buchgewerbe würgend bedrängt, hat die schlimmsten Formen angenommen; selbst erhebliche Verbrauchseinschränkungen, die sich Zeitungen der Besatzungsmächte auferlegt haben, konnten die Lage nicht ausschlaggebend ändern. Gleichzeitig mit anderen Blättern zu einer Verminderung des Umfange s gezwungen, werden wir durch redaktionelle Vorkehrungen auch in dem engeren Rahmen den Aufgaben der „Furche“ zu entsprechen trachten.

Unsere Leser und Freunde bitten wir um die freundliche Würdigung unserer Schwierigkeiten in der uns gegenwärtig aufgezwungenen Situation. ?j);e Furche“

Unter den vielen uns schwer bedrückenden Fragen, die im Laufe der Verhandlungen um den Österreichvertrag aufgeworfen wurden, steht nicht an letzter Stelle die eine, ob Österreich 1939/45 ein kriegführender Staat war. Von dieser Schlüsselfrage hängt es ab, ob Österreich Verantwortlichkeiten aufgelastet werden dürfen oder nicht, und wir haben deshalb das allergrößte Interesse, daß die Weltöffentlichkeit darüber nochmals eindeutig und klar informiert werde.

Ob ein Staat kriegführend ist oder nicht, darf einzig allein vom völkerrechtlichen Standpunkte aus beurteilt werden. Nach den geltenden Regeln des Völkerrechtes kann nur ein tatsächlich bestehender und außerdem vollsouveräner Staat Krieg erklären und Krieg führen, das heißt, ein Staat, der eine eigene Regierung mit vollerj völkerrechtlicher Handlungsfreiheit besitzt. Im Kriege 1939 bis 1945 haben einige Staaten, wie Italien, Ungarn, Bulgarien, sich zeitweise als „n i c h t k r i e g-führend“ deklariert, womit sie sagen wollten, daß sie wohl Achsenpar ner, also nicht neutral seien, aber noch nicht in den Krieg eintreten. Italien erklärte sich unter der B a d o g 1 i o - Regierung als nur „m i t k r i e g f ü h r e n d“ an Seite der Alliierten, da es noch nicht als alliierte Macht anerkannt war, während Mussolini- Italien bis zum Ende für das Dritte Reich kämpfte. Zu allen diesen Erklärungen der Kriegführung, Nichtkrieg-führung und Mitkriegführung war und bleibt ein souveräner Staat die Voraussetzung.

Österreich, hörte mit der deutschen Okkupation völkerrechtlich zu bestehen auf und in diesem Zusammenhange ist es belanglos, ob es 1938 „besetzt“ oder „einverleibt (annektiert)“ wurde. Völkerrechtlich gab es nach dem 13. März 1938 keinen Staat Österreich, keine österreichische Regierung und keine österreichische Wehrmacht mehr, alle österreichiscnen Auslandsvertretungen wurden aufgelöst. Im weiteren Verlaufe wurde die Benützung des Namens „Österreich“, später auch die Bezeichnung „O s t m a r k“ verboten. Dieser tatsächliche Zustand schloß es schon zur Gänze aus, ' daß es zu einer Kriegserklärung „Österreichs“, an die alliierten Regierungen oder zu einem Bündnisvertrag mit Hitler hätte kommen können, diesbezügliche Dokumente liegen auch nirgends vor und schon aus diesem Grunde kann also Österreich nie kriegführend oder gar ein Verbündeter Hitlers gewesen sein. Auch der Umstand daß die wehrpflichtigen Österreicher in der deutschen Wehrmacht Dienste leisten mußtn — wobei es niemals rein österreichische Tmppenkörper gegeben hat — genügt nicht, um daraus -eine Mitverantwortung am Hitler krieg zu konstruieren.

Diese Überlegungen gewinnen aber erst ihre volle Überzeugungskraft, wenn ein Blick auf andere der nationalsozialistischen Aggression ausgeliefert gewesene europäische Staaten geworfen wird. Italien, Finnland, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Slowakei und Kroatien haben als souveräne Staaten ohne Widerstand mit dem Dritten Reich Bündnisse geschlossen und an die Alliierten Krieg erklärt, sie waren, wenn man schon die Bezeichnung „kriegführend“ anwenden will, unter solchen Umständen „Feindstaaten“ den Alliierten gegenüber. Würde es genügen, daß irgendein Staatsgebiet dem Deutschen Reiche einverleibt worden ist — wie etwa Österreich —, um daraus den Tatbestand der Kriegführung abzuleiten, dann müßten schließlich selbst Polen und Jugoslawien in diese Kategorie eingereiht werden, waren doch große Teile dieser Staaten vo- Deiitschlan, Saiehungsweise Italien, annektiert worden. Würde es ferner genügen, daß aus besetzten oder einverleibten Gebieten Staatsbürger dieser Gebiete in der Hitler Wehrmacht gegen die Alliierten gekämpft haben, um daraus Verantwortlichkeiten abzuleiten, dann müßten solche Verantwortlichkeiten auch Norwegen, Dänemark, Niederlande Belgien, Luxemburg, Frankreich (Elsaß-Lothringen), Tschechoslowakei (Sudetengebiete und Slowakei) und Jugoslawien treffen, da es — vielfach sogar freiwillige! — Truppenverbände aus den genannten Gebieten im Kampfe gegen die Alliierten gegeben hat.

Wenn außerdem geltend gemacht wird, das 1938 bis 1945 nicht bestehende Österreich habe trotzdem dem deutschen Kriegspotential beträchtliche materielle Hilfen zugeführt, indem die österreichischen Industrien und andere Kriegspotentialquellen für die deutsche Kriegführung arbeiteten, bleibt zu bedenken, daß ebendasselbe Moment in allen von Deutschland kontrollierten Staaten und Gebieten wahrzunehmen war. Hunderttausende Italiener wurden neben zahllosen „Ostarbeitern“ in den deutschen Fabriken beschäftigt, die gesamte französische Industrie stand im Dienste der Hitler-rüstung, Ungarn lieferte wohl oder übel Getreide und Vieh, Rumänien Erdöl und die tschechoslowakischen Skodawerke in Pilsen waren in der Lage, beträchtlich mehr Waffen zu erzeugen' als die gesamte österreichische Industrie. Uns fällt natürlich nicht im entferntesten ein, Staaten, die von Hitler vergewaltigt wurden, heute irgendeinen Vorwurf zu machen, sie hätten an Seite Hitlers Krieg geführt und wären dessen Verbündete gewesen; wir wissen, daß dies bei vielen Staaten nicht zutrifft und daß sie nur in derselben bedauernswerten Zwangslage waren, wie sie Österreich zugestoßen ist. Wenn aber Schuld , und Verantwortung zugemessen werden, dann muß Österreich vor der ganzen Welt vernehmlich fordern, mit gleichem und gerechtem Maße gemessen zu werden, wie es anderen Hitler opfern zugebilligt wird. ,

Was die Widerstandsbewegung betrifft, kann es Österreich nur willkommen sein, je intensiver diese untersucht wird. Der Widerstand Österreichs begann — wenn nicht schon früher gegen preußische Überheblichkeiten aller Art —

1933 und währte fünf lange Jahre, als die um eine verzweifelt ringende Regiejung ge-scharten treuen Österreicher der hraunen Flut jeden Fußbreit österreichischen Lebens strittig machten. Niemand stand damals für Österreich auf, niemand rührte einen Finger, weder der Völkerbund noch irgendein Staat trat offen auf unsere Seite. Eben zeigt ein in Wien vor sich gehender politischer Prozeß deutlich, wie vereinsamt dieses Österreich bis zum 13. März 1938 war und wie sehr sich — mit ganz geringen Ausnahmen — Regierung und Volk bis zum Überranntwerden durch eine Großmachtarmee zur Wehr gesetzt haben, für sich selbst durch die Bestimmungen de Saint-Germainer Vertrages einjr vollgerüsteten Großmacht gegenübet zur militärischen Ohnmacht verurteilt. Der März 1938 bewies durch sein; Verhaftungen, Erschießungen, Hinrichtungen, Deportierungen und Maßregelungen unzähliger Österreicher, daß hinter den Blumensträußen der Illegalen ein Widerstandswillen lebte, der auch in den folgenden Jahren nie erlosch

Überall gab es Sabotage, passive Resistenz, Aufklärungspropaganda, die zahllosen über das ganze Reichsgebiet zerstreuten Österreicher waren nur in Ausnahmefällen zu Stützen des Systems geworden. In den alliierten Armeen kämpften zahlreiche österreichische Staatsbürger und zu den Alliierten übergegangene Österreicher und auch die österreichische Emigration stellte sich in den Dienst der Propaganda gegen Hitler. Wenn man bedenkt, daß praktisch alle wehrfähigen Österreicher in den Kriegsjahren außerhalb des Landes waren, daß überall Reichsdeutsche saßen, die mit Gestapomethoden die aller Waffen beraubte Zivilbevölkerung niederhielten, daß die unter Führung reichsdeutscher Parteigenossen stehenden Betriebs-SA die Arbeiter unter ständigen Druck setzten, daß in den Kasernen reichsdeutsche Offiziere und Unteroffiziere das Kommando führten — wird man zugeben müssen, daß ein derart feindlich besetztes, in Einzelgaue zersplittertes

Land unmöglich an Deutschland den Krieg hätte erklären und in Form von österreichischen Armeekorps in den Krieg hätte eintreten können. Man vergleiche zum Beispiel dieses in Ketten gelegte Österreich mit der Tschechoslowakei, die weder ihrer Teilung im Jahre 1938 nach dem Zeugnis ihres vor Gericht gestellten Generalstabschefs Widerstand zu leisten vermochte, obwohl sie über eine hochmodern und starke Wehrmacht verfügte, noch in den folgenden Jahren an die deutsche Regierung den Krieg erklärte, obwohl sie eine eigene Regierung — die Protektoratsregierung H a c h a — besaß.

Schließlich verdient noch die Verteidigung von Wien ein Wort. Wir werden es immer schmerzlich bedauern, daß die Rote Armee um Wiens Befreiung Blutopfer hat bringen müssen, wir werden dies aber auch immer dankbar anerkennen. Daß jedoch diese Opfer sich in verhältnismäßig bescheidenen Grenzen halten konnten, ist nur dem Umstände zuzuschreiben, daß Wien selbst ben nicht gegen die Alliierten kämpfte. Gegen die Alliierten kämpften drei aus Ungarn zurückweichende SS-Divisionen aus dem Reich, an ihrer Seite die W 1 a s s o w division, alle unter Kommando des reichsdeutschen SS-Generals Sepp Dietrich, an dessen Seite der reichsdeutsche Statthalter Schirach es ablehnte, Wien als offen Stadt zu erklären, wie es die Bevölkerung verlangt hätte. Nirgends kämpften in Wien Zivilpersonen gegen die Rote Armee, im Gegenteil, der Wiener Volkssturm zerlief sich in alle Richtungen, und wo es bewaffneten Widerstand gab, da rührte et von den landfremden SS-Verbänden her. Was an Parteigenossen und Reichsdeutschen in Wien war, floh in wilder Hast nach dem Westen und begnügte sich damit, durch den Mund Schirachs im Radio die Wiener zum Widerstand aufzufordern. Nach der Befreiung der Stadt hat sich nirgends auch nur der Schein eines Widerstandes gegen die Besatzungstruppen ergeben und die Befreiertruppen haben sich wohl noch in keiner eroberten Stadt von der ersten Minute an so sicher gefühlt wie in Wien.

Nicht umsonst hat Hitler Österreich ausgelöscht, .hat ihm nicht, wie Preußen oder Bayern, eine eigene Regierang zugestanden. Er hatte sogar zu den Q u i s-11 n g - Regierungen von Oslo bis Vichy und Belgrad mehr Vertrauen und fand in ihnen verläßlichste Kollaborateure.

So steht unbestritten fest, daß Österreich 1938/45 niemals ein kriegführender Staat und noch weniger ein Verbündeter Hitlers war, daß aber das österreichische Volk auch in den Jahren der Okkupation und in den Befreiungstagen im Rahmen des überhaupt Möglichen an der Front des unterirdischen Volkskrieges • einen sehr wesentlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus entwickelt hat Der Krieg kennt tausenderlei Formen, unter denen das Aufbäumen von Geist und Seele nicht die schwächste ist. Hier waren die vateriandstreuen Österreicher kriegführend an der Seite der Alliierten gegen die deutsche Unterdrückung. Die Moskauer Deklaration spricht von einer „Wiedererrichtung“ österrcchs — eine solche wäre gar nicht denkbar, wenn ösierreich als gegen die Alliierten, kriegführende und mit Hitler verbündete Macht bestanden hätte.

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